Mit kleinen Kindern wird die Kinderarztpraxis manchmal zum zweiten Wohnzimmer: Neben Früherkennungs-Untersuchungen und Impfungen führen uns besonders in der kalten Jahreszeit Fieber, Husten oder Durchfall vermehrt zum Arzt. Und manchmal lässt sich auch ein Krankenhausaufenthalt nicht vermeiden.

Wir alle kennen das: Am Vorabend noch putzmunter, wacht das Kind morgens fiebrig und mit Halsschmerzen auf. An Kindergarten ist nicht zu denken, der kleine Patient jammert und fühlt sich offensichtlich schlecht. Wer weiß, was sich der Kleine eingefangen hat – vielleicht sollte man gleich mit ihm zum Kinderarzt?

Erst mal anrufen

Die Antwort hängt auch vom Alter des Kindes ab. Dr. Jochen Schuster, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde in Darmstadt: „Bei Neugeborenen unter einem Monat sollte man sich mit der Hebamme oder dem Kinderarzt in Verbindung setzen, sobald man das Gefühl hat, das etwas nicht stimmt, z. B. wenn das Baby Temperatur über 38 °C hat, auffällig weint oder nicht richtig trinkt.“ Beim älteren Kind entwickeln viele Eltern ein gutes Gespür dafür, wann man besser zum Arzt geht, z.B. wenn das Fieber sehr hoch ist, das Kind ein starkes Krankheitsgefühl hat oder die Erkältung nicht weggehen will. Goldener Ratschlag von Dr. Schuster für unsichere Eltern, die angesichts ihres leidenden Zwerges zwischen „Vielleicht ganz harmlos“ und „Wird er das überleben?“ schwanken: „Die erste Maßnahme ist immer, in der Kinderarztpraxis anzurufen. Die Mitarbeiterinnen können die Situation in der Regel ganz gut einschätzen.“

Gut präpariert in die Praxis

Auch wenn ein Arztbesuch angesichts der vielen U-Untersuchungen bei kleinen Kindern fast eine Routineangelegenheit ist, schadet es nicht, sich zu Hause darauf vorzubereiten. Ein Erinnerungszettel mit wichtigen Stichworten oder den Fieberwerten, bei Durchfall vielleicht auch die letzte Windel können die Diagnose erleichtern, und man hat nach der Sprechstunde nicht das Gefühl, die Hälfte der Fragen gar nicht losgeworden zu sein. Besonders wichtig ist, dass die Hauptperson des Geschehens, das Kind, vom Arztbesuch nicht kalt erwischt wird. Besser ist es, ihm die geplanten Untersuchungen altersgerecht zu vermitteln („Der Arzt will wahrscheinlich in deinen kranken Hals schauen – dazu hat er ein kleines Holzstäbchen.“). Und versichern Sie dem kleinen Patienten, dass Sie bei ihm bleiben werden. Wer falsche Versprechungen macht – „Die Spritze tut gar nicht weh!“ –, verspielt das Vertrauen seines Kindes. Passende Bilderbücher und „Doktorspiele“ mit Teddy und Puppe können dafür sorgen, dass das Thema Kinderarzt nicht angstbesetzt wird, auch wenn es manchmal piekst.

Kontakt mit Keimträgern

Wenn das Nachbarskind heftig hustet und schnieft, stehen Eltern vor dem Dilemma: Darf oder soll ich mein gesundes Kind dem Kontakt mit den Erkältungsviren aussetzen oder eine Ansteckung möglichst zu vermeiden suchen? Sicher werden anstehende Klassenarbeiten oder Betreuungsfragen in die Überlegungen mit einfließen, aber von medizinischer Seite ist für Dr. Schuster klar: „Die Auseinandersetzung eines gesunden Immunsystems mit banalen (!) viralen Infekten ist für die gesundheitliche Entwicklung förderlich. Es ist erwiesen, dass Kinder, die viele Infekte durchgemacht und Impfungen erhalten haben, seltener Allergien und Leukämie bekommen.“

Hausmittel helfen

Und wenn dann tatsächlich ein grippaler Infekt in der Familie Einzug gehalten hat? Dann bewahrheitet sich meist die alte Redensart: „Eine Erkältung dauert ohne Behandlung sieben Tage, mit Behandlung eine Woche.“ Aber Mittel, die die Beschwerden lindern, gibt es durchaus. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. rät von unspezifischen Kombi-Medikamenten ab und verweist auf Hausmittel, die keine Nebenwirkungen haben: Generell sollte ein erkältetes Kind viel trinken. Das lockert den zähen Schleim. Als Alternative zu abschwellenden Sprays kann man Kochsalz-Nasentropfen selbst herstellen (1 g Speisesalz in 100 ml Wasser). Auch das Inhalieren von heißem Dampf erleichtert das Atmen, und gegen trockenen Husten wirkt heiße Milch mit Honig wahre Wunder. Halsschmerzen lassen sich mit Pfefferminz- oder Salbei-Bonbons und Gurgeln mit warmem Kamillen-, Blutwurz- oder Salbeitee lindern. Dazu kommt: Wer mit Halswickel, Kräuterbad und Hustentee umsorgt wird, fühlt sich verstanden und gleich ein kleines bisschen besser…

Krankenstation Kinderzimmer

Denn ein Kind, das sich nicht wohlfühlt, hat das Bedürfnis nach besonders viel Zuwendung. Auch wenn der quengelige kleine Patient manchmal die Nerven seiner Eltern strapaziert: Eine Extra-Portion Liebe tut ihm jetzt gut. In vielen Familien gibt es für Krankheitsphasen liebevolle kleine Rituale. Da wird das Lieblingsessen gekocht oder am Bett immer ein ganz bestimmtes Buch vorgelesen; ein Glöckchen auf dem Nachttisch dient als Notfall-Klingel, oder das kranke Kind darf mitten in der Wohnung sein Lager aufschlagen – so kann es am Familienleben teilhaben. Kranke Kinder merken meist selbst, ob sie trotz Schiefnase und Fieber Legohäuser bauen können oder doch lieber im Bett bleiben. Gegen Langeweile bei Bettruhe helfen Vorlesen, Geschichten-Erzählen und bewährte Spielideen: Ratespiele („Ich sehe was, was du nicht siehst!“, „Wer bin ich?“, Melodien summen), „Ich packe meinen Koffer“, Wörterschlange bilden oder Reime suchen … Auch unruhige Kinder liegen oft still, wenn man ihnen mit dem Finger Bilder oder Buchstaben auf den Rücken malt, die sie erraten müssen. Doch Eltern können nicht den ganzen Tag am Bett sitzen. Auf einem Tablett als Tischchen kann sich ein Kind mit Malen, Kneten, Basteln oder Perlen-Auffädeln eine Zeitlang selber beschäftigen. Und das Babyalbum oder das Fotobuch vom letzten Sommerurlaub lässt sich alleine anschauen, solange Papa die Pizza belegt. Auch Kasperlefiguren leisten am Krankenbett gute Dienste, nicht nur als Bespaßung in Elternhand. Das Kind kann sich allein ein Stück überlegen und es später vor der Familie aufführen. Großen Geschwistern ist ewige Dankbarkeit gewiss, wenn sie den schniefenden Sechsjährigen zur Ablenkung ein bisschen auf dem Smartphone spielen lassen …

Wieder fit und schulfähig?

