Ein Beitrag von Monika Klingemann

2,7 Enkelkinder hat ein hessisches Großelternpaar im Schnitt, so eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus dem Jahr 2018 – Hessen liegt damit im deutschlandweiten Ranking an drittletzter Stelle. Beim ersten Enkelkind sind die Großeltern durchschnittlich knapp 53 Jahre alt – ihnen bleibt in der Regel also viel Zeit mit dem jungen Nachwuchs.

Eine neue Familiendynamik

Das Bild der grauhaarigen Oma aus dem Bilderbuch, die mit Dutt und Strickzeug im Schaukelstuhl sitzt, hat längst ausgedient. Heute stehen viele Großeltern mitten im Leben, haben noch viel vor. Wenn dann ein Enkelkind da ist, wechseln sie die Generation, werden von Eltern zum Opa, zur Oma. Daran haben manche zunächst zu knabbern: Gehöre ich jetzt zum alten Eisen, werde nicht mehr für voll genommen – wo ich mich doch noch so lebendig fühle?

Überhaupt kommt Bewegung in die bisherige Familiendynamik. Aus der Schwiegertochter wird die Mutter des Enkelkinds, die Gegen-Großeltern treten vermehrt auf die Bühne und die (Groß-)Eltern begreifen – möglicherweise zum ersten Mal –, dass das eigene Kind ein reifer und voll verantwortlicher Mensch ist. Sie ziehen eine Bilanz der eigenen Elternschaft, nehmen sich vielleicht vor, mit den Enkelkindern manches anders zu machen. Umgekehrt lernen die erwachsenen Kinder ihre Eltern neu kennen. Manchmal kommen dann Verletzungen aus der eigenen Kindheit wieder hoch, wenn man den eigenen Vater, die Mutter mit dem Enkelkind ganz anders interagieren sieht als früher – oder eben genauso. Wenn aus der neuen Konstellation Konflikte entstehen, gilt wie so oft: offen miteinander reden und die eigenen Bedenken oder Bedürfnisse klar artikulieren! Manchmal schafft es so ein neugeborenes Würmchen aber auch, dass eine Familie, in denen nach tiefen Differenzen der Kontakt zum Erliegen gekommen ist, sich wieder näherkommt.

Schon gewusst?

Der zweite Sonntag im Oktober ist in Deutschland offizieller Omatag – so soll auf die großen Leistungen der Großmütter hinge-
wiesen werden.

Den Kontakt pflegen

In den allermeisten Familien hat das Miteinander von Großeltern und Enkelkindern einen gewichtigen Platz – je nach Situation natürlich ganz unterschiedlich ausgeformt. Manchmal sind Oma und Opa in der Kinderbetreuung fest eingeplant, oft springen sie als Notfallhelfer auf Zuruf ein, wenn die Tagesmutter ausfällt oder eine Quarantäne den Schulbesuch unmöglich macht. Sie sind als Gäste gern gesehen oder werden regelmäßig besucht – die Einschränkungen im ersten Corona-Jahr haben gezeigt, wie schmerzlich man Umarmungen, Wangenküsschen und Nähe vermissen kann. Auch wenn die räumliche Entfernung zwischen den Generationen zu groß ist für Begegnungen im Alltag, bemühen sich die meisten Familien, eine gute Beziehung zu pflegen. Denn die ist wichtig – und für alle drei Generationen ein Vorteil, eine Win-win-win-Situation gewissermaßen.

Die Eltern werden entlastet

Eine noch laufende aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Ravensburger Stiftung stellt fest: Im Westen Deutschlands haben Großeltern bei der Betreuung von Unter-Dreijährigen den gleichen Stellenwert wie die Kita-Betreuung. Bedeutsam ist auch ein weiterer Effekt: Unterstützen Oma und Opa, steigt das Wohlbefinden der Mütter, sie sind sowohl mit ihrer Kinderbetreuungs-Situation als auch mit ihrer eigenen Freizeit zufriedener.

