Jahrelang denken viele Paare beim Thema Schwangerschaft vor allem an deren zuverlässige Verhütung. Wenn dann irgendwann der Wunsch nach einem Kind wächst, ist oft die Erwartung groß, dass es möglichst schnell klappt mit dem Schwanger-Werden. Doch müssen die meisten Paare es eine Weile versuchen. Statistiken sagen, dass ein Drittel aller Frauen länger als ein Jahr wartet, bis sich eine Schwangerschaft einstellt. Auch mehrmonatige Wartezeiten sind also kein Grund zur Sorge.

Mit steigendem Alter schwieriger

Das beste Alter zum Schwanger-Werden liegt bei Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, danach nimmt die Fruchtbarkeit langsam ab. Das sogenannte reproduktive Fenster schließt sich ab dem 35. bis 37. Lebensjahr immer schneller. Männer müssen übrigens auch damit rechnen, dass ihre Zeugungsfähigkeit ab etwa 40 Jahren abnimmt. Die Chance auf eine Erfüllung des Kinderwunsches ist also deutlich höher, wenn das Thema bereits in jüngeren Jahren, also unter 35, angegangen wird.

Viele organische Ursachen möglich

Man wünscht sich ein Kind – und jeden Monat mit Einsetzen der Menstruation steigt der Frust, dass es wieder nicht geklappt hat. Wenn eine Frau innerhalb eines Jahres trotz regelmäßigem Geschlechtsverkehr nicht schwanger wird, können bei ihr oder ihrem Partner organische Ursachen vorliegen, die die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. Das ist gar nicht so selten. In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos, wie das Bundesfamilienministerium schreibt.

Der häufigste Grund für Unfruchtbarkeit bei Frauen wie bei Männern ist eine Infektion mit Chlamydien, die einen Eileiterverschluss oder Nebenhoden- und Prostata-Entzündungen verursachen. Oft können auch hormonelle Probleme Fruchtbarkeitsstörungen auslösen. So kann beispielsweise eine Schilddrüsenfehlfunktion die Eizellreifung negativ beeinflussen. Organische Veränderungen, etwa eine Endometriose, sind weitere Ursachen, wenn eine Frau nicht schwanger wird.
Wir haben dazu bei Dr. Matthias Inacker, leitender Arzt im Kinderwunschzentrum Darmstadt, nachgefragt. Das Kinderwunschzentrum Darmstadt beschäftigt sich seit Jahren sowohl mit der Behandlung von ungewollter Kinderlosigkeit als auch mit der Erforschung der möglichen Ursachen. Dr. Inacker erklärt: „Früher hat man geglaubt, dass die Gebärmutter ein ruhendes Organ sei, welches nur zum Zeitpunkt der Geburt durch Muskelkontraktionen aktiv wird. Heute weiß man, dass der Gebärmuttermuskel andauernd tätig ist. Dies führt mit der Zeit zu Verletzungen der Gebärmutterschleimhaut, die dann wuchert und als Adenomyose in die Gebärmutterwand eindringt. Gleichzeitig werden vermehrt Zellen der Schleimhaut abgelöst, die sich als Endometriose im Bauchraum einnisten. Letztlich ist es also die muskuläre Aktivität des Uterus selbst, die zu den krankhaften Veränderungen führt. Gefördert werden kann dies zusätzlich noch durch östrogenähnliche Stoffe in unserer Umwelt, so genannten endokrinen Dysruptoren.“

Bei Männern ist Unfruchtbarkeit oft auf ein sogenanntes eingeschränktes Spermiogramm zurückzuführen. Das bedeutet, dass nicht genügend intakte und bewegliche Samenzellen produziert werden. Dazu nochmals Dr. Inacker: „Die Ursachen hierfür sind bislang nicht geklärt. Wahrscheinlich sind es aber, ähnlich wie bei der Endometriose, auch hier Umwelt- und zivilisatorische Faktoren, welche die Beweglichkeit und die Anzahl der Samenfäden beim Mann zunehmend reduzieren.“

In 10 bis 15 Prozent aller Fälle lässt sich trotz aller Bemühungen kein biologischer Grund für die Kinderlosigkeit feststellen. Emotionale Belastungen können manchmal indirekt Einfluss auf die Fruchtbarkeit haben. Eine direkte Auswirkung der Psyche auf die Fruchtbarkeit ist dagegen unwahrscheinlich – ein Aspekt, der vielleicht manche ungewollt kinderlose Paare auch entlastet.