Ist dann das Gröbste überstanden, stellt sich die nächste Frage: Wann darf ein Kind, das krank war, wieder in Kindergarten oder Schule? Gesetzliche Regelungen gibt es nur für schwere Infektionskrankheiten: Kinder, die etwa an Scharlach, Masern oder Windpocken erkrankt sind (oder Kopfläuse haben!), dürfen Schule oder Kita nicht betreten (§34 Infektionsschutzgesetz). Für Kinder unter sechs Jahren gilt dies auch bei Brechdurchfall. Manche Kitas stellen eigene Regeln auf und verlangen z.B. ein ärztliches Attest, das die Genesung bestätigt. Aus kinderärztlicher Sicht sind nach banalen Infekten zwei Dinge maßgeblich, so Dr. Schuster: „Das Kind kann wieder in Schule oder Kindergarten, wenn es sich erstens selbst gut fühlt und zweitens 24 Stunden fieberfrei war.“

Neue Kinderkrankheiten

Die häufigsten Krankheiten, die Familien in die Kinderarztpraxis führen, sind banale Virusinfektionen, meist der oberen Atemwege; bei Kindergartenkindern sind bis zu zehn Infekte pro Jahr üblich. Die klassischen Kinderkrankheiten sind durch Impfung auf dem Rückzug, andere Erkrankungen haben durch bessere Behandlungsmöglichkeiten ihren Schrecken verloren. Statt Masern, Mumps & Co. sind heute andere „Kinderkrankheiten“ im Focus. Zu diesen sogenannten „neuen Morbiditäten“ zählen Allergien, Essstörungen, Bluthochdruck, Diabetes, emotionale und Verhaltensstörungen. Sichtbar ist dieser Wandel zum Beispiel an der Ausrichtung der Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret, die auch eine Abteilung und Ambulanz für Psychosomatik haben und Behandlungsschwerpunkte unter anderem bei Adipositas, Diabetes und Allergien setzen. Privatdozent Dr. Bernhard Lettgen, Chefarzt der Kinderkliniken, erläutert: „Die Kinderkliniken bieten eine hochspezialisierte, individualisierte Medizin und sind auf die neuen Morbiditäten eingerichtet, die mehr als früher ins Jugendalter hineinreichen.“ Auch Dr. Schuster hat in seiner Praxis festgestellt: „Der Bereich der Sozialpädiatrie nimmt zu.“ Er meint damit gar nicht nur die populäre Diagnose AD(H)S – seit die medikamentöse Behandlung zwingend an eine Psychotherapie gebunden ist, ist die Verordnung von Ritalin rückläufig. Auf dem Vormarsch sind Formen von Autismus (z. B. das Asperger-Syndrom) und bipolare Störungen (manisch-depressive Erkrankung) schon bei Kindern. Viele der neuen Kinderkrankheiten sind zurückzuführen auf die erhöhten Anforderungen an Kinder und auf eine Umgebung, die nicht ihrer Natur entspricht – Schulstress, zu wenig Bewegungsmöglichkeiten –, so Dr. Schuster: „Jedes Kind hat seinen besonderen Charakter. Wenn es zu viel Druck ausgesetzt ist, reagiert es, indem aus seinen Eigenheiten Krankheitsbilder werden.“

Ab ins Krankenhaus

Erster Ansprechpartner, wenn das Kind krank ist, ist der Kinderarzt. Doch in manchen Situationen lässt sich ein Besuch im Krankenhaus nicht vermeiden. Oft läuft der Kontakt über den Kinderarzt: Er weist bei ernsteren Problemen den kleinen Patienten in die Kinderklinik ein oder überweist ihn für weitere Diagnostik in eine Spezialambulanz, wie sie etwa die Darmstädter Kinderkliniken haben. Doch was tun, wenn das Kind außerhalb der Praxis-Öffnungszeiten plötzlich heftig krank wird? Chefarzt Dr. Lettgen nennt am Beispiel Darmstadt die Möglichkeiten: „Nachts ist der Notdienst der kassenärztlichen Vereinigung zuständig. Weil dort aber ein Erwachsenen-Mediziner Dienst hat, gehen viele Familien lieber in die Notfallsprechstunde der Kinderkliniken.“ Sie sollte allerdings nicht von Kindern mit banalen Beschwerden blockiert werden, die bis zum nächsten Morgen warten können. Und am Wochenende? „Von Freitag 19 Uhr bis Montag 7 Uhr ist der kinderärztliche Notdienst in den Räumen der Kinderklinik geöffnet. Hier ist neben den Klinikärzten tagsüber auch ein niedergelassener Kinderarzt für die Patienten da“, erklärt Dr. Lettgen. Auch echte Notfälle landen gleich in der Klinik, entweder mit dem Rettungsdienst oder im Auto der Eltern. Dazu gehören, so Dr. Lettgen, ein Krampfanfall, Verbrennungen und das Verschlucken eines Fremdkörpers.

