Zurück nach einem Jahr, und die Welt hat sich weitergedreht, doch verändert hat sich Griesheim nicht so sehr. Alles ist vertraut, der Alltag möchte gerne diktieren und beherrschen, das Chaos nach einem Jahr Abwesenheit ebenso, die Weltreise-Rucksäcke warten geduldig in der Ecke mit ihren Schätzen, Erinnerungen, Mitbringseln aus Zentral- und Südostasien, Australien und Osteuropa.

Amalia hüpft mehr schwebend als schleichend durch ihre Kinderwelt, nimmt den Garten in Beschlag, verliebt sich in unsere sechs neuen Hühner und sucht jeden Morgen ein Ei, kommt in der dritten Klasse gut an, integriert sich und nimmt ihre Hobbys auf. Ihr Zimmer ist als erstes fertig und renoviert, hatten wir doch unser gesamtes Zuhause untervermietet. Julian genießt seine Musik, seine Auftritte, den Gitarrenunterricht, den er gibt, ganz simpel: das Gitarrespielen; auch er hat seine Welt, seine Musikwelt, die ihn liebevoll wieder aufnimmt.

Die Kisten im Keller, das Unkraut im Vorgarten, unsere Küche nach einem Jahr Männer-WG – all das macht mir das Ankommen nicht ganz so leicht, war ich auch schon immer eine Gehende, keine leichtfüßige Zurückkommende. Doch auch ich erfreue mich an der reinen Luft (man denke an Peking, Ulan-Bator oder Hanoi), an der Müllabfuhr (man denke an die Plastikverbrennung im ländlichen Laos, die Müll gesäumte kambodschanische Küste oder die glitzernden Plastiksteine im Ohridsee in Nord-Mazedonien), an der Sauberkeit (man denke an Wasserfälle von Kakerlaken, die sich über unsere Schlafsäcke ergossen in Zentralrussland), an Wasserklosetts und vegetarischer Bio-Bolognese-Sauce (man denke an das Toilettensystem der Mongolei (ein Mann, eine Schaufel, eine Mission …) und die dortigen Mahlzeiten (gekochte Schafsköpfe, vergorene Stutenmilch und Schnaps zum Frühstück).

Ja, die Vorzüge des europäischen Stadtlebens sind unverkennbar, und gleichzeitig träume ich von Nächten unter dem Sternenhimmel am Uluru im Outback, vermisse das einschläfernde Rattern der transsibirischen Eisenbahn, das Heizen mit Kameldung und das Rauschen des Pazifiks. Ich war sehr glücklich über den zeitlichen Aufschub, den Amalia und ich uns gönnten, als wir zuerst gemeinsam mit Julian nach Athen flogen, um dann durch Griechenland, Nord-Mazedonien und Albanien für sechs Wochen ohne Musikerpapa weiterzureisen. Wir zwei Mädels couchsurften, durchwanderten den Nationalpark der Halbinsel Pilion, genau zwischen Athen und Thessaloniki gelegen, überquerten EU-Außengrenzen, trafen Menschen voller Hoffnung auf einen Umzug nach Deutschland, badeten in heilbringenden Seen und lernten EU-Anwärter-Länder kennen, deren Weg in die Europäische Union noch lang und steinig sein wird. Ich schüttelte dem Künstler, einem ehemaligen Baskettballnationalspieler und jetzigem albanischen Premierminister Edi Rama die Hand und bestaunte mich im albanischen Nationalfernsehen. Ich habe einen neuen Lieblingsort in Europa entdeckt: das UNESCO Welterbe, den Ohridsee mit seinen sprudelnden Quellen, geschmiegten alten, orthodoxen Klöstern, Ruinen aus der Antike, Wäldern, Bergen und dem türkisblauen, eiskalten Wasser: die Quellen entspringen dem Galičica-Nationalpark mit nur 12 °C! Fleißig führen wir Mädels die Schularbeiten fort, weit über den Start der hessischen Sommerferien hinaus: Amalia festigt ihr Wissen, hat alle Arbeiten mit ihren Klassenkameraden gemeinsam erfolgreich hinter sich gebracht und freut sich auf ihre Rückkehr in die Griesheimer Friedrich-Ebert-Schule.