Ob sich Oma fürs Kinder-Kümmern bezahlen lässt oder nicht, hängt sicher von der individuellen Situation ab: Reduziert sie fürs Enkelchen die Arbeitszeit, muss sie extra anreisen, hat die junge Familie finanzielle Ressourcen? Über das Thema Geld sollte man in jedem Fall aber vorab sprechen. Finanzielle Transferleistungen, ob gelegentlich oder regelmäßig, sind in Familien nicht so selten: Da finanzieren die Großeltern den Kinderwagen, richten für die Erstklässlerin einen Sparplan ein, geben eine Finanzspritze zum Führerschein. Solange sie das mit frohem Herzen tun und sich mit den Geschenken nicht Dankbarkeit, Pflichtbesuche oder Mitspracherechte erkaufen wollen, sind solche Extras in der Regel sehr willkommen.

Großeltern sind aber mehr als Geldgeber und Bereitschaftsdienstleister fürs Babysitting. Da sind Menschen, die die Familie und ihre Gewohnheiten kennen, die das brüllende Baby und das trotzige Kleinkind vorbehaltlos lieben und Aufgaben übernehmen, ohne eine Staatsaffäre daraus zu machen. Die mit ihrer Lebenserfahrung und Expertise im Familienmanagement Rat geben können, der von Herzen kommt.

„Niemand kann für kleine Kinder tun, was Großeltern tun. Großeltern streuen Sternenstaub über das Leben kleiner Kinder“ Alex Haley, US-Autor

Das gesummte Schlaflied der Neu-Oma weckt bei den Eltern eine Rückbesinnung auf die eigene Kindheit, Opa erzählt, wie sein Sohn als Baby war – so wird der Erinnerungs-Schatz der Familie gepflegt und es entsteht ein Wir-Gefühl, auf dem die Eltern sich durch turbulente Zeiten tragen lassen können.

Mehr Lebenszufriedenheit für die Großeltern

Auch die Großeltern genießen diese Zeitreise – vielleicht noch weiter zurück, in die eigene Kindheit –, wenn sie den „Räuber Hotzenplotz“ wieder (vor)lesen oder im alten, selbst gebauten Puppenhaus ins Rollenspiel eintauchen. Manche nutzen die Möglichkeit, jetzt bei den Enkelkindern das nachzuholen, was sie früher aus Zeitmangel mit ihren eigenen Kindern nicht erleben konnten.
Enkelkinder kann man ohne allzu große Verpflichtungen genießen, denn die Erziehungsverantwortung bleibt bei den Eltern. Das macht den Umgang unbeschwerter und, ja, sorgt auch dafür, dass Oma und Opa zum Verwöhnen ihrer kleinen Lieblinge tendieren.

Der Kontakt mit der jungen Generation wirkt gleichsam wie ein Jungbrunnen: Die Älteren haben (wieder) eine wichtige, sinnstiftende Aufgabe, gerade wenn berufliche Ambitionen befriedigt sind und vieles andere erlebt und erledigt ist. Im Zusammensein mit den Enkelkindern können sie Werte und Erfahrungen weitergeben, die über den eigenen Tod hinaus Spuren hinterlassen.

Die schon erwähnte DJI-Studie belegt, dass die Unterstützung der Kinder und Enkelkinder ganz direkt positive Auswirkungen auf die Zufriedenheit und das Wohlbefinden älterer Menschen hat – auch weil sie sich durch ihr Engagement als nützlich und leistungsfähig wahrnehmen.

Je älter die Enkelkinder werden, desto öfter werden beim wechselseitigen Lernen die Rollen getauscht. Dann ist es die Enkelin, die dem Opa die App auf dem Smartphone installiert, oder der Teenager, der seine Oma mit einer selbst gebackenen Quiche überrascht. Und genau so soll es in einer Familie doch sein: dass über die Jahre ein gegenseitiges Geben und Empfangen stattfindet, bei dem nicht aufgerechnet oder nachgezählt wird.

Die Kinder profitieren vielfältig

„Omas sind wie Mamas – nur mit Sahne obendrauf“, heißt es. Und es ist diese Mischung aus Vertrautheit und Anderssein, die für Kinder das Besondere der Großeltern ausmacht.
Oma und Opa riechen und sprechen anders, das merken schon die Allerkleinsten. Sie kennen neue Abzählreime, haben eine andere Art zu kochen und die Mahlzeiten abzuhalten.
Großeltern bilden sozusagen eine Brücke vom Elternhaus in die erweiterte soziale Umwelt, so formuliert es die DJI-Studie.

