Nachdem die Siebenjährige wider Erwarten doch recht gemächlich aus dem Röhrenschlund glitt, wollte die Zweijährige natürlich auch. Ausgerechnet sie kam aber derart schnell herausgeschossen, dass ich sie nicht mehr erwischen konnte. Es endete, wie es enden musste: Mit einer Gesichtsbremse im Sand.

Das Geschrei war groß, das Kopfschütteln einer Mutter auf der Spielplatzbank auch. Ich fragte trotzdem, ob ich mich kurz daneben setzen darf, um der Kleinen den Sand aus praktisch allen Gesichtsöffnungen zu entfernen. Ich durfte – hätte ich aber geahnt, was folgte, wäre ich besser schnurstracks davongerannt.

„Wie alt isse denn? Oh, erst zwei? Ne, also da ist sie ja wirklich noch VIIIEL zu klein für die Rutsche!“ Und an meine Tochter gewandt: „Wenn du ein bisschen älter bist, darfst du wieder rutschen, dann fängt dich die Mami auch RICHTIG auf, gell?“

Oha, ein Seitenhieb. Frech, und ja, es ist zwar nicht optimal gelaufen, aber es ist eben auch nichts Schlimmes passiert, das so ein Nachtreten erforderte. Nach ein paar Schrecktränen baumelte die Kleine schon wieder am Klettergerüst.

Dann ging es weiter: „Sie müssen da echt aufpassen mit dem Sand im Auge, gell? Das gibt ganz, ganz schnell Bindehautentzündung mit den ganzen Bakterien!“ Weil ich keine Lust hatte zu diskutieren und zu sagen, dass ich durchaus der Meinung bin, dass eine gewisse Portion Dreck gerade kleinen Kindern und deren Entwicklung sehr guttut, lächelte ich nur nett und nickte mit dem Kopf. „Haben Sie Kamillentee? Hat ja eigentlich JEDE Mutter im Haus.“ Upsi, wir gerade nicht. „Kochen Sie mal Kamillentee ab und waschen damit die Augen aus. Aber von außen nach innen, gell, das ist ganz, ganz wichtig! Und NATÜRLICH vorher abkühlen lassen, gell!“ Natürlich. Indem ich auch dazu nichts sagte und wieder nur nickte, hoffte ich, den Monolog zu beenden. Ich rechnete aber nicht mit der gegnerischen Fraktion, dem Inbegriff der Anti-Kamillentee-Mutter quasi, die, offenbar stark getriggert vom Spielplatzbank-Fachwissen, schnellen Schrittes auf uns zukam.

„Nur weil ich das gerade mitbekommen habe, bloß keinen Kamillentee!“, schrie sie und wedelte energisch mit dem Zeigefinger. Die Kamillentee-Mutter schaute entgeistert. „Damit machen Sie alles nur noch schlimmer, das gibt Augenreizungen sage ich Ihnen …!“

„Also wir hatten noch nie Augenreizungen“, warf gleich die Kamillentee-Mutter ein, „wahrscheinlich haben Sie den Tee nicht richtig abkühlen lassen und die Rötung kam einfach von einer Verbrennung?“ Jetzt entgleiste der Anti-Kamillentee-Mutter das Gesicht. Und ich witterte meine Chance zur Flucht.

Während ich mich also davonstahl, tobte auf der Spielplatzbank ein wahrer Kamillentee-Krieg. Während ich Wortfetzen wie „Google“, „Öko-Gelaber“, „schon immer so gemacht“ und „nicht mehr alle Latten am Zaun“ hörte, dachte ich, dass es so schade ist, dass manche Menschen Ratschläge nicht ohne negativen Unterton geben können. Anderen ihre Meinung lassen. Mütter sich gegenseitig unterstützen. Tolerieren. Akzeptieren. Ich freue mich über Tipps, über „das hat bei uns gut geholfen“. Aber was mein Kind wann tut und was ich mit ihm mache, entscheide immer noch ich. Unser Kamillentee-Erlebnis ist dabei ein mildes Beispiel, das wird sehr deutlich, wenn man sich in sozialen Medien umschaut.

Die Kleine rutschte an diesem Tag übrigens noch viele weitere Male die Röhrenrutsche – ganz ohne Gesichtsbremse und ich musste sie nicht mal auffangen. Und sie bekam auch keine Bindehautentzündung.

Die Autorin

Christina Pfister
Die gebürtige Freiburgerin lebt mittlerweile am Fuße des Odenwalds und liebt Pferde, Kunst, Literatur, den Wald, Kochen und Esskultur. Seit 2009 führt sie auf ihrem Foodblog
www.newkitchontheblog.de ein kulinarisches Küchentagebuch

Die Mutter von zwei Töchtern schreibt über Alltägliches und Besonderes und würzt ihre warmherzigen Beobachtungen mit köstlichen Rezept-Ideen und kunstvollen Fotos. Die Autorin ist mit ihrem unterhaltsamen Blog auch hier im fratz zu lesen.