Klinikzeit erträglich machen

Statistisch betrachtet muss jedes zweite Kind irgendwann im Lauf seines Lebens ins Krankenhaus – „80% davon sind Notfälle“, so Dr. Lettgen. Da ist es hilfreich, wenn das Kind schon vorher mal ganz entspannt als Gast im Krankenhaus vorbeigeschaut hat. Beim Sommerfest der Darmstädter Kinderkliniken etwa können Familien auf Besichtigungstour durch die Klinikräume gehen und ein Notarztwagen kann bestaunt werden.

Ist das Kind als Patient im Krankenhaus, braucht es eine vertraute Person um sich. Deshalb unterstützen Kinderkliniken die Mitaufnahme eines Elternteils. Bei medizinischer Notwendigkeit übernimmt die Krankenkasse dafür die Kosten, z. B. wenn das Kind unter sieben (bei manchen Kassen unter neun) Jahre alt ist. Ansonsten müssen die Eltern ihre Unterbringung selbst bezahlen. Auch ein kindgerechter Umgang der Ärzte und des Pflegepersonals trägt viel dazu bei, dass ein Klinikaufenthalt erträglich wird. Dr. Lettgen: „Wichtig ist, dass die Ärzte und Schwestern individuell auf den einzelnen Patienten eingehen und das Vertrauen der Kinder gewinnen. Dazu muss man erklären, was als Nächstes gemacht wird, und darf das Kind nicht überrumpeln. Für uns ist es ein tolles Gefühl zu erleben, dass die jungen Patienten dann mithelfen und uns auch nicht nachtragen, wenn wir sie mal ‚geärgert‘ haben.“ Ob banaler Virusinfekt oder ernste Erkrankung: Wenn Eltern und Umfeld nicht nur den körperlichen Beschwerden Beachtung schenken, sondern mit Geduld und Einfühlungsvermögen auch das seelische Wohlbefinden im Blick haben, verliert Kranksein seinen Schrecken, und die Schmerzen sind schnell vergessen.

Berufstätig – und das Kind wird krank

Wenn beide Eltern arbeiten gehen, kann die Betreuung eines kranken Kindes zum Organisationsproblem werden. Grundsätzlich haben Arbeitnehmer Anspruch auf Freistellung zur Pflege ihres erkrankten Kindes. Voraussetzungen: Das Kind ist jünger als zwölf Jahre, es ist keine andere Betreuungsperson im Haushalt verfügbar, und es liegt ein ärztliches Attest (ab dem ersten Tag!) vor. Das Recht auf bis zu fünf Tage Notfall-Sonderurlaub mit Lohnfortzahlung ist in vielen Arbeits- und Tarifverträgen ausgeschlossen, deshalb springt im Regelfall die gesetzliche Krankenkasse ein: Sie zahlt Krankengeld (ca. 75% des Nettogehalts), und zwar pro Kind und Elternteil für zehn Arbeitstage im Kalenderjahr, bei mehreren Kindern max. 25 Arbeitstage je Elternteil. Alleinerziehende bekommen die doppelte Anzahl. Privat Krankenversicherte haben darauf keinen Anspruch.