Behandlungsmöglichkeiten

Erste Anlaufstelle für Frauen, bei denen sich keine Schwangerschaft einstellt, ist die Gynäkologin oder der Gynäkologe. Männer finden in urologischen oder andrologischen Praxen kompetente Ansprechpersonen, die auch die entsprechenden Untersuchungen durchführen können. In reproduktionsmedizinischen Zentren oder Spezialpraxen sind viele Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten unter einem Dach vereint. In Südhessen hat sich das schon erwähnte Kinderwunschzentrum Darmstadt auf die Behandlung unerfüllten Kinderwunsches spezialisiert. Dr. Aysen Bilgicyildirim ist dort leitende Ärztin und macht Betroffenen Hoffnung: „Circa 80 Prozent der Hilfesuchenden kann mit der geeigneten Therapie geholfen werden.“

Im Kinderwunschzentrum Darmstadt besteht der Erstkontakt immer in einem sogenannten Erstgespräch. Hier werden alle schon vorhandenen Befunde ausgewertet und noch eventuell notwendige Untersuchungen geplant. „Das Paar sollte schon ein wenig Zeit mitbringen“, so Dr. Bilgicyildirim: „Wir nehmen uns für ein Erstgespräch in der Regel zwischen 45 und 60 Minuten Zeit.“

Ein erster Behandlungsschritt kann dann die Beobachtung des natürlichen Menstruationszyklus durch Ultraschall- und Blutuntersuchungen sein, sodass der optimale Zeitraum für eine Befruchtung errechnet werden kann. Durch die Einnahme von Medikamenten oder eine Gewichtsregulierung bei stark über- oder untergewichtigen Menschen kann sich der Hormonhaushalt normalisieren und den Weg für eine Befruchtung frei machen.

So war es bei Antonia aus Darmstadt. Sie hatte nach einer Eileiterschwangerschaft vor einigen Jahren Schwierigkeiten, schwanger zu werden. „Ich wurde daraufhin mit Hormonen behandelt, die den Eisprung auslösten. Dann stand ‚Sex auf Knopfdruck‘ auf dem Plan. Zweimal hat es nicht geklappt, aber beim dritten Versuch wurde ich dann schwanger.“ Neun Monate später kam ihre gesunde Tochter zur Welt.

Je nach Ursache der Unfruchtbarkeit kommen weitere Verfahren in Frage. Eine erste Option ist die intrauterine Insemination. Bei dieser Samenübertragung werden aufbereitete Samenzellen des Mannes direkt in die Gebärmutter übertragen – meist, wenn der Partner zu wenige oder nicht ausreichend bewegliche Spermien hat. Oft wird vorher bei der Frau die Reifung der Eizellen hormonell unterstützt.

Auch für eine In-vitro-Fertilisation (IVF) erhält die Frau eine Hormonbehandlung, damit in ihren Eierstöcken mehrere Eizellen reifen. Dann werden Eizellen entnommen und in einer Petrischale mit den Spermien des Partners vermischt. Erfolgt eine Befruchtung und entwickeln sich die befruchteten Eizellen weiter, werden ein bis zwei Embryos in die Gebärmutter eingesetzt – so kommt die erhöhte Quote von Mehrlingsgeburten bei IVF-Behandlungen zustande.

Die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) kann bei schlechter Spermienqualität helfen. Dabei werden der Frau im Anschluss an eine Hormonbehandlung Eizellen entnommen und eine einzelne Samenzelle direkt in eine Eizelle injiziert. Gelingen Befruchtung und Zellteilung, werden bis zu drei Embryonen in die Gebärmutter der Frau eingesetzt.

Wenn sich in der Samenflüssigkeit keine oder nicht genug intakte Spermien befinden, können eine Testikuläre Spermienextraktion (TESE) oder eine Mikrochirurgische Epididymale Spermienaspiration (MESA) angewandt werden. Dabei wird in einer kleinen Operation Sperma direkt aus den Hoden (TESE) oder den Nebenhoden (MESA) gewonnen.
Neben diesen grundsätzlichen Optionen existieren noch weitere unterstützende Maßnahmen, auch im Kinderwunschzentrum Darmstadt: „Um die Schwangerschaftsrate zu erhöhen, nutzen wir in Darmstadt zum einen die Kultur der Embryonen über fünf Tage und zum anderen das sogenannte Embryoscope. Hier werden die Embryonen ohne Störung über fünf Tage mittels einer Kamera beobachtet. Mit diesen zwei Verfahren gelingt es uns sehr häufig, den idealen Embryo herauszufinden“, erklärt Dr. Inacker.

Der rechtliche und finanzielle Rahmen

Die Fortpflanzungsmedizin wird in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz geregelt, außerdem gibt es Handlungsrichtlinien der Bundesärztekammer sowie des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Im Vergleich zu manch einem anderen europäischen Land sind die deutschen Bestimmungen sehr streng. So sind zum Beispiel die Verwendung fremder Eizellen ebenso verboten wie die Leihmutterschaft, das Klonen von Embryonen, die Geschlechterauswahl bei Spermien (außer bei schwerwiegenden geschlechtsgebundenen Erbkrankheiten) oder die Verwendung von Samen Verstorbener.

Die gesetzlichen Krankenkassen – bei privaten Kassen gelten andere Regeln – beteiligen sich grundsätzlich zu 50 Prozent an den Kosten der Kinderwunschbehandlung, wenn das Paar über 25, heterosexuell und verheiratet ist; die Frau muss jünger als 40, der Mann unter 50 Jahre sein. Wenn sich das Paar nach einer Geburt noch ein Kind wünscht, wird die Behandlung übrigens noch einmal finanziert. Abzüglich der Krankenkassen-Zuschüsse zahlt ein gesetzlich versichertes Paar etwa für eine IVF aber immer noch einen Eigenanteil von 1 500 Euro. Manche Kassen übernehmen allerdings freiwillig mehr, sodass sich möglicherweise ein Krankenkassenwechsel lohnt. Tipp: In der Ausgabe 5-2020 von Finanztest haben die Verbraucherschützer die Extraleistungen der verschiedenen Kassen aufgelistet. Auch viele Bundesländer, darunter Hessen, unterstützen ungewollt kinderlose Paare finanziell, bezuschussen zum Beispiel einen weiteren Behandlungsversuch.

Belastung für Seele und Partnerschaft

Wenn der Wunsch nach einem Baby immer größer wird, eine Schwangerschaft aber auf sich warten lässt, bedeutet das für viele Paare großen emotionalen Stress. Warum klappt es ausgerechnet bei uns nicht? Selbstvorwürfe, Minderwertigkeitsgefühle oder eine Entfremdung in der Partnerschaft können die Folge sein.

Auch eine Kinderwunschbehandlung kostet zunächst Überwindung, wie Dr. Bilgicyildirim aus ihrer Praxiserfahrung weiß: „Sexualität und Fortpflanzung werden vom Menschen besonders stark als Bereich eigener Autonomie betrachtet. Es ist daher oftmals ein schwerer Schritt mit erheblichen Hürden, in diesem intimen Lebensbereich auf Autonomie, Spontaneität und ‚Natürlichkeit‘ verzichten und Rat und Hilfe Dritter, nämlich medizinische Hilfe, in Anspruch nehmen zu müssen. Wir schaffen es aber in ausführlichen Gesprächen in den meisten Fällen diese Hürden abzubauen“.

Trotzdem: Im Lauf der Therapie müssen Diagnosen verarbeitet, Entscheidungen für das weitere Vorgehen getroffen werden. Das Auf und Ab der Gefühle zwischen Hoffen und Enttäuschung zermürbt. Auch Antonia, deren Tochter nach einer Hormonbehandlung geboren wurde, kennt das: „Schon den Sex nach Plan empfand ich als furchtbar. Später heißt es Bangen, bis das Ergebnis da ist – und Frust auszuhalten, wenn es wieder negativ ist. Ich war in dieser Zeit sehr unausgeglichen und belastet.“ Antonia hat die Kinderwunschbehandlung von Anfang an in ihrem Umfeld offen kommuniziert. „Das hat mir sehr gutgetan“, erinnert sie sich. „Man muss sich dessen ja nicht schämen. Ich habe aus dem Freundes- und Kollegenkreis nur positives Feedback bekommen und erfahren, dass es viele Paare in unserer Situation gibt. Im Austausch mit anderen konnte ich meine Sorgen teilen. Und der Zuspruch, als es dann geklappt hat, war toll.“

Wird der Kinderwunsch aber zum alles bestimmenden Thema, können Lust und Sexleben auf der Strecke bleiben und die Beziehung steht nicht selten vor einer Zerreißprobe. Dennoch berichten viele Paare, dass diese Krise ihre Partnerschaft gestärkt und sie als Partner eher zusammengeschweißt habe. Eine individuelle psychologische Beratung, wie sie Beratungsstellen auch im Raum Darmstadt speziell zum Thema Kinderwunsch anbieten, kann Paare auf diesem Weg begleiten.

Auch der Austausch mit Menschen in einer ähnlichen Situation in einer Selbsthilfegruppe ist sinnvoll. In der Darmstädter Gruppe kann man das bestätigen: „Oft fühlt man sich im Gespräch mit anderen Betroffenen besser verstanden – ein Freundeskreis mit Kindern kann manchmal gar nicht nachvollziehen, dass der unerfüllte Kinderwunsch den eigenen Lebensentwurf so komplett auf den Kopf stellt.“ Seit Kurzem bieten die Organisatorinnen im Raum Darmstadt/Frankfurt zwei Treffen an – eines für Paare, die gerade durch eine Behandlung gehen, und eines für diejenigen, die ohne Kinder bleiben und sich neu orientieren müssen. Die Kontakt-E-Mail finden Sie im Infokasten unten.

Fachleute raten außerdem, sich genug Zeit für die Kinderwunschbehandlung zu nehmen und nicht alle Hoffnung auf den ersten Behandlungszyklus zu setzen. Und schließlich ist es gut, sich einen Plan B zurechtzulegen: Wie kann unser Leben aussehen, falls es mit dem Nachwuchs nichts wird? Kommt ein Pflegekind oder eine Adoption in Frage, wollen wir vielleicht als Paten ein Kind in unserem Umfeld eng begleiten – und welche Träume können wir als kinderloses Paar in Zukunft verwirklichen, um gemeinsam ein erfülltes Leben zu gestalten?

Oft klappt es ja aber doch noch mit dem eigenen Kind, so wie bei Antonia. Sie wurde drei Jahre nach der Geburt ihrer Tochter ein weiteres Mal schwanger und bekam einen Sohn – diesmal ganz ohne medizinische Assistenz!

Hilfen und Infos

Vor Ort:

• Kinderwunschzentrum Darmstadt,
www.kinderwunschzentrum-da.de,
Telefon 0 61 51 / 500 98 0,
info@ivf-da.de

• Selbsthilfegruppe Wunschkind e.V.,
www.wunschkind.de,
Kontakt zur Selbsthilfegruppe Darmstadt:
kinderwunsch-rhein-main@web.de

• Diakonisches Werk Darmstadt,
www.diakonie-darmstadt.de,
Telefon 0 61 51 / 92 60, beratungs-
dienste@diakonie-darmstadt.de

• donum vitae Südhessen,
www.dvdarmstadt.de,
Telefon 0 61 51 / 279 39 41, beratungs-
stelle@donumvitaedarmstadt.de

• pro familia Darmstadt,
www.profamilia.de/angebote-vor-ort/hessen/darmstadt.html,
Telefon 0 61 51 / 42 94 20,
darmstadt@profamilia.de

Im Web:

www.familienplanung.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und www.informationsportal-kinderwunsch.de des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (2 Websites mit fundierten, unabhängigen Infos zu medizinischen, rechtlichen und psychosozialen Fragen)

www.bkid.de Deutsche Gesellschaft für Kinderwunschberatung – BkiD
(u.a. Liste mit psychosozialen Beratungsfachkräften, Tipps für Wunscheltern)