Und doch stehen schon drei Kinder mit Erzieherin Miriam Budnick unter dem Holzschild „Streuobstwiesenzentrum“, mit roten Bäckchen und dick eingepackt mit Winterjacken, Matschhosen und Handschuhen.

Ein Beitrag von Anke Helene

Miriam war früher selbst Naturkindergarten-Mama und ist seit zwei Jahren im Team dabei – und schätzt diese besondere Art des Kindergartens sehr. „Die Kinder freuen sich jeden Morgen zu uns zu kommen, auch im Winter“, erzählt sie und tatsächlich: Beschwerden über das kalte Wetter gibt es nicht, ganz im Gegenteil. Die Freude über den gefrorenen Weg und die neuen Erlebnis- und Spielmöglichkeiten mit dem Eis überwiegen.

Ab in den Wald!

Morgendlicher Treffpunkt der „Nakis“ ist entweder an der Ecke des Steckbornweges oder am Streuobstwiesenzentrum. Hier gibt es einen Raum für den Naturkindergarten, in dem vorgelesen oder gemalt werden kann. Mit 20 Kindern würde es aber eng dort werden – umso besser, dass die Nakis bei Wind und Wetter zu ihrem Waldplatz laufen. Drinnen bleiben sie nur, wenn es wirklich nicht anders geht, zum Beispiel bei starkem Sturm oder Gewitter, erzählt Oli Haase, der seit der Gründung des Naturkindergartens im Jahr 2005 als Erzieher mit dabei ist. Im Zentrum isst auch ein Teil der Gruppe zu Mittag, bevor der Kindergarten-Tag um 13:30 Uhr endet.

Mal laut und wild, mal langsam und ruhig

„Eins, zwei, drei, (…) dreizehn“, zählt die vierjährige Lina alle Kinder, die um sie herum im Kreis stehen und schon ihre Rucksäcke geschultert haben. Danach geht es los und die Kinder stürmen voran. Sie wissen genau, wo sich die Wartepunkte auf dem Weg zu ihrem Waldplatz befinden.
Oft ergeben sich die Pausen aber auch von selbst, so wie heute, als Anja Vetters, die früher im Bessunger Waldkindergarten gearbeitet hat, zwei Eichhörnchen entdeckt, die über den Köpfen der Kinder umherspringen. Fasziniert bleiben alle stehen und beobachten die Tiere. Der Spaziergang zum Waldplatz ist jeden Tag anders und besonders: mal laut und wild, mal langsam und ruhig, wenn die Kinder zum Beispiel Tierspuren oder Vogelfedern entdecken.

Ein paar Kinder klettern den Hang neben dem Weg hoch, laufen wie Abenteurer durchs Geäst und rutschen den Hügel später wieder hinab. „Die Kinder sind ganz natürlich geschickt und haben eine tolle Fitness und Ausdauer“, sagt Erzieher Oli. Für ihn ist das Erleben im Wald die beste Schulvorbereitung: „Die Kinder können toben und laut sein, sich aber genauso gut konzentrieren, wenn sie etwas entdecken. Still sein, um Tiere zu beobachten und ihre Motorik wird von ganz allein geschult. Neben all dem, was sie in den drei Jahren für ihre Schulreife erlernen, ist es uns aber auch wichtig, dass die Kinder die Natur als schützenswert empfinden und sich so auch im späteren Leben für ihren Erhalt einsetzen.“

Fantasievolles Erleben

Der Waldplatz der Nakis liegt etwa 400 Meter oberhalb des Streuobstwiesenzentrums auf einer Lichtung. Je nach Witterung und geplanter Aktivitäten führt der Weg aber auch zu unterschiedlichen Orten wie dem Prinzenberg, dem Melitta-Brunnen oder zu anderen Wald- und Wiesengebieten. Kurz vor dem Waldplatz darf Lina, die mit dem Zählen der anderen Kinder dran war, das „Tor“ aufschließen. Dieses gibt es nur in der Fantasie der Kinder und sie sieht jeden Morgen anders aus. Bei Lina ist ein Strand drauf zu sehen, und gemeinsam mit ihren Freunden zieht sie einen Schatz.

Die Dinge benennen

Sich ausdrücken zu können ist wichtig in Waldkindergärten, in denen wenig Spielzeug vorgegeben ist. Um mit anderen Kindern spielen zu können, müssen Dinge benannt werden. Der Ast könnte ein Schwert sein, aber auch ein Stift, ein Schneebesen oder ein Zauberstab. Ein Baumstamm kann ein Flugzeug oder ein Schiff sein, ein Stein zum Auto oder Tier werden. Ganz selbstverständlich und kreativ lernen Kinder im Wald, die vorhandenen Naturmaterialien in ihr Spiel zu integrieren.

Nachdem alle Kinder ihre Rücksäcke aufgehängt haben, packen sie Sitzkissen, Brotdosen, Trinkflaschen und Thermoskannen aus und suchen sich einen Platz im Waldnest, einer Art runden Couch, geflochten aus Zweigen. Hier sitzen die Kinder gemütlich und geschützt, während Miriam in der Mitte einen kleinen Ofen aufstellt und Feuer entfacht. Alle Kinder beobachten gebannt, wie der Rauch aufsteigt und bewundern auch ihren eigenen Atem im Sonnenlicht. Der Raureif glitzert und rundherum knacken die gefrorenen Äste. „Frühstück im Freien ist jeden Tag wieder ein besonderes Erlebnis“, findet Oli und die Kinder stimmen ihm zu, auch wenn ein paar Käsebrote und Gurkenscheiben auf den Boden purzeln. Ein Vorteil am gefrorenen Boden, es klebt kein Dreck daran.

Jede Jahreszeit ist besonders

„Ich schnitze am liebsten!“, erzählt ein Junge beim Frühstück. „Und ich grabe gerne“, „Ich rutsche Hänge runter“, „Ich liebe es zu werkeln“, „Einfach draußen spielen“, geht es jetzt rundherum und die Kinder erzählen sich, was sie am liebsten im Wald machen. Welche Jahreszeit sie am besten finden, können sie nicht sagen, schließlich gebe es immer etwas zu erleben: Von Wasserspielen an der Quelle im Sommer bis zu Maronen rösten im Herbst, Schnee-Malereien im Winter und der Lämmerzeit im Frühjahr. Das unterscheidet den Naturkindergarten auch von Waldkindergärten: Er ist Teil des Vereins „Freundeskreis Eberstädter Streuobstwiesen“ und die Kinder können auch bei der Pflege der Tiere oder der Streuobstwiesenlandschaft mithelfen. Für die Kinder sind es ganz besondere Erlebnisse, wenn sie der Schäferin dabei helfen dürfen, die Schafherde umzutreiben oder wenn sie frisch geborene Lämmchen mit der Flasche füttern.

Ein wichtiger Tagespunkt ist das freie Spiel, bei dem es natürlich auch Regeln gibt – und geben muss. „Aber die Regeln sind sichtbar und nachvollziehbar für die Kinder“, erklärt Oli. Die Kinder wissen auch ohne Zäune, wo die Grenzen des Geländes sind oder wie sie sich bei frei laufenden Hunden verhalten.“ Vor Wildschweinen muss niemand Angst haben – „die haben sich arrangiert“, sagt Oli lachend. Nur einmal habe er überhaupt welche auf dem Weg zum Waldplatz gesehen.

Mit allen Sinnen im Rhythmus der Natur

Kira besucht ebenso wie ihre große Schwester vor ihr den Naki und für ihre Mutter tragen die frische Luft und besonders der Wald zu einer guten Entwicklung bei: „Die Lautstärke ist automatisch reguliert und die Kinder können sich jederzeit eine ruhige Ecke suchen, wenn sie mal Ruhe brauchen. Die Natur bietet genug Anregung zum Spielen und damit sind die Kinder nicht überreizt.“ Sorgen vor dem Wetter oder der Toiletten-Situation hatte sie keine, für die Kinder sei das schnell Alltag: „Die Kleidung ist das wichtigste, schlechtes Wetter gibt es nicht. Falls man die Möglichkeit hat und einen Platz bekommt, kann man damit nichts falsch machen – solange man selbst davon überzeugt ist.“

Überzeugt vom Konzept ist auch Erzieher Oli: „Ich habe die große Angst, dass die Kinder in Zukunft nicht mehr mit allen Sinnen erleben und mit dem Körper wahrnehmen. Das intensive Erleben ist für mich eines der wichtigsten Dinge, die wir den Kindern mitgeben können. Sie haben den Raum und die Weite, um sich ausleben zu können und dadurch gibt es auch weniger Streit.“ Ob stilles oder extrovertiertes Kind, Mädchen oder Junge, im Wald findet jeder seinen Platz und es gibt immer etwas zu tun. Auch ohne vorgegebenes Spielzeug kommt keine Langweile auf. Die Erzieher greifen die Ideen der Kinder auf und helfen ihnen, diese zu verwirklichen. Zum Alltag gehört auch das Bearbeiten von Holz und die Kinder dürfen schnitzen, raspeln, sägen und hämmern. Daneben gibt es immer wieder besondere Projekte, wie Zirkusangebote von Integrationskraft Caro Schumann oder gemeinsames Kochen mit Zutaten wie Brennnesseln, die die Kinder selbst sammeln.

Besonders schön finden die beiden Erzieher Oli und Miriam es auch, wie sich die Kinder gegenseitig zuhören und wertschätzen. Das zeigt sich auch in der Abschlussrunde, in der sich die Kinder erzählen, was ihnen am Tag am besten gefallen hat oder entstandene Werke zeigen. Und morgen? Schneit es hoffentlich, damit noch besser die Hänge heruntergerutscht werden kann, da sind sich die Kinder einig.

Tipps für (werdende) Waldkindergarten-Eltern:

• Kleidung:

– festes Schuhwerk zu jeder Jahreszeit

– Zwiebel-Look im Winter sowie Schal, Handschuhe und Mütze

– Wasserdichte Regenkleidung

– Lange Kleidung und Socken und auch im Sommer wegen Zecken

– Sonnenhut mit Nackenschutz

• Gutsitzender Rucksack mit Brustgurt, Sitzkissen, Brotdose und auslaufsichere Trinkflasche oder kleine Thermoskanne

• Praktischer ist es ohne Windel, trocken sein ist aber für kaum einen Waldkindergarten Voraussetzung

• Rechtzeitig anmelden und Info-Tage und Veranstaltungen besuchen