Patchwork-Familien sind auf dem Vormarsch. Der bunte Flickenteppich aus leiblichen Eltern im und außerhalb des Haushalts, aus Stiefmüttern und -vätern, angeheirateten Großeltern und Halb- und Stiefgeschwistern ist für immer mehr Kinder Alltagsrealität. fratz hat eine Familie besucht, die erfolgreich ihr ganz persönliches Patchwork-Muster lebt. Dazu gibt es Tipps von Fachleuten und Betroffenen, die zeigen, wie aus der Stieffamilie eine stabile Gemeinschaft werden kann.
Mama – Papa – Kind?
Ganz so einfach ist es nicht bei Andrea und ihrer Familie. Die 42-Jährige und ihr Mann Stefan (46) leben mit den gemeinsamen Kindern Helena (2) und Baby Anton sowie Lea, Andreas dreizehnjähriger Tochter, in Darmstadt. Dann gibt es da noch Stefans siebenjährigen Sohn aus einer früheren Beziehung. Er kommt alle zwei Wochen zu Besuch. Lea wiederum fährt regelmäßig zu ihrem Papa, der mit seiner neuen Partnerin inzwischen zwei weitere Kinder hat. Klingt kompliziert. Aber Andrea will ihre Situation gar nicht als etwas Besonderes charakterisieren. „Zwei unserer Kinder haben ein paar mehr Eltern, aber sonst unterscheidet uns eigentlich nichts von einer normalen Familie.“ Diese entspannte Gelassenheit und Harmonie waren aber nicht von Anfang an selbstverständlich.
Holpriger Start ins Familienleben
Andrea hatte sich bald nach Leas Geburt von ihrem Partner getrennt und war lange alleinerziehend gewesen. Sie erzählt: „Lea hatte von Anfang an Kontakt zu ihrem Vater. Aber sie hat sich damals sehr gewünscht, in einer kompletten Familie zu leben wie ihre Freundinnen auch. Sie hat sogar zeitweise versucht, für mich einen Mann auszusuchen. Als ich dann Stefan kennenlernte – da war Lea neun –, freute sie sich sehr.“ Doch bald schlägt die Stimmung um. Plötzlich muss Lea ihre Mama, mit der sie jahrelang in enger 1:1-Beziehung gelebt hatte, mit einem Mann teilen. Sie wird eifersüchtig und es gibt immer wieder Streit. „Auch wir Erwachsenen mussten uns ja erst mal auf die neue Situation als Paar einstellen, unsere eingespielten Gewoh
nheiten ändern und uns oft zurücknehmen. Manchmal habe ich da schon gedacht: Allein war‘s doch einfacher …“ Stefan, der zuvor nicht mit der Mutter seines Kindes zusammengelebt hatte, wird nun gleich in eine Familie hineinkatapultiert, in der eine vorpubertierende Tochter seine Meinung nicht ernst nimmt und sich nichts sagen lassen will.
„Reden ist das Wichtigste“
„Wir haben Lea aber in vielen Gesprächen klargemacht, dass wir die Erwachsenen und damit die Chefs sind und dass das, was Stefan sagt, genauso gilt, wie wenn ich es sage“, erinnert sich Andrea. Überhaupt ist Reden das Wichtigste, meint sie: „Immer im Gespräch bleiben – das hat uns durch die anstrengende erste Zeit hindurchgeholfen. Dabei auch die Kinder mit einbeziehen: sie fragen, was sie stört, und selber klar artikulieren, worunter man leidet.“ Unverzichtbar ist auch Geduld. Man sollte nicht nur den Kindern, sondern auch dem Partner und sich selbst Zeit zugestehen: Zeit, sich einzufinden und zu einer Familie zusammenzuwachsen. „Bei uns hat es rund ein Jahr gebraucht, bis wir alle richtig zusammengepasst haben“, schätzt Andrea.
