Kennt ihr das? Familientrubel und Job-Stress zehren an den Nerven, Stimmung und Nacken sind angespannt. Höchste Zeit für Entschleunigung! Entspannungslehren wie Yoga helfen dabei, Stress abzubauen, innere Kraftreserven zu mobilisieren und uns von der Hektik des Alltags zu lösen. 

Die Sonne, die an diesem Vormittag durchs Fenster scheint, taucht den großen Raum in ein freundliches Licht. Klangschalen, Kerzenleuchter und fernöstliche Porträts an den Wänden bringen ein anheimelndes Ambiente in die schlichte ehemalige Fabrikhalle mit den hohen Decken. Rund zehn Frauen haben sich auf bequemen Matten versammelt, vor sich ihre Babys auf Krabbeldecken – wir sind im Rückbildungs- Yoga von Yogalehrerin Anne Kompenhans im Darmstädter Westen.

Fernöstliche Lebenslehre

Yoga ist ein Jahrtausende altes philosophisches System aus Indien. Seit einigen Jahrzehnten ist es, teilweise modernisiert und modifiziert, in verschiedenen Formen und bei unterschiedlichen Zielgruppen auch hierzulande sehr populär. Was macht Yoga eigentlich so universell nutzbar und beliebt? Yogalehrerin Anne Kompenhans, die das Studio Yoga in der Nähe des Darmstädter Hauptbahnhofs betreibt und auch selber Yogalehrer ausgebildet hat, versucht eine Erklärung: „Egal auf welchem Niveau du bist – im Yoga kommst du direkt bei dir an. In der Verabredung mit dir selbst findest du Ruhe und Klarheit, der Kopf wird leer, die Energie kommt zurück und du pendelst dich in deiner Mitte ein.“ Die Frauengruppe im Studio ist inzwischen mitten in der Anfangsentspannung, die stets am Beginn der Kursstunde steht. Im Hintergrund erklingt sanfte orientalische Musik. „Bring dich durch bewusstes  Atmen in den Raum hinein. Lass den Atem natürlich fließen, atme entspannt über ein ‚F´“, ermutigt Anne Kompenhans die Teilnehmerinnen.

Asanas und Atemtechnik

Das Ziel im Yoga ist es, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen und so zu mehr Vitalität und Gelassenheit zu gelangen. Das wird durch Körperübungen – die Asanas –, bewusstes Atmen und Meditation erreicht. Anne Kompenhans: „Indem wir die   Aufmerksamkeit aufs Atmen lenken, beginnt die Meditation. Die Kunst ist es, im Jetzt zu sein und zu bleiben und nicht beim Einkauf fürs Abendessen etc.“ Die Körperübungen sind also ursprünglich Mittel zum Zweck. Und sie können durchaus fordernd sein. „Yoga führt dich an körperliche Grenzen. In den Asanas werden Muskeln intensiv gedehnt und trainiert. Das bringt die Teilnehmer ganz schön ins Schwitzen –Männer übrigens mehr als Frauen, weil sie einfach mehr Muskelmasse haben“, erzählt Anne Kompenhans. Das Schöne: Die sportliche Betätigung artet nicht in Leistungsdruck oder gegenseitiges Vergleichen aus. „‚Beweiseritis’ gibt es bei uns nicht“, wie Anne Kompenhans es ausdrückt. Übertriebener sportlicher Ehrgeiz ist im Yoga fehl am Platz. Im Yogakurs sind wir jetzt mitten drin in den Körperübungen, die langsam aufeinander aufbauen. Sie heißen Krieger, Dreieck, Kobra, Vorbeuge oder herabschauender Hund, bei dem man mit ganz geradem Rücken und gestreckten Beinen eine Art Brücke bildet. Die Bewegungen werden langsam und bewusst ausgeführt, ab und zu gibt Anne Kompenhans einen Tipp zur Korrektur oder bremst ein übermotiviertes Tempo. Die Blicke sind konzentriert, die ersten Schweißtröpfchen bilden sich.

Vielfalt der Stile

Was ist Yoga nun eigentlich: spirituelle Philosophie, schweißtreibende Sportart oder vielleicht eher Gesundheitsprophylaxe? Je nach Stil trifft alles mehr oder weniger zu, wobei die Unterschiede im Einzelnen recht groß sein können. Das körperbetonte Hatha- Yoga ist die bekannteste Form und Wurzel aller modernen Yoga-Variationen. Eher spirituell- meditative Akzente setzt Kundalini-Yoga. Iyengar-Yoga achtet besonders auf exakt ausgeführte Übungen und setzt dazu Hilfsmittel wie Gurte und Klötze ein. Beim Ashtanga-Yoga, Vinyasa-Yoga, Power-Yoga, Jivamukti-Yoga oder Bikram-Yoga kommen  Fitnessbewusste auf ihre Kosten: Schnelle und fließende Bewegungen trainieren intensiv die Kondition. Dazu gibt es Angebote für spezielle Altersgruppen oder Lebenssituationen. Yoga für Kinder, für Schwangere und junge Mütter, für Berufstätige in der Mittagspause, für Ältere, für Frauen in den Wechseljahren … Manch einer beginnt wegen konkreter Beschwerden oder Bedürfnisse, entdeckt den Nutzen und Spaß daran und bleibt dann dabei. Wie Silke (39): Sie hat in der Schwangerschaft mit Yoga angefangen, war begeistert und hat auch für die Rückbildung Yogakurse besucht. Inzwischen hat sie zwei Kinder und praktiziert weiterhin Yoga: „Ich bin eigentlich gar nicht spirituell veranlagt, aber die Yogastunden passen für mich einfach super in meinen Alltag zwischen Job und Familie. Einmal die Woche schüttle ich im Yoga Rost ab, danach bin ich wieder beweglich.“ Nach wie vor haben manche Menschen bei Yoga ganz konkrete Bilder im Kopf: asketische Yogis in komplizierten Körperverrenkungen, esoterische Denkmodelle, streng fernöstlicher Habitus. Anne Kompenhans relativiert diese Vorstellung: „Bei uns wird zwar auch am Ende des Kurses „ge-omt“, aber wir sind nicht super“spiri“. Wenn man Yoga spielerischer und moderner umsetzt, kann man damit wirklich jeden ansprechen. Bei uns trainieren viele Männer, zum Beispiel Triathleten und Läufer, die so ihre Leistungen optimieren.“ Auch viele Manager gehen zum Yoga, weil sie dadurch klarer und strukturierter werden und ihnen damit die Arbeit leichter fällt. Die große Mehrzahl der rund 2,6 Millionen Yoga-Praktizierenden in Deutschland sind aber nach wie vor Frauen. Geeignet ist Yoga für jede und jeden, der bereit ist, sich auf die Philosophie einzulassen. Auch körperlich muss man keine besonderen Voraussetzungen mitbringen. Gute Yogalehrer holen die Teilnehmer da ab, wo sie stehen. Eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht, Kursteilnehmer in den Siebzigern sind keine Seltenheit.

Für unterschiedlichen Bedürfnisse

Um das für sich passende Angebot zu finden, sollte man ruhig verschiedene Stile ausprobieren und schauen, wo man ein gutes Gefühl hat. Anne Kompenhans rät: „Am besten lässt man sich im Yogastudio beraten und startet dann mit einem Einsteigerkurs. Viele Lehrer ermöglichen eine unverbindliche Probestunde oder haben ein günstiges Schnupper- Angebot. So kann man gleich feststellen, ob die Chemie stimmt – denn es ist ganz wichtig, dass man sich wohlfühlt und ‚seinen’ Lehrer findet.“ Experten raten davon ab, Yoga nur mit Büchern, DVDs oder Online-Tutorials zu lernen. In einem Kurs können die dahinter stehende Denkhaltung besser vermittelt und Ausführungsfehler korrigiert werden. Später macht es durchaus Sinn, die Übungen auch zu Hause zu praktizieren. „Denn ideal ist zwei- bis dreimal Yoga pro Woche, wenn du eine Veränderung in deinem Leben spüren willst. Fürs Alleine-Üben solltest du aber mindestens ein Jahr Yoga-Erfahrung haben“, empfiehlt Anne Kompenhans.

Die heilende Kraft von Yoga

Dass Yoga nicht nur Vitalität und Wohlbefinden stärkt, sondern auch ganz konkret bei  Krankheiten positive Wirkung entfalten kann, ist durch zahlreiche Studien bewiesen. Viele Krankenkassen erkennen qualifizierte Yogakurse als Präventionsmaßnahme an und bezuschussen die Kosten. Bei Schmerzen, etwa des Bewegungsapparats oder Spannungskopfschmerz, aber auch Herz- Kreislauf-Problemen oder Depressionen kommt Yoga erfolgreich zum Einsatz. Auch bei den Frauen der Rückbildungs-Runde im Yoga-Studio ist die heilende Kraft von Yoga ein Thema. „Können wir heute spezielle Übungen gegen Rückenschmerzen machen?“, kam gleich zu Kursbeginn die Bitte. Nach ihrer Motivation befragt, fassen die Teilnehmerinnen treffend zusammen, was für sie das Wesen der fernöstlichen Lehre ausmacht: „Hier kann ich mir selber was Gutes tun, und das in einer schönen Atmosphäre, wo auf jeden eingegangen wird“, erzählen Julia (39), Annika (29) und Philine (37). „Und der Muskelkateralarm nach der Stunde gehört auch dazu“, ergänzt Patti (36). In diesem Sinne: Auf die Matte, fertig, los!

