Um Hilfe zu bitten, ist generell nicht leicht und frischgebackene Mütter tun sich oft besonders schwer damit. Dabei sind sie vor allem diejenigen, die eine helfende Hand oder eine Schulter zum Ausweinen gut gebrauchen könnten. Eine solche „Schulter“ bietet z.B. die Selbsthilfegruppe „Peripartale¹ Depressionen“ in Darmstadt. Die Leiterin und ehemals Betroffene Tanja Ernst sprach mit fratz über diese dunkle Zeit in ihrem Leben und darüber, wie sie sich heute engagiert.
„Mütter sind extrem leidensfähig!“
Ein Satz, der vielleicht auch Ihnen schon begegnet ist? Doch was, wenn man als Mutter nicht automatisch die Fähigkeit mitbringt, viel ertragen zu können? Die Folge sind oft Schuldgefühle und Versagensängste. Doch warum eigentlich? Woher kommt dieser Hang zum Perfektionismus? Nach außen hin keine Schwäche zeigen, keine Hilfe annehmen zu wollen!?
Frauen heute – Multitasking für Fortgeschrittene
Die Ansprüche an Frauen – auch ihre eigenen – sind heute enorm. Sie sind nicht mehr „nur“ Mutter, „nur“ Hausfrau, „nur“ Karrierefrau, sondern meist alles auf einmal: geduldige Mutter und gutaussehende Ehefrau, die bereits kurz nach der Geburt wieder in die alten Klamotten passt. Tüchtige Hausfrau und gutgelaunte Freundin, die immer ein offenes Ohr hat. Ehrgeizige Karrierefrau, die in der Freizeit auch noch aktiv ist und ihren Hobbies nachgeht. Soweit zumindest das Idealbild. Ganz schön viel Druck, oder?
Muttersein – die Rolle unseres Lebens
Und dann wird man eine Mama… Und das Perfekt-sein-wollen scheint nie wichtiger als in dieser Lebensphase. Man möchte alles richtig machen, denn es geht ums eigene Kind. Eltern sind heute so reflektiert in ihrer Erziehung wie kaum eine Elterngeneration vor ihnen. Das ist gut – auf der einen Seite. Auf der anderen Seite können Mütter darum oft nicht gelassen sein. Leistungsdruck, aber auch hormonelle Probleme (z.B. eine Schilddrüsenerkrankung) führen nicht selten zu postnatalen Depressionen: 15-20 Prozent aller Jungmütter sind davon betroffen! Postnatale Depressionen treten nach einer Schwangerschaft auf. Doch manchmal beginnt die Depression auch schon währenddessen.
Wenn das Glück auf sich warten lässt
“Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind.” (Gertrud von Le Fort)
Tanja Ernst hat nach ihrer ersten Geburt selber erlebt, wie schwierig der Start in die Mutterrolle sein kann: Nach zwölf Wochen kam die Traurigkeit und das Gefühl, ihr Kind nicht so versorgen zu können „wie es sich gehört“. Die Folge: Schuldgefühle, Versagensängste und viele Tränen. „Ich habe nur noch geweint, geweint, geweint. Ich habe mich selber als „Rabenmutter“ gesehen, weil meine Tochter mir ein bisschen fremd war. Ein Tabuthema, das in der Gesellschaft oft auf Unverständnis stößt: Man hat nach der Geburt glücklich zu sein, man hat sich das doch so gewünscht! Vor allem ist es schwer, sich selbst einzugestehen, dass man keine Beziehung zu seinem Wunschkind aufbauen kann – dass man keine „perfekte“ Mutter ist.
Um Hilfe bitten erfordert Stärke!
Wird die Krankheit nicht behandelt, kann das fatale Folgen haben – bis hin zu Zwangsgedanken und Psychose mit Suizid. Tanja Ernst hat es geschafft, sich Hilfe zu suchen. Im Internet stieß sie auf den Verein „Schatten & Licht“ und konnte ihrer Krankheit endlich einen Namen geben. Hier bekam sie Informationen und Adressen an die Hand. In der Selbsthilfegruppe, die sich einmal im Monat in Darmstadt traf, bekam sie den Tipp, sich auf jeden Fall psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Je eher, desto besser sei die Heilungschance.
Und heute?
Die postnatale Depression kann bis zu einem Jahr nach der Geburt noch auftreten. Heute hat Tanja Ernst eine weitere Tochter von 14 Monaten – und damit die kritische Zeit überstanden! Sie übernahm die Leitung der Selbsthilfegruppe – um sich selber zu helfen und auch anderen. Dort treffen sich Betroffene und Ehemalige. „Wenn man in der Erkrankung steckt, hat man das Gefühl, dass es immer so bleibt und das macht sehr, sehr große Angst. Darum ist es hilfreich zu hören, es geht vorbei.“ Tanja Ernst wünscht sich, dass das Thema peripartale Depression in allen Geburtsvorbereitungs-Kursen angesprochen wird – und sei es nur kurz: „Wahrscheinlich betrifft es Euch nicht, aber wenn, behaltet es im Hinterkopf – es gibt Hilfe!“
Traumatische Geburt – Ein schwieriger Start
Oft steht am Beginn einer postnatalen Depression eine schwierige oder traumatische Geburt: per Kaiserschnitt, mit Dammschnitt oder als Zangengeburt. Ein Arzt, der unterstützend auf den Bauch der Schwangeren presst, weil das Kind steckengeblieben ist, aber in dem Moment keine Rücksicht darauf nehmen kann, dass dies für die Frau unerträglich ist… Dies sind nur einige Szenarien, die dazu führen können, dass eine Frau nach der Geburt ihres Kindes traumatisiert und unglücklich ist. fratz sprach darüber mit Hebamme Barbara Trübner.