Eifersucht und schlechte Laune
Andrea und Stefan unternehmen in der Anfangszeit sehr viel zusammen mit Lea: Ausflüge, Picknicks, Schwimmbadbesuche. „Das hat uns sehr gut getan und näher zueinander gebracht, auch die Stiefgeschwister untereinander.“ Auch Gesellschaftsspiele sind so ein Bindeglied – und manchmal auch ein Blitzableiter: „Wenn mal dicke Luft herrschte, haben wir die Spielesammlung rausgeholt und eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt. Danach waren alle wieder entspannter.“
Eine neue Dynamik im Familiengefüge entsteht dann, wenn weitere Kinder geboren werden. Lea, die sich immer Geschwister gewünscht hat, freut sich riesig, als sie hört, dass ihr leiblicher Papa mit seiner neuen Frau ein Baby erwartet. Sie plant schon die Platzierung des Babybetts zu Hause in ihrem Zimmer – und ist tief enttäuscht, als sie realisiert, dass das Geschwisterchen nicht mit ihr im Haushalt leben wird. Dazu kommt, dass sie sich die Aufmerksamkeit der väterlichen Großeltern nun mit dem attraktiven Neuankömmling teilen muss …
Die Stiefmutter-Perspektive
Aus einer etwas anderen Perspektive, nämlich als Stiefmutter, hat Marlies Hein die Besonderheiten einer Patchwork-Familie erlebt. Sie hat die Kinder ihres Mannes mit großgezogen und fand dabei Unterstützung in der Stiefmütter-Selbsthilfegruppe Frankfurt, die inzwischen seit 20 Jahren besteht. Nach ihren Erfahrungen brauchen Kinder in Stieffamilien, die im allgemeinen schon die Trennung der Eltern erlebt haben, besonders viel Zuwendung und Unterstützung, alle Beteiligten sind aber auch mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. „In Stieffamilien mischen ganz viele Menschen mit, unter Umständen haben die Kinder vier Großelternpaare, die auch gerne ein Wörtchen mitreden wollen. Das alles zu koordinieren und zu organisieren, dabei alle mitzunehmen, ist nicht immer einfach.“ Für Stiefmütter ist manchmal auch das Verhalten ihres Partners, also des leiblichen Vaters, problematisch: Oft hat er Schuldgefühle gegenüber seinen Kindern – etwa weil er die Familie verlassen hat – und schafft es nicht, ihnen Grenzen zu setzen. Wenn das dann die Stiefmutter übernimmt, gilt sie schnell als „die Böse“. Dazu kommt, so Marlies Hein: „An Stiefmütter stellt die Gesellschaft höhere Erwartungen als an Stiefväter: Es wird automatisch eingefordert, dass man dem Kind eine Mutter ist“ – eine Aufgabe, die nicht jede Frau in vollem Umfang erfüllen kann oder will. Denn für das Zusammenwachsen als Familie braucht es vor allem Zeit, bestätigt sie.
Leiblicher Elternteil in der Pflicht
Aus ihrer Arbeit in der Selbsthilfegruppe hat Marlies Hein eine Reihe weiterer Empfehlungen: „Als Stiefelternteil sollte man sich möglichst wenig in die Erziehung einmischen. Es ist besser, in Konfliktsituationen den leiblichen Elternteil in die Pflicht zu nehmen, denn die Hauptverantwortung liegt bei ihm. Es sind schließlich seine Kinder, er muss Regeln festsetzen und sich voll engagieren.“ Dass im Alltag immer wieder Belastungen entstehen, ist in jeder Familie normal. In Stieffamilien ist es aber besonders wichtig, dass beide Partner in Erziehungsfragen an einem Strang ziehen und gemeinsame Lösungsstrategien finden, so Hein. „Sonst werden die Kinder Sie ständig gegeneinander ausspielen.“ Und auch wenn es manchmal schwerfällt: Vor den Kindern sollte man niemals schlecht über den abwesenden leiblichen Elternteil sprechen. Das würde sie in schwere Konflikte stürzen und das Verhältnis aller belasten. Und schließlich: „Die Bedürfnisse jedes Familienmitglieds müssen berücksichtigt werden: Nehmen Sie sich Zeit für sich und für Sie beide als Paar! Nur so können Sie vermeiden, dass Ihre Beziehung nicht untergeht.“ Eine große Hilfe war für Marlies Hein der Austausch mit anderen Stiefeltern in der Selbsthilfegruppe. „Ohne diese Gruppe hätte es die eine oder andere von uns nicht geschafft, die Herausforderungen in ihrer Stieffamilie zu meistern“, erzählt sie im Rückblick. Mittlerweile sind die Kinder der Familie Hein gut geratene Erwachsene und Marlies Hein möchte „die spannende und bereichernde Erfahrung als Stiefmutter um nichts in der Welt missen“. Sie ist überzeugt: „Eine Stieffamilie ist das beste Lernprogramm, um Toleranz, Geduld und Kompromissbereitschaft zu üben.“
Bedürfnisse der Kinder im Blick behalten
Und noch ein Perspektivenwechsel: Während sich Mutter oder Vater meist bewusst und mit Freude für eine neue Partnerschaft entscheiden und die gemeinsame Wohnung als Krönung ihrer Liebe sehen, entspricht diese neue Konstellation in der Regel nicht dem Wunsch der betroffenen Kinder – sie finden sich in einer Patchwork-Familie, ob sie wollen oder nicht. Das sollten sich die erwachsenen Patchworker immer wieder klarmachen, meint Diplom-Sozialpädagogin Karin Bernet. Als hauptamtliche Mitarbeiterin beim Kinderschutzbund in Darmstadt ist es ihr wichtig, den Blick der Eltern auf ihre Kinder zu stärken. Es ist Aufgabe der Eltern, eine gute Situation für die Kinder zu schaffen. Denn das Auseinanderbrechen der alten Familie und das Zusammenfügen neuer Strukturen kann ein Kind in eine tiefe Krise stürzen, so die Sozialpädagogin. Je nach Temperament reagieren Kinder ganz unterschiedlich auf Spannungen. Manche werden aggressiv, andere ziehen sich zurück und verweigern zum Beispiel plötzlich den Kontakt zum anderen Elternteil. „Das muss aber nicht sein“, erklärt Bernet. „Krisen gehören nun mal zum Leben dazu. Und wenn die Situation von den Erwachsenen gut begleitet wird und sie die Belange der Kinder berücksichtigen, kann ein Kind damit durchaus zurechtkommen.“ Begleiten heißt zum einen Regeln und Orientierung geben, und zum anderen – ganz konkret und wichtig angesichts all der Veränderung – gemeinsam überlegen, was stabil bleiben kann: „Zum Beispiel den wöchentlichen Tag bei der Oma auch nach der Trennung beibehalten oder weiterhin jeden Samstag auf den Fußballplatz gehen.“ Dazu sind zwar manchmal mühselige Absprachen zwischen den Konfliktparteien nötig, aber es hilft den Kindern, in die neue Situation hineinzuwachsen. Und noch einen Tipp hat Karin Bernet: „Unternehmen Sie auch noch was in den alten Rollen, machen Sie also öfters mal einen Ausflug allein mit den Kindern – auch wenn Sie frisch verliebt Ihren neuen Partner lieber dabei hätten.“ Wenn Fragen auftauchen oder Schwierigkeiten bleiben, sind Einrichtungen wie der Kinderschutzbund oder die Erziehungsberatung eine gute Anlaufstelle. Schon eine telefonische Erstberatung kann neue Impulse geben und die richtige Richtung im Beziehungsdschungel aufzeigen.
Bonus-Eltern
Wer sich lieber allein Anregungen und Hilfe suchen will, findet zum Thema viele Bücher mit praxisnahen Ratschlägen, Übungen und Hintergrundinfos. Auch der bekannte dänische Pädagoge und Familientherapeut Jesper Juul hat eines geschrieben: „Aus Stiefeltern werden Bonuseltern“. Juul bevorzugt diesen optimistischen, nach vorne gerichteten Ausdruck und beschreibt in seinem Buch, wie Bonus-Elternteil und Bonus-Kind eine gute Beziehung aufbauen können. Seine wichtigsten Tipps: das Kind so annehmen, wie es ist; nicht in die Rolle des Erziehers schlüpfen, sondern durch Vorbild und authentisches Verhalten die Stimmung in der Familie beeinflussen. Und Freundschaft anbieten, in der man im besten Fall eine Art Elternrolle übernimmt. Doch das, so Juul, dauert zwischen fünf und zehn Jahren!
Das Fazit all dieser Schlaglichter: Im Idealfall können die unterschiedlichen Mitglieder einer Stieffamilie also zu einem harmonischen Ganzen zusammenwachsen. Patchwork ist dann kein minderwertiges Flickwerk, sondern ein mit Geduld und Mühe kunstvoll zusammengefügtes individuelles Einzelstück, auf das alle Beteiligten stolz sein können.
Hilfen vor Ort
Erziehungsberatung Darmstadt
Tel. 06151-35060, erziehungsberatung@darmstadt.de. Kostenfreie Beratung. Offene Sprechstunde Mo. 16 – 17.30 Uhr
Deutscher Kinderschutzbund
Bezirksverband Darmstadt e.V., Tel. 06151-3604150, info@dksb-darmstadt.de. Kostenfreie Beratung. Eltern-Stress-Telefon Di. 10 – 12 Uhr, Do. 14 – 16 Uhr
Stiefmüttergruppe Frankfurt
Kontakt: Silvia Wolf, E-Mail piwis2000@aol.com
Literaturtipps
Für Kinder
Alles Familie!: Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten.
Von Alexandra Maxeiner und Anke Kuhl. Klett Kinderbuchverlag, 13,90 €
„Alles Familie“ beschreibt schwungvoll und moralinfrei die Vielfalt der heutigen Familienformen. Hier kommen sie – neben der herkömmlichen „Bilderbuchfamilie“ – alle vor: die Alleinerziehenden, die Patchworkfamilien in ihren bunten Mixturen, die Regenbogen-, die Kinderdorf- und Adoptivfamilien.
Für Eltern zum Nachlesen
Aus Stiefeltern werden Bonus-Eltern.
Chancen und Herausforderungen für Patchwork-Familien. Von Jesper Juul. Kösel, 15,99 €
„Neue“ Familienmitglieder
Umso glücklicher ist sie, als ihre Mutter schwanger wird. Zumindest am Anfang. „Ich hätte nicht gedacht, dass Lea bei einem Altersunterschied von zehn Jahren so eifersüchtig werden würde“, erinnert sich Andrea. „Aber das ist wohl nicht Patchwork-spezifisch.“ Oder vielleicht doch, räumt sie ein: Schließlich hatte Lea gerade zuvor beim Einzug ihres Stiefvaters erleben müssen, wie es ist, wenn man die geliebte Mama mit einem weiteren Menschen teilen muss. Inzwischen liebt sie die beiden Kleinen heiß und innig und ist ein wunderbarer Babysitter.
Und der Vater ihrer kleinen Geschwister? Nennt Lea ihn jetzt eigentlich auch „Papa“? Wie hat Andreas Familie diese ganz praktische Frage gelöst? „Lea hatte gleich zu Anfang beschlossen, zu ihrem Stiefvater ‚Papa‘ zu sagen– worüber der sich natürlich sehr gefreut hat. Doch in der Praxis war das schwierig, dauernd gab es Verwechslungen, wer gemeint ist. Deshalb beschloss Lea eines Tages: ‚Ach was, ich nenn dich jetzt einfach Stefan.‘“ Gegenüber Fremden werden er und Andrea aber ganz unkompliziert als „meine Eltern“ vorgestellt.
Die liebe Verwandtschaft
Und es ist ja nicht nur die Kernfamilie, die in einem manchmal mühsamen Prozess zusammenwachsen und sich arrangieren muss. Da sind auch noch die leiblichen Eltern außerhalb des Haushalts – und die Großeltern samt Rest-Verwandtschaft. Lea zieht hier aus der Patchwork-Situation ganz klar Vorteile: Sie hat zu drei Omas und ihrem Opa guten Kontakt, auch zu den Stief-Großeltern, die sie beim Vornamen nennt. Für Fest- und Feiertage ist die Familie viel unterwegs, weil die Verwandtschaft in ganz Deutschland verteilt ist. An Weihnachten, dessen Gestaltung sowieso in vielen Familien ein Knackpunkt ist, hat sich im Lauf der Jahre ein Modus eingependelt, mit dem alle leben können: Stefans Sohn kommt meist am 23. Dezember für eine vorgezogene Bescherung zu Besuch, Lea feiert mit Mutter und Stiefvater und ist dafür zwischen den Jahren und an Silvester bei ihrem Papa – „weil da die besseren Feten mit Kindern in ihrem Alter stattfinden“, wie Andrea lachend zugibt. Während Lea sich oft formlos am Telefon mit ihrem Vater abstimmt, wann sie ihn besucht, musste Stefan sich das Recht, seinen Sohn zu sehen, erst vor Gericht erstreiten. Nicht immer war das Verhältnis zu seiner Ex konfliktfrei. Doch auch hier hat sich die Situation inzwischen entspannt.