„Großeltern haben Silber im Haar und Gold im Herzen.“ Unbekannt

Wochenmarkt statt Lieferservice, Landluft statt Citylage (oder umgekehrt): Wenn die Kinder bei den Großeltern sind, erleben sie einen anderen Alltag. Das erweitert ihren Erfahrungshorizont. Mit Oma im Garten Blumenzwiebeln verbuddeln, von Opa Torwart-Tricks abgucken – quasi nebenbei lernen sie fürs Leben. Oma und Opa tragen schicke Schuhe und Krawatte, siezen ihre Nachbarn, sind immer fünf Minuten zu früh, schauen jeden Abend Tagesschau etcpp. Durch ihre Lebensweise vermitteln die Älteren ganz unbewusst Werte, die sich in ihrem eigenen Leben bewährt haben und die sie nun den Enkelkindern als Optionen vorstellen.

Das Wissen, dass da noch mehr Menschen sind, denen etwas an einem liegt und die alles für einen tun, ist für Kinder ein großer emotionaler Zugewinn, vermittelt ihnen Geborgenheit. Das ist besonders dann Gold wert, wenn zu Hause Missstimmung herrscht. In den turbulenten Zeiten der Pubertät etwa kann ein Großelternteil, zu dem eine enge, vertraute Beziehung besteht, als verständnisvoller Vermittler ausgleichen und Bewegung in die verhärteten Fronten bringen.

Großeltern haben meist viel Zeit. Durch die ungeteilte Aufmerksamkeit fühlen sich Enkelkinder besonders gesehen und beachtet. Oma und Opa erzählen Geschichten, spielen mit, trösten, geben Ratschläge und hören aufmerksam zu. Diese Aufgaben erfüllen sie meist toleranter, gelassener und geduldiger als die Eltern, die mitten im Alltagsfamilientrubel stecken.

Ein guter Kontakt zwischen der ersten und der dritten Generation zeigt den Kindern, wo ihre Wurzeln liegen, stiftet Familienidentität, ist gelebte Solidarität. Kinder erfahren, wenn die Großeltern älter werden, aber auch Krankheit und Tod als Teil des Lebens. Das heißt umgekehrt für Oma und Opa: Sie müssen nicht immer Powerfrau und starker Mann sein, sie dürfen auch Schwäche zeigen.
Viele der genannten Vorteile gelten übrigens nicht nur für die leiblichen Großeltern. Auch die Bonus-Oma in der Patchwork-Familie, die kinderlose Großtante oder das nette Senioren-Paar aus der Nachbarschaft können die Rolle als Alternativ-Oma oder -Opa ganz wunderbar ausfüllen.

Gemeinsam aktiv

Es gibt viele Ideen, wie Oma und Opa intensive Zeit mit dem Nachwuchs verbringen können. In manchen Familien ist ein fester Großelterntag etabliert, der vielleicht mit dem
Abholen aus der Kita beginnt und in einer gemeinsamen Kochaktion gipfelt. Oder der Besuch im Zoo, auf der Eislaufbahn oder im Spaßbad ist fest mit den Großeltern verbunden, die sich dafür mehrmals im Jahr Zeit nehmen. Auch Einrichtungen wie das Familienzentrum in Darmstadt machen Kursangebote, bei denen Großeltern mit ihrem Zwerg willkommen sind.

Kurs-Tipp

Starke Großeltern – starke Kinder

Der Kurs des Kinderschutzbunds Darmstadt will Großeltern darin unterstützen, ihren Platz in der Familie bewusst zu gestalten, die typischen Klippen des Großelternseins zu umschiffen und gute Zeiten mit ihren Enkelkindern zu verbringen. Er startet ab 13.09.2022 in Kooperation mit dem Nachbarschaftsheim Darmstadt e.V. Infos und Anmeldung:
info@nbh-darmstadt.de

Besonders beliebt bei Kindern mit Geschwistern: ein paar Tage Oma und Opa als exklusives Ferienkind besuchen und deren volle Aufmerksamkeit genießen. Dort gibt es oft eine Menge zu entdecken – ein Regal mit Kinderbüchern, die schon die Eltern gelesen haben, eine liebevoll zusammengestellte Malbox und die Kiste mit aussortierten Oma-Klamotten zum Verkleiden. Statt Spielzeug-Flut findet sich im Haushalt von Oma und Opa viel Zeug zum Spielen: Die Sockenschublade darf aus- und wieder eingeräumt werden, auf den Töpfen wird gemeinsam getrommelt und das Tippen an Opas alter mechanische Schreibmaschine macht einen Heidenspaß und ist Technikgeschichte zum Anfassen. Toll, wenn so auch die Freude an Hobbys vermittelt wird, Oma dem Grundschüler das Stricken beibringt (denn ja, auch viele heutige Omas sticken gern!) oder die Enkelin ihrem Opa beim Werkeln zur Hand gehen darf. Auch draußen warten, gerade jetzt im Frühling, viele Aktivitäten auf das Zwei-Generationen-Gespann: Man kann die erwachende Natur am Beispiel von Omas Kirschbaum beobachten, Pflänzchen säen – das geht übrigens auch auf der Fensterbank –, Blumen pressen, Blätter unterm Mikroskop betrachten …

Und wenn die Großeltern am anderen Ende von Deutschland oder Europa wohnen? Auch dann gibt es Möglichkeiten, wie man einen herzlichen Kontakt herstellen und halten kann: In Whatsapp-Gruppen können Alt und Jung Bilder aus dem Alltag teilen, Skype, Zoom und Co. bringen die Generationen zusammen – etwa wenn Oma jeden Sonntag um 10 Uhr anruft und sich von der Woche erzählen lässt. Eine Vorlesestunde per Video, ein selbst gebasteltes Bilderbuch mit Fotos der Großeltern, ein Briefchen zum halben Geburtstag oder Ferienbeginn sind weitere Ideen, wie die Großeltern im Alltag präsent bleiben können. Wenn an Festtagen alle zusammenkommen, werden Familientraditionen bewahrt und neu geschaffen. Und vielleicht gibt es die Möglichkeit, einmal im Jahr gemeinsam in den Urlaub zu fahren – die drei Generationen zusammen oder Oma, Opa und Enkelkind ganz ohne elterliche Aufsicht.

Im gleichen Haus, um die Ecke oder richtig weit weg: Wenn die Großeltern mit der dritten Generation in gutem Kontakt sehen, ist das ein Gewinn für alle – ganz gleich, ob ein einziges, 2,7 oder noch viel mehr Enkelkinder Leben in die Familie bringen!

Tipps für Großeltern

So gelingt ein harmonisches Miteinander

+ Klare Absprachen treffen. Diese gemeinsamen Regeln sollten dann auch eingehalten werden.
+ In grundsätzlichen Erziehungs- und Lebensfragen muss bei Eltern und Großeltern Einigkeit herrschen. Keine heimlichen Salamischeiben für ein vegan ernährtes Kind!
+ Verwöhnen darf sein, aber respektieren Sie auch hier die Regeln der Eltern. Lieber Zeit schenken statt Süßkram oder teurem Spielzeug.
+ Teilen können: Wenn die Gegenschwiegereltern die Enkel nur selten sehen, haben sie an Weihnachten und Co. das Vorrecht. Rivalität nutzt keinem.
+ Konflikte zwischen den Erwachsenen nicht über die Kinder austragen.
+ Die Privatsphäre der jungen Familie respektieren, nicht übergriffig werden. Kein ungebetenes Haareschneiden beim Baby, kein Spontanbesuch am Sonntagmorgen!
+ Unterstützen ja, aber nicht das Ruder in der jungen Familie übernehmen. Hilfe nicht von oben herab anbieten („Ohne uns kriegt ihr es ja sowieso nicht hin!“).
+ Vorsicht mit ungebetenen Ratschlägen, sie werden schnell als verdeckte Kritik wahrgenommen.
+ Sich nicht übernehmen: Gerade ältere Großeltern sollten ehrlich ihre Kräfte einschätzen und auch mal stopp sagen.