Kinder haben von Natur aus einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Bei manchen wird aus spielerischer Bewegung echtes Talent. Andere entwickeln sich eher zu Sportmuffeln. In beiden Fällen könnt ihr eure Kinder unterstützen.
Wenn Schüler der fünften Klasse am Aschaffenburger Friedrich- Dessauer-Gymnasium büffeln, dann sitzen ein paar Kinder in der letzten Reihe. Im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden müssen sie ganz schön strampeln während des Unterrichts. Denn sie sitzen auf Ergometern. Seit diesem Schuljahr gibt es das Pilotprojekt an der Schule: Im Klassenraum stehen Trimmräder, anstelle eines Lenkers haben sie kleine Pulte. Die Schüler lesen und schreiben bei moderatem Radeltempo, denn ins Schwitzen kommen sollen sie nicht. Wie positiv sich das auswirkt, konnte der österreichische Sportwissenschaftler Martin Jorde nachweisen: Nachdem er 2007 an einem Wiener Gymnasium Ergometer eingeführt hatte, registrierte er bei den „Fahrschülern“ einen Anstieg der Konzentrationsfähigkeit, bessere Lernleistungen, mehr Kondition und sogar sozialeres Verhalten.
Warum Bewegung schlau macht
An vielen Schulen geht die Tendenz in Richtung „bewegtes Lernen“. Stillsitzen über Stunden gilt nicht mehr als Tugend, Kinder werden zu Bewegung angespornt, etwa in zusätzlichen Sportstunden, bei Pausenaktivitäten oder Bewegungsspielen im Unterricht. Wissenschaftlich ist erwiesen, dass jede Art der Bewegung Antrieb für unsere Denkfabrik ist. Unser Gehirn lernt effektiver, wenn mehrere Sinne parallel angesprochen werden. Forscher des Max-Planck-Instituts in Leipzig haben festgestellt: Das Vokabellernen fällt leichter, wenn das Gehirn ein Wort mit unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen verknüpfen kann. Eine Hauptrolle spielt dabei das Bewegungssystem im Gehirn: Wer Wörter einer fremden Sprache nicht nur hört, sondern auch z. B. mit einer Geste ausdrückt, merkt sie sich besser. Das liegt daran, dass Motorik und Lernprozesse eng miteinander verbunden sind. Körperliche Aktivität wirkt über verschiedene Faktoren auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns und regt sogar die Neubildung von Nervenzellen an. Wer sich bewegt, beeinflusst kognitiven Gehirnfunktionen positiv und sorgt dafür, dass Informationen „nachhaltiger“ verarbeitet und gespeichert werden. Anstatt beim Hausaufgabenmachen konzentriert stillzusitzen, sollten Kinder also beim Lernen Gesten einsetzen, sich rhythmisch bewegen oder Inhalte laut wiederholen, damit sich das Wissen besser einprägt.
Einfach zum Davonlaufen: schlechte Laune & Stress
Trübe Gedanken, miese Stimmung, Wut im Bauch? Bewegung wirkt hier Wunder. Nach einem strammen Lauf sieht die Welt gleich wieder anders aus. Das ist kein subjektives Empfinden. Studien belegen, dass Sport gute Laune macht. Wer sich regt, regt die Ausschüttung der Botenstoffe Serotonin und Dopamin an. Beide sind für ihre stimmungshebende Wirkung bekannt. Vor allem die Produktion von Serotonin, auch als Glückshormon bezeichnet, lässt sich durch Aktivität ankurbeln. Regelmäßiges Training drosselt zudem die Ausschüttung von Stresshormonen wie Kortisol. Eine Runde Joggen kann den Kopf frei machen – und man geht die Herausforderung mit geringerem Stresslevel an.
Es lebe der Sport?!
Aber welcher Sport darf´s denn sein? „Was jedes Kind wirklich braucht, sind vielfältige Bewegungs- und Koordinationsreize für die Entwicklung des Nervensystems und des Gehirns,“ sagt Tobias Getrost. Bewegung sei wahre Nervennahrung, meint der Sportwissenschaftler, der eine Praxis für Sport- und Bewegungsheilkunde in Pfungstadt betreibt. „Kinder brauchen Bewegung, um Körpergefühl und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln.“ Ob Tennis, Hockey, Ballet oder Fußball – es kommt darauf an, dass überhaupt Sport getrieben wird. „Kinder sollten viele verschiedene Bewegungsformen kennenlernen und die Möglichkeit haben, spielerisch ohne äußeren Druck auszuprobieren, was ihnen gut tut und Spaß macht.“ Und was tun, wenn der Nachwuchs besonders talentiert erscheint? „Bei hohen sportlichen Ambitionen sollte eine Spezialisierung auf eine einzige Sportart möglichst lang offen gehalten werden,“ rät Getrost, der unter anderem auch ehemalige Hochleistungssportler betreut. „Ein Beispiel ist Dirk Nowitzki. Er kam über Turnen, Handball und Tennis erst mit 13 Jahren zum Basketball.“ Gleichgültig, welchen Sport Kinder und Jugendliche wählen, Einzel- und Gruppenerlebnisse, Freude und Misserfolg sind immer dabei. „Wichtig ist, die Bedürfnisse und Grenzen der Kinder zu respektieren und eine gewisse Dosis nicht zu über- oder unterschreiten. Als dauerhaften Lebensinhalt kann man Bewegung und Sport nur integrieren, wenn die Motivation selbstbestimmt und von innen kommt.“
1200 Stunden in der Schule, bis 1600 Stunden vor dem Bildschirm
So viel Zeit hat ein deutscher Schüler im Durchschnitt bis zum Ende der 9. Klasse sitzend verbracht. Bewegung gehört nicht mehr selbstverständlich in den Kinderalltag. Das Elterntaxi sichert den Transport von A nach B, Smartphone und andere technische Geräte bringen die Welt draußen nach drinnen. Viele Kinder haben in ihrem straffen Terminkalender keinen Platz mehr für ungeplantes Toben. Manche müssen sich regelrecht überwinden, rauszugehen. Laut der KIGGS-Studie verbringen etwa 20 Prozent der Jungen und rund 11 Prozent der Mädchen im Alter von 11 bis 17 Jahren mehr als sechs Stunden täglich mit Fernsehen, Spielekonsolen oder Computern.
Früh übt sich!
Die Mediennutzung tritt also in scharfe Konkurrenz zu körperlicher Aktivität. Der Mangel an Bewegung sorgt vor allem für motorische Defizite und Gewichtsprobleme. Auch psychisch macht sich das bemerkbar: Depressionen und psychosomatische Erkrankungen unter Minderjährigen nehmen zu. Dabei ist es nicht schwer, gegenzusteuern. Es kann Sport im Verein sein, im Garten zu rennen tut es aber auch. Wichtig ist, dass Kinder schon in jungen Jahren Spaß an Bewegung bekommen. Studien zeigen: Schon in der Grundschule sollten mindestens fünf bis sechs Stunden Sport pro Woche eingebaut werden, um einen präventiven Effekt zu erzielen.