Aus Frust wird Glück
Im Rückblick erinnert sich Andrea: „Das waren schon anstrengende und manchmal frustrierende Tage, als wir eine neue Familie waren. Aber es hat sich gelohnt, an den Problemen zu arbeiten.“ Und wenn, wie im vorliegenden Fall, sich der Stiefvater ganz auf seine neue Rolle einlässt, kann das Modell Patchwork für alle Beteiligten eine echte Bereicherung sein, meint Andrea. Dieses Modell, das Andrea und ihre Familie erfolgreich leben, ist in Deutschland nicht mehr so exotisch wie noch vor einigen Jahren. Mehr als zehn Prozent aller Kinder unter 18 Jahren wachsen hierzulande in Stieffamilien auf, das heißt sie leben zusammen mit einem leiblichen Elternteil und dessen neuem Partner. In den meisten Fällen sind das, wie im Fall von Andrea, Stiefvaterfamilien.
Die Stiefmutter-Perspektive
Aus einer etwas anderen Perspektive, nämlich als Stiefmutter, hat Marlies Hein die Besonderheiten einer Patchwork-Familie erlebt. Sie hat die Kinder ihres Mannes mit großgezogen und fand dabei Unterstützung in der Stiefmütter-Selbsthilfegruppe Frankfurt, die inzwischen seit 20 Jahren besteht. Nach ihren Erfahrungen brauchen Kinder in Stieffamilien, die im allgemeinen schon die Trennung der Eltern erlebt haben, besonders viel Zuwendung und Unterstützung, alle Beteiligten sind aber auch mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. „In Stieffamilien mischen ganz viele Menschen mit, unter Umständen haben die Kinder vier Großelternpaare, die auch gerne ein Wörtchen mitreden wollen. Das alles zu koordinieren und zu organisieren, dabei alle mitzunehmen, ist nicht immer einfach.“ Für Stiefmütter ist manchmal auch das Verhalten ihres Partners, also des leiblichen Vaters, problematisch: Oft hat er Schuldgefühle gegenüber seinen Kindern – etwa weil er die Familie verlassen hat – und schafft es nicht, ihnen Grenzen zu setzen. Wenn das dann die Stiefmutter übernimmt, gilt sie schnell als „die Böse“. Dazu kommt, so Marlies Hein: „An Stiefmütter stellt die Gesellschaft höhere Erwartungen als an Stiefväter: Es wird automatisch eingefordert, dass man dem Kind eine Mutter ist“ – eine Aufgabe, die nicht jede Frau in vollem Umfang erfüllen kann oder will. Denn für das Zusammenwachsen als Familie braucht es vor allem Zeit, bestätigt sie.
Leiblicher Elternteil in der Pflicht
Aus ihrer Arbeit in der Selbsthilfegruppe hat Marlies Hein eine Reihe weiterer Empfehlungen: „Als Stiefelternteil sollte man sich möglichst wenig in die Erziehung einmischen. Es ist besser, in Konfliktsituationen den leiblichen Elternteil in die Pflicht zu nehmen, denn die Hauptverantwortung liegt bei ihm. Es sind schließlich seine Kinder, er muss Regeln festsetzen und sich voll engagieren.“ Dass im Alltag immer wieder Belastungen entstehen, ist in jeder Familie normal. In Stieffamilien ist es aber besonders wichtig, dass beide Partner in Erziehungsfragen an einem Strang ziehen und gemeinsame Lösungsstrategien finden, so Hein. „Sonst werden die Kinder Sie ständig gegeneinander ausspielen.“ Und auch wenn es manchmal schwerfällt: Vor den Kindern sollte man niemals schlecht über den abwesenden leiblichen Elternteil sprechen. Das würde sie in schwere Konflikte stürzen und das Verhältnis aller belasten. Und schließlich: „Die Bedürfnisse jedes Familienmitglieds müssen berücksichtigt werden: Nehmen Sie sich Zeit für sich und für Sie beide als Paar! Nur so können Sie vermeiden, dass Ihre Beziehung nicht untergeht.“ Eine große Hilfe war für Marlies Hein der Austausch mit anderen Stiefeltern in der Selbsthilfegruppe. „Ohne diese Gruppe hätte es die eine oder andere von uns nicht geschafft, die Herausforderungen in ihrer Stieffamilie zu meistern“, erzählt sie im Rückblick. Mittlerweile sind die Kinder der Familie Hein gut geratene Erwachsene und Marlies Hein möchte „die spannende und bereichernde Erfahrung als Stiefmutter um nichts in der Welt missen“. Sie ist überzeugt: „Eine Stieffamilie ist das beste Lernprogramm, um Toleranz, Geduld und Kompromissbereitschaft zu üben.“