Dort wird sie freudig empfangen, sofort fühlt sie sich angenommen, willkommen und verhält sich, als wäre sie nie weg gewesen. Als jüngste der Klasse gibt sie ein Gartenfest mit Disko und Mocktails als gemeinsame Willkommens- und Geburtstagsfeier. Ihre auf Weltreise trainierte Selbstständigkeit macht ihr Leben leicht, ihren Bewegungsradius groß und ihre alten/neuen Freundschaften tief: Nun trifft man sich auf dem Waldspielplatz, Hobbys werden alleine angerollert, Oma und Opa mit stolz geschwellter Brust auf eigene Faust mit dem ICE in Heidelberg besucht. Immer mehr schließe ich unser Leben ins Herz, identifiziere mich mit meinen neuen Plänen, genieße all die herzlichen Umarmungen von vielen, vielen Menschen, die unsere Reise verfolgt haben, von Freunden, Verwandten, Nachbarn und Bekannten.

Die Zeit zu zweit in Südost-Europa haben wir Mädels sehr genossen: intensiv war sie, eng, versöhnlich, geprägt von der Sehnsucht nach unserem dritten Familienmitglied. Das glasklare Wasser der Ägäis verführt zum Schnorcheln, wir versuchen Fische mit der Hand zu fangen, essen Oktopus, Amalia übernimmt den „Haushalt“ und geht täglich einkaufen, sie kocht uns klare Gemüsebrühe und Spiegelei, unser Balkon bietet Platz für uns beide, so betrachten wir den Sonnenuntergang, reden neuerdings nicht nur über Zauberer und Hexen, sondern auch über Jungs, Musik und Tanzen. In Nord-Mazedonien merken wir deutlich, dass wir die EU wieder verlassen haben, wir ignorieren Wasserqualitätsbestimmungen und baden im sumpfigen Wasser des Dojran Sees, DAS Urlaubsziel vieler Nordmazedonier und Serben. Wir quetschen uns auf Plastikliegen, essen Frittiertes und Zuckerwatte, lauschen den Klängen der Kinderkarussells, treten auf Plastikspielzeug und schwimmen tapfer an Hunden, Babys und deren Hinterlassenschaften vorbei. Amalia findet Freunde und Freude beim Autoscooterfahren. Unsere griechischen Couchsurfing Gastgeber belächelten ihre außereuropäischen Nachbarn, doch gerade landschaftlich sollten sich Albanien und Nord-Mazedonien nicht verstecken: Die Gebirge sind ursprünglich, die Städte, etwa Skopje, Ohrid oder Pogradec, voller Geschichte und ohne den in Hotels sitzenden Massentourismus der griechischen Inseln: für Individualurlauber (auch mit kleinem Geldbeutel) nur zu empfehlen! Im Ohridsee schwimmt eine seltene Delikatesse, die wir bereits aus dem Baikalsee kennen. Nur in diesen beiden jahrtausendealten, sehr tiefen (Süß-)Gewässern lebt die Ohridforelle Koran, wie sie in Albanien genannt wird, im Backofen gebacken mit neuen Kartoffeln ein sehr schmackhafter Genuss! Hier leihen wir uns ein Ruderboot von unserem Nachbarn, einem Fischer, der nach Jahren der Zeitarbeit im Saarland in seine Heimat unglücklich und noch immer nicht reich zurückkehrte. Amalia geht mit ihm angeln und blickt geduldig neben dem weisen alten Mann auf den See hinaus. Sie fangen nichts und sind dennoch glücklich.

Schnell, viel zu schnell, fliegen wir Julian entgegen und treffen uns in Berlin. Unbedingt möchten wir Amalia, die von uns geliebte Hauptstadt ihres Heimatlandes zeigen. Wieder vereint wandeln wir auf den Spuren der deutschen Wiedervereinigung, bestaunen die East Side Gallery, Mauerreste, lernen über Stasi-Abhörmethoden im Spionagemuseum, essen, wie könnte es anders sein, indisch, flanieren durch das Brandenburger Tor und erlaufen uns Berlin Mitte, vorbei an der Museumsinsel, dem Berliner Dom, den Hackeschen Höfen hin zum Alex. Die Straßenkünstler faszinieren das Kinderherz, und den Besuch der Reichstagskuppel mit „Bernd das Brot“ als Audioguide wird Amalia so schnell nicht vergessen. Natürlich macht sie den Rundgang alleine, nur das beständige Kichern verrät ihren Aufenthaltsort. Stilgerecht fahren wir mit dem Zug nach Darmstadt. Ich weine beim Anblick unseres Hauses: so fremd ist es geworden, so eingeengt fühle ich mich, doch dann sehe ich in ein lachendes Kindergesicht, ein hoffnungsvolles, bärtiges Männergesicht und in zwei Knopfaugen über einer schlabbernden Hundeschnauze und ich denke: Packen wirs an, ein neuer Lebensabschnitt beginnt und wir drei, wir haben so viel gemeistert, erlebt, gelacht, geweint, durchgestanden und lernen dürfen; wir als Familie, wir schaffen das und sind tief im Herzen froh, wieder hier in Griesheim zu sein!

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