Barbara Trübner kümmert sich in ihrer Praxis um Frauen, die eine Kränkung und Verletzung ihrer Weiblichkeit erfahren haben. Frauen, die während der Geburt das Gefühl von Selbstbestimmung verloren haben und erleben mussten, dass andere über sie entscheiden. Und die nicht nur seelische sondern auch körperliche Schäden davongetragen haben, z.B. schmerzende Dammnarben oder ein schmerzendes Steißbein.
Die Geburt als Trauma
Die meisten Frauen führen heute ein selbstbestimmtes Leben. Sie sind es nicht gewohnt, schwach sein zu dürfen. Das Idealbild sieht so aus, dass eine Mutter ihr Kind zur Welt bringt, direkt danach topfit vom Bett springt und spätestens sechs Wochen später in ihre alten Klamotten passt. Eine Geburt, die ganz anders verläuft als gewünscht und erwartet, kann dann sehr enttäuschend und traumatisch sein. Und das Gefühl hervorrufen, nicht „gut genug“ zu sein. Alles, was nicht verarbeitet wurde, kann zu einem Trauma führen: Zum Beispiel dass das Kind nicht geatmet hat oder dass es nicht bei der Mutter lag, weil sie noch in der Narkose war. „Ist nicht schlimm, ist nichts passiert, war ein Kaiserschnitt, Kind ging’s schlecht, war alles legitim. Aber die Frau wird wach und ihr Traum von ihrer Geburt war doch ein ganz anderer“, beschreibt Trübner.
„Seien Sie froh, Ihr Kind ist gesund!“
Die Folgen einer traumatischen Geburt sind vielfältig: Probleme beim Stillen, postnatale Depressionen, die Sexualität leidet, der Verkehr tut weh, die Geburtsverletzungen tun weh. Frauen werden aus Angst nicht noch mal schwanger, obwohl sie gerne noch ein Kind hätten. Und auch ein Schreibaby kann ein Symptom für eine traumatische Geburt sein: „Das Kind findet seine Mutter nicht, weil sie immer noch in ihrem Trauma steckt“, so Trübner. Sobald das Kind betroffen ist, kommen die Frauen sehr früh, um sich Hilfe zu suchen, erklärt sie. Ansonsten sei die Hemmschwelle aber groß. Die Frauen bekommen Dinge zu hören wie: „Seien Sie froh, ihr Kind ist gesund!“ Die Geburtsverletzung wird meist nicht als wirkliche Verletzung anerkannt.
Endlich ernst genommen werden
In der Praxis von Barbara Trübner werden Mütter in der Gesprächstherapie oft zum ersten Mal wirklich ernst genommen und gehört – eine heilsame Erfahrung, die dazu führt, dass die Frauen sich selbst besser kennenlernen, herausfinden, was ihnen im Alltag die Kraft raubt. „Wir reden nicht genug über das Thema Geburt, über das, was Frauen sich wünschen. Im Gespräch kommen wir zu der Stelle, an der die Frau bei der Geburt „ausgestiegen“ ist oder an der sie den Schmerz erlebt hat. Dort setze ich an und arbeite mit ihr.“ Ein weiterer Aspekt ist die Körperarbeit: Barbara Trübner benutzt ihre Hände, um Entspannung zu erzeugen und arbeitet auch mit den Verletzungen, den Dammschnitten, mit den inneren Narben. „Ich hatte eine Frau, die kam mit Steißbeinbeschwerden. Seit drei Jahren saß sie im Auto auf einem Sitzring. Nach der Behandlung fuhr sie normal nach Hause.“
Seid mutig und holt Euch Hilfe!
Den Frauen möchte Barbara Trübner mit auf den Weg geben, dass sie mutig sind und dazu stehen, wenn es ihnen nicht gut geht. Und sich Hilfe holen. „Ich würde den Frauen gerne sagen, dass sie sich wieder mehr auf ihre Intuition verlassen und sich Mitstreiter suchen. Das kann z.B. auch die Hebamme sein.“
Mutter werden ist oft schwer – Mutter sein noch viel mehr. Jede Mutter muss in diese neue Rolle hineinwachsen, sich neu finden. Haben Sie Verständnis für die eigene Situation! Sich wenn nötig Hilfe zu suchen, ist der erste Schritt auf dem Weg eine selbstbewusste Mutter zu werden, die Freude an ihrem Kind und dem neuen Leben mit Familie hat – mit allen Höhen und Tiefen, die dazu gehören!