Bedürfnisse der Kinder im Blick behalten
Und noch ein Perspektivenwechsel: Während sich Mutter oder Vater meist bewusst und mit Freude für eine neue Partnerschaft entscheiden und die gemeinsame Wohnung als Krönung ihrer Liebe sehen, entspricht diese neue Konstellation in der Regel nicht dem Wunsch der betroffenen Kinder – sie finden sich in einer Patchwork-Familie, ob sie wollen oder nicht. Das sollten sich die erwachsenen Patchworker immer wieder klarmachen, meint Diplom-Sozialpädagogin Karin Bernet. Als hauptamtliche Mitarbeiterin beim Kinderschutzbund in Darmstadt ist es ihr wichtig, den Blick der Eltern auf ihre Kinder zu stärken. Es ist Aufgabe der Eltern, eine gute Situation für die Kinder zu schaffen. Denn das Auseinanderbrechen der alten Familie und das Zusammenfügen neuer Strukturen kann ein Kind in eine tiefe Krise stürzen, so die Sozialpädagogin. Je nach Temperament reagieren Kinder ganz unterschiedlich auf Spannungen. Manche werden aggressiv, andere ziehen sich zurück und verweigern zum Beispiel plötzlich den Kontakt zum anderen Elternteil. „Das muss aber nicht sein“, erklärt Bernet. „Krisen gehören nun mal zum Leben dazu. Und wenn die Situation von den Erwachsenen gut begleitet wird und sie die Belange der Kinder berücksichtigen, kann ein Kind damit durchaus zurechtkommen.“ Begleiten heißt zum einen Regeln und Orientierung geben, und zum anderen – ganz konkret und wichtig angesichts all der Veränderung – gemeinsam überlegen, was stabil bleiben kann: „Zum Beispiel den wöchentlichen Tag bei der Oma auch nach der Trennung beibehalten oder weiterhin jeden Samstag auf den Fußballplatz gehen.“ Dazu sind zwar manchmal mühselige Absprachen zwischen den Konfliktparteien nötig, aber es hilft den Kindern, in die neue Situation hineinzuwachsen. Und noch einen Tipp hat Karin Bernet: „Unternehmen Sie auch noch was in den alten Rollen, machen Sie also öfters mal einen Ausflug allein mit den Kindern – auch wenn Sie frisch verliebt Ihren neuen Partner lieber dabei hätten.“ Wenn Fragen auftauchen oder Schwierigkeiten bleiben, sind Einrichtungen wie der Kinderschutzbund oder die Erziehungsberatung eine gute Anlaufstelle. Schon eine telefonische Erstberatung kann neue Impulse geben und die richtige Richtung im Beziehungsdschungel aufzeigen.
Bonus-Eltern
Wer sich lieber allein Anregungen und Hilfe suchen will, findet zum Thema viele Bücher mit praxisnahen Ratschlägen, Übungen und Hintergrundinfos. Auch der bekannte dänische Pädagoge und Familientherapeut Jesper Juul hat eines geschrieben: „Aus Stiefeltern werden Bonuseltern“. Juul bevorzugt diesen optimistischen, nach vorne gerichteten Ausdruck und beschreibt in seinem Buch, wie Bonus-Elternteil und Bonus-Kind eine gute Beziehung aufbauen können. Seine wichtigsten Tipps: das Kind so annehmen, wie es ist; nicht in die Rolle des Erziehers schlüpfen, sondern durch Vorbild und authentisches Verhalten die Stimmung in der Familie beeinflussen. Und Freundschaft anbieten, in der man im besten Fall eine Art Elternrolle übernimmt. Doch das, so Juul, dauert zwischen fünf und zehn Jahren!