Tipps für Yoga-Einsteiger

Kurs statt Einzelkämpfer | Lernt als Anfänger Yoga lieber mit einem qualifizierten Lehrer. Beim Selber- Lernen schleichen sich schnell Fehler ein. Und: In der Gruppe macht es einfach mehr Spaß.

Der passende Stil | Probiert die verschiedenen Richtungen aus. Nicht alles passt zu jedem.  Nutzt Probetrainings oder Mini-Kurse und scheut euch nicht, öfter mal zu wechseln, bis ihr das Richtige gefunden habt.

Lehrer finden | Oft können Freundinnen Tipps geben. Auch die Website des Berufsverbands der Yogalehrenden in Deutschland listet viele Anbieter (www.yoga.de). Wichtig ist, dass Sympathie da ist. Und: Gute Lehrer geben bereitwillig Auskunft über ihre Qualifikation.

Ausrüstung | Bequeme Kleidung reicht, das muss kein spezielles Yoga-Outfit sein. Man übt barfuß oder in Socken. Yogamatten werden oft im Studio zur Verfügung gestellt.

Regelmäßig üben | Einmal die Woche im Kurs ist das Minimum, mehr ist besser – dann stellen sich bald Fortschritte ein.

Gesundheitslimits beachten | Wer eine chronische Krankheit hat oder frisch operiert wurde, sollte vorher seinen Arzt fragen und den Yogalehrer informieren. Der kann die Übungen dann anpassen.

Achtsam trainieren | Übertriebener Ehrgeiz kann zu Verletzungen führen und steht auch  dem Wesen von Yoga entgegen.

Kassenzuschuss nutzen | Informiert euch vorab bei eurer Kasse, welche Bedingungen zu erfüllen sind (Qualifikation des Lehrers, Mindestteilnahme etc.). Oft kann die Krankenkasse auch direkt Kursangebote nennen

In Balance bleiben – weitere Entspannungsmethoden

Autogenes Training | Mit kurzen, wiederholten Gedankenformeln sendet man beim autogenen Training einzelnen Körperteilen Botschaften, die zu besserer Durchblutung und Entspannung führen. Der Körper wird durch systematisch aufgebaute, autosuggestive Übungen auf Erholung  eingestellt. Die Folge: Der Kreislauf wird ruhiger, der Kopf klar, die Konzentration steigt, negative  Gefühle bauen sich ab.

Gedankenreise | Bei einer Fantasiereise macht man quasi Ferien im Kopf. Wer sich in der Vorstellung an einen karibischen Sonnenstrand träumt oder gedanklich durch den eigenen Körper wandert, verschafft sich eine kleine Auszeit, bei der sich Puls und Atmung verlangsamen und die  Muskulatur lockert. Das Wohlgefühl, das die inneren Bilder produzieren, strahlt noch weit in den Alltag hinein.

Meditation | Beim Meditieren konzentriert man seine Aufmerksamkeit auf eine Sache – ein Bild, ein Wort oder bewusstes Atmen –, bei der die Wahrnehmung verankert wird und den Geist zur Ruhe bringt. So trainiert man, die Gedanken kommen und gehen zu lassen, und gewinnt auch im Alltag Abstand von Problemen. Auch Kurse zur Stressbewältigung durch Achtsamkeit  („Mindfulness-Based Stress Reduction“) basieren auf meditativen Elementen.

Progressive Muskelentspannung | Die progressive Muskelentspannung nutzt die Erkenntnis, dass muskuläre und psychische Anspannung miteinander gekoppelt sind. Nacheinander werden einzelne Muskelpartien intensiv angespannt, die Spannung wird kurz gehalten und gelöst. So senken sich das Erregungsniveau und die psychische Anspannung im ganzen Organismus.

Qigong | Die asiatische Konzentrations- und Bewegungslehre bedeutet übersetzt „die Kunst, die  eigene Lebensenergie (Qi) zu erhalten und zu pflegen“. Qigong lässt sich im Gehen, Stehen, Sitzen oder Liegen praktizieren. Langsame, fließende Bewegungen werden mit einer  bewussten, tiefen Atmung und inneren Bildern verbunden. Sie haben das Ziel, mit sich selbst, seinem Umfeld und der Natur mehr in Einklang zu kommen. So können die Haltung verbessert, Verspannungen und Blockaden gelöst und psychische Belastungen reduziert werden.

Tai-Chi | Tai-Chi zählt in Asien zu den sogenannte inneren Kampfkünsten. Die Übungen bestehen aus einer längeren choreografischen Abfolge von Bewegungen mit Schritten und Drehungen. Sie sollen bewirken, dass die Energie entlang der Meridiane ungehindert durch unseren Körper fließen kann. Tai-Chi trainiert auf sanfte Weise Muskeln und Gelenke und löst Verspannungen. Die Sauerstoffversorgung wird verbessert, das vegetative Nervensystem stabilisiert.