Sie lieben ihre Kinder, wollen immer das Beste für sie und ihnen um alles in der Welt schlechte Erfahrungen ersparen – manche Eltern rotieren heute nicht mehr wie ein Helikopter-Geschwader über dem Nachwuchs, sondern nehmen gleich den Rasenmäher zur Hand, um alle Hindernisse vorsorglich aus dem Weg zu räumen.
So gut das auch gemeint ist, so ungut kann sich das auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Denn das bekommt die Botschaft: „Alleine schaffst Du das nicht.“

Von Anke Breitmaier

Wer liebt, hat eigentlich Recht. Grundsätzlich trifft das auch auf Eltern zu. Alles, was aus Liebe geschieht, ist zunächst einmal gut. Dazu gehören auch sehr fürsorgliche Erziehungsstile. Nichts spricht dagegen, sein Kind behüten und beschützen zu wollen und dafür zu kämpfen, dass es seinen Platz im Leben bekommt. Im Gegenteil: Gute Eltern kümmern sich um ihren Nachwuchs, sind für die Kinder da und geben ihnen alles, was sie für ein gesundes, fröhliches Großwerden brauchen. Elternliebe an sich ist ja auch etwas Wunderbares. Sie macht Kinder stark, fördert ihre Entwicklung und ist die Basis für emotionale Zufriedenheit. Aber zuviel Liebe kann Kinder auch einengen, ihre Selbstständigkeit hemmen und verhindern, dass sie Verantwortung für sich selbst übernehmen können.

Wann genau Elternliebe jedoch zu viel des Guten ist, war schon immer und ist auch heute Ansichtssache. Was die einen für Betüddeln halten, ist für die anderen einfach nur ganz normale Fürsorge. Hier den richtigen Weg zu finden, ist heutzutage vermutlich schwerer denn je. Denn Eltern müssen den Spagat hinbekommen, Kinder zu erziehen und ihnen gleichzeitig Raum zur eigenen Entfaltung zu ermöglichen. Und das in einer Welt, die immer komplexer und damit unübersichtlicher und unsicherer wird. Kein Wunder, dass viele Mütter und Väter aus vorauseilender Sorge schon vorab Schutzmaßnahmen auf ganzer Linie ergreifen, sei es in der Schule, in der Freizeit oder im Freundeskreis ihres Kindes.

Zwischen engagiert-besorgt und überbesorgt

Ist das noch angemessen oder schon übertrieben? Die Grenze zwischen engagiert-besorgten und extrem überbesorgten Eltern ist oftmals schmal und der Übergang ist fließend. Denn wer bestimmt, wie viel Fürsorge richtig ist? Ein allgemein gültiges Maß gibt es hierfür nicht. Schwer ist auch, eine „gesunde“ Balance zu finden angesichts der Tatsache, dass immer mehr Betreuungsmöglichkeiten in Kitas und Schulen ausgebaut werden, damit beide Elternteile arbeiten können. Mütter und Väter geben ihre Kinder also häufiger ab als noch vor ein paar Jahrzehnten und müssen mit der Doppelbelastung fertigwerden, die Berufstätigkeit und Familie mit sich bringen. Im Bemühen, das Kind auf keinen Fall zu kurz kommen zu lassen, wird es dann oft besonders umsorgt. Zugleich sind auch die

Ansprüche an das Elterndasein gestiegen: Mütter und Väter sollten ihr Kind nicht wegen ihres Jobs vernachlässigen, sonst geraten sie schnell in den Verdacht, Rabeneltern zu sein. Es wird erwartet, dass sich Eltern kümmern und nicht anderen die Fürsorge oder womöglich die Erziehung ihres Kindes überlassen. Der gesellschaftliche Druck ist hier mitunter massiv. Und er führt oft dazu, dass Eltern nicht mehr intuitiv erziehen, sondern sich an dem orientieren, was andere machen und was vermeintlich gut und erforderlich ist.

Väter sind auch mehr gefordert: Sie werden ebenfalls immer stärker daran gemessen, wie sehr sie sich um ihre Kinder kümmern. Also sitzen auch Väter nach dem Kindergeburtstag mit den anderen Eltern beim Glas Sekt und diskutieren Freundschaftsprobleme ihrer Kinder, gehen zu jedem Elternabend und warten während des Tennistrainings aufs Kind. Wo früher die „Arbeit“ mit den Kindern geteilt wurde, wird heute mitunter doppelt so viel gemacht.

Auch Eltern sind Kinder ihrer Zeit

Auch hier gilt aber wie bei vielen anderen Dingen: Solange es für alle gut ist, ist es gut. Sieht man einmal von persönlichen Voraussetzungen ab, also Erfahrungen, die Eltern selbst als Kinder gemacht haben und die sie ihren Kindern ersparen wollen, gibt es auch in jeder Elterngeneration Maßstäbe. Wer heutzutage seinem Kind extrem viele Freiheiten gibt, es von klein auf viel sich selbst überlässt und die schulische Laufbahn nicht kritisch begleitet, kommt schnell in den Ruf, keine gute Mutter oder guter Vater zu sein. Es gibt Trends, denen sich nur wenige entziehen können. Zumal wir alle Erziehung nicht theoretisch lernen, sondern praktisch trainieren müssen. Um den vielen Ansprüchen gerecht zu werden, organisieren viele Eltern das Aufwachsen ihrer Kinder wie eine Managementaufgabe. Und die beinhaltet nicht nur, der eigenen Tochter oder dem eigenen Sohn so viele Vorteile wie möglich zu verschaffen und für sie oder ihn zu kämpfen, wenn es nötig scheint, sondern auch, alles echte und vermutete Leid von den Kindern fernzuhalten.

Gestern Helikopter …

Sie sind immer in der Nähe ihrer Kinder, beäugen deren Verhalten und das der anderen kritisch und greifen ein, wenn sie es für nötig halten: Helikopter-Eltern werden solche Mütter und Väter gerne plakativ genannt. Gemeint sind überfürsorgliche Eltern, die ihre Kinder ständig überwachen, kontrollieren und beschützen. Wie ein Helikopter kreisen sie über dem eigenen Nachwuchs, um sofort zu landen, sobald sich ein Problem nähert. Helikopter-Eltern nehmen ihre Erziehungsaufgabe sehr ernst – manchmal sogar zu ernst. Und das fängt im Säuglingsalter an. Förderung wird von Beginn an forciert, zugleich versuchen die Eltern, Negatives und Misserfoge von den Kleinen fernzuhalten. In Konfliktsituationen greifen sie schnell ein. Dann kann schon ein Streit ums Förmchen im Sandkasten zum Elterndisput werden. Im Alltag kann das dann so aussehen, dass die Eltern ihr Kind immer in den Mittelpunkt stellen, ihm jeden Wunsch erfüllen und die Aktivitäten ihres Kindes akribisch planen und kontrollieren. Sie bringen die Kinder zur Schule, zum Sport, zum Musikunterricht und holen sie auch wieder ab (oder warten gleich dort), auch wenn die Kinder alleine gehen könnten. Schulische Leistungen überwachen sie genau und reagieren bei den kleinsten Auffälligkeiten, etwa indem sie bei einer schlechten Note sofort das Gespräch mit den Lehrern suchen. Auch bei der Wahl der Freunde ihres Kindes mischen sie mit und fördern Kontakte, die sie für gut befinden und versuchen ihrer Meinung nach schlechte Freundschaften zu verhindern. Insgesamt sind Helikopter-Eltern überängstlich und greifen vorzeitig in Situationen ein, in denen ihr Kind sich selbst behaupten sollte und das eigentlich auch könnte. Übrigens ist diese Art der Überbehütung kein brandneues Phänomen. Der Ausdruck Helikopter-Eltern wurde nämlich schon 1969 das erste Mal verwendet: Der israelische Psychologe Haim G. Ginott zitierte in seinem Buch „Between Parent & Teenager“ einen Jugendlichen, der sagte, seine Mutter schwebe über ihm wie ein Helikopter.

… heute mit dem Rasenmäher

Rasenmäher-Eltern gehören eigentlich zur Familie der Helikopter-Eltern – nur gehen sie noch einen Schritt weiter. Anstatt ihre Kinder nur aus der Nähe zu überwachen und einzuschreiten, wenn eine potenzielle Gefahr am Horizont auftaucht, machen sie ihren Töchtern und Söhnen den Weg frei: Sie räumen jedes Hindernis zur Seite und glätten jede Unebenheit, die auftaucht. Sie beseitigen alles, was ihrem Kind in irgendeiner Form schaden könnte, indem sie es einfach niedermähen. Und das allumfassend: Auch das Sozialleben ihrer Kinder steuern sie und gestalten ein Freizeitprogramm, das ihrem Kind ebenfalls nur positive Erlebnisse bringen soll.

Oft sind diese Eltern intelligent, gebildet und auch beruflich erfolgreich. Sie wissen, worauf es ankommt und wollen ihr Kind in jeder Hinsicht unterstützen, um beste Voraussetzungen für die Zukunft ihrer Tochter oder ihres Sohnes zu schaffen. Enttäuschungen wollen sie ihrem Kind dabei um jeden Preis ersparen.

Der Begriff Rasenmäher-Eltern wurde von einem Lehrer geprägt, der anonym auf einer Webseite einen Text veröffentlichte, in dem er über „Lawnmower-Parents“, also Rasenmäher-Eltern schrieb. Deren überfürsorgliches Verhalten wird eben auch oft im Zusammenhang mit ihrem schulischen Engagment offensichtlich: Rasenmäher-Eltern unternehmen eine ganze Menge, um ihrem Kind in der Schule einen Vorsprung zu verschaffen. Sie helfen beim Lernen nach, kontrollieren die Hausaufgaben und schreiben auch schnell selbst mal einen Aufsatz, wenn das Kind es nicht alleine zu schaffen scheint. Lernmarathons und Nachhilfe sind dann eine Investition, die sich lohnen muss und soll. Sind die Noten dann doch nicht so gut wie erwartet, werden sofort die Lehrer kontaktiert und bisweilen förmlich zur Rede gestellt.

Was das mit den Kindern macht

Jedes Kind ist einzigartig und jedes Kind reagiert anders auf rasenmäherbewehrte Elternfürsorge. Was für die einen einschränkend ist, wirkt auf die anderen motivierend. Solange Eltern ihr eigenes Verhalten immer wieder reflektieren und verändern, wenn sie merken, dass die Überfürsorge dem Kind nicht guttut, können sie eigentlich nichts falsch machen. Denn ihr Antrieb ist ja Liebe und damit etwas Gutes.

Es gibt auch Untersuchungen, die belegen, dass Kinder von Eltern mit einem überfürsorglichen Erziehungsstil besser in der Schule sind, einen besseren Abschluss machen und später erfolgreicher im Job werden. Bleibt aber die Frage, was Ursache und was Wirkung ist. Denn meist stammen Helikopter- und Rasenmäher-Eltern aus bildungsnahen Schichten, sind Akademiker und geben ihren Kindern als Leistungsvorbilder einiges mit. Die haben dann ohnehin bessere Bildungschancen, weil sie aus einem Umfeld kommen, in dem ihre Fähigkeiten und Interessen selbstverständlich gefordert werden. Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen.

Denn Kinder, denen immer alles abgenommen wird und die nie eigene schlechte Erfahrungen machen können, neigen eher dazu, unselbständig und verunsichert zu werden. Sie haben nicht die Chance, sich selbst zu organisieren und eigene Erfolge auf ihrem ganz persönlichen Konto zu verbuchen. Sie lernen nicht, mit Niederlagen umzugehen, vor denen ihre Eltern sie ständig bewahren, und gehen somit nicht gestärkt aus Krisen hervor. Sprüche wie „Dazu bist Du noch zu klein“ oder „Das kannst Du noch nicht“ frustrieren und nehmen die Lust, Neues zu wagen.

Brennpunkt Schule

Wie heikel das beim Thema Schule werden kann, sollten sich Eltern bewusst machen: Wenn sie sich Zeit für ihre Kinder und deren schulische Entwicklung nehmen, mit ihnen lernen und sie unterstützen, können sie deren Schulleistungen positiv beeinflussen, das ist ein Fakt. Aber Grundschulkinder beispielsweise lernen noch nicht wirklich fürs Leben, sondern in erster Linie für Mama oder Papa. Wenn das Kind weiß, dass die Eltern auf gute Noten Wert legen, strengt es sich allein schon deshalb an. Bringt es dann trotz aller Bemühungen der Eltern nicht den gewünschten Erfolg nach Hause, kann das zu Minderwertigkeitskomplexen und Verunsicherung führen. Denn Kinder spüren, wie viel ihre Eltern in sie „investieren“ und wollen die Erwartungen erfüllen. Schaffen sie das nicht, reagieren sie oft mit einem „Das kann ich sowieso nicht“. Schwierig wird es, wenn Eltern ihren Rasenmäher auspacken, um dem Kind auch in der Schule eine Abkürzung zu ebnen, etwa, wenn sie mit Lehrern über Noten verhandeln oder einzelne Zensuren infrage stellen. Damit verhindern sie, dass ihr Kind sich alleine durchschlägt und geben ihm das Gefühl, nicht für sich selbst einstehen zu können. Und das kann Passivität und Unselbstständigkeit fördern.

Kinder brauchen ihre eigenen schlechten Erfahrungen!

Schlechte Noten, Streit mit Freunden oder Misserfolge im Sport – solche Probleme müssen Kinder alleine durchleben können, um daraus fürs Leben zu lernen. Sie brauchen ein gerüttelt Maß auch an schlechten Erfahrungen, um die Gewissheit zu erlangen, dass Niederlagen nicht das Ende der Welt bedeuten. An Problemen kann man wachsen und daraus lernen, wie man Krisen bewältigt. Das wappnet Kinder für zukünftige Aufgaben. Denn klar ist: Irgendwann müssen die Kleinen in die große Welt da draußen, in der nicht alle Menschen um ihre Bedürfnisse kreisen und Mama oder Papa nicht mehr Gewehr bei Fuß dastehen, wenn Schwierigkeiten auftauchen. Zudem kann man Kindern durchaus etwas zumuten, sie sind öft stärker und stabiler, als wir denken. Selbst festzustellen, dass ein Misserfolg kein Drama ist und sogar zu einem Erfolg werden kann, wenn man sich anders verhält oder Lehren daraus zieht für die Zukunft, ist eine Erfahrung, die immens wichtig ist für die Entwicklung. Scheitern muss auch erlaubt sein und als eine Option wahrgenommen werden können. Kinder brauchen die Freiheit, auch mal auf die Nase fallen zu dürfen. Wer seinem Kind jede Frustration und jedes schlechte Erlebnis erspart, nimmt ihm die Möglichkeit, daran zu reifen. Fehler zu machen, sollte erlaubt sein und nicht Versagensängste auslösen. Dazu benötigen Kinder Eltern, die Geduld und Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes haben. Und die immer da sind, wenn ihr Kind sie braucht, die aber auch in den richtigen Momenten loslassen können.

Kinder liebevoll STARK machen

Tipps für eine loslassende Erziehung

Wer gibt schon gerne zu, in die Kategorie Helikopter- oder Rasenmäher-Eltern zu fallen? Ein bisschen von beiden steckt sicher in jedem von uns. Gut ist, wenn wir als Mutter oder Vater immer wieder das eigene Verhalten reflektieren und uns öfter fragen, ob unsere Fürsorge genug, aber nicht zu viel ist. Und wir sollten Kinder zu starken, selbstbewussten und unabhängigen Persönlichkeiten erziehen, die ihr Leben irgendwann selbst in die Hand nehmen. Das kann dabei helfen:

Das rechte Maß finden
Versuchen Sie, dazusein, wenn Ihr Kind Sie braucht, aber ihm Raum zu geben, alleine zu sein. Nehmen Sie sich Zeit zum Zuhören, bringen Sie Ruhe in den Alltag Ihres Kindes und gönnen Sie ihm eigene Fehler – nur daraus kann es lernen.

Liebe zeigen
Sie lieben ihr Kind, zeigen Sie es ihm, indem sie viel toben, kuscheln und spielen. Aber machen Sie Ihre Liebe niemals abhängig vom Verhalten Ihres Kindes. Versuchen Sie, ihm das Gefühl zu geben, dass es liebenswert ist, genau so wie es ist, auch wenn manches nicht perfekt läuft.

Selbstständigkeit fördern
Auch wenn es Ihnen noch ein bisschen früh erscheint, lassen Sie zu, dass Ihr Kind neue eigene Erfahrungen machen kann. Egal ob es der erste Einkauf alleine beim Bäcker ist oder der Schulweg – diese kleinen Freiheiten machen selbstbewusst.

Nicht alle Wünsche erfüllen
„Ich geh heute mit meiner Mama in die Stadt, damit ich Wünsche bekomme!“ Viele Kinder sind übersättigt, weil sie zu viele Spielsachen haben und alles bekommen, was sie wollen, sodass sie keine Wünsche mehr haben. Auch wenn es lieb gemeint ist, dosieren Sie Geschenke und lassen Sie auch mal den ein oder anderen Wunsch offen, nicht nur beim Materiellen. Wichtig ist für Kinder, auch mit dem Frust des Unerfüllten umgehen zu können.

Bedürfnisse respektieren
Was will Ihr Kind? Bei der Schule müssen Sie es vielleicht motivieren, einen Lerngang zuzulegen oder es zum Durchhalten animieren. Nicht jedes Hobby muss aufgegeben werden, wenn es nach den ersten Wochen keinen Spaß mehr macht. Respektieren Sie aber immer die Bedürfnisse Ihres Kindes – bevormunden sollten Sie es nicht.