Von May-Britt Winkler
„Gut gepfiffen!“, ist eindeutig ein Lieblingskompliment für Mats Moter. Der 14-jährige gehört bereits seit zwei Jahren zu den jüngsten Schiedsrichtern Deutschlands. Während der Fußballlaie bei TV-Übertragungen oft erst mal noch überlegt, in welche Richtung überhaupt gespielt wird, kennt Mats alle Spielregeln im Schlaf. Ob Flanke, Freistoß oder Dropkick, Mats beobachtet und urteilt blitzschnell. Doch besonders wichtig ist der Pfiff: „Du musst laut, klar und deutlich pfeifen und so deine Einstellung verkaufen. Wenn du nicht energisch bist, dann bist du angreifbar“, erklärt der Gymnasiast.
Bereits im Kindergarten begann Mats´ Leidenschaft für den Fußball, und seit der Grundschule spielt er für die Darmstädter TSG: früher mal im Tor, inzwischen im zentralen Mittelfeld. Schon als Kind hat er stundenlang für sich allein im heimischen Garten gekickt und durch seine Torschussübungen den von den Eltern geliebten Rhododendron arg in Mitleidenschaft gezogen. „Der Rasen sah manchmal aus wie ein Trümmerfeld, aber Mats war glücklich“, erzählt Mama Andrea, die den Sohn seit über einem Jahrzehnt bei seiner Leidenschaft unterstützt: „Selbst im Urlaub mussten wir immer etwas Rundes dabeihaben, und sei es ein Luftballon als Ersatz.“
Irgendwann wurden neue Schiedsrichter gesucht, denn jeder Verein muss Schiris stellen. Tut er das nicht, bekommt er Punktabzug und muss Strafe zahlen. Diese Chance ergriff Mats, absolvierte eine Prüfung und pfeift seither für „Germania Eberstadt“.
Mehrmals die Woche steht Mats bei jedem Schietwetter als Schiri der D-Jugend auf dem Feld. Die chauffierenden Eltern sind gelegentlich mäßig begeistert, aber verharren dennoch tapfer am Spielfeldrand, denn, so die Mama: „Es kann schon auch mal brenzlige Situationen geben.“ Mats ist zwar bisher verschont geblieben, aber einige Schiedsrichterkollegen waren bereits Beschimpfungen und Anfeindungen ausgesetzt. „Die Spieler sind eigentlich harmlos, aber die Eltern und die Trainer haben es oft in sich. Dabei müssten gerade die doch Vorbild sein“, sagt Mats. Bei so manch ehrgeizigem Elternteil geht eindeutig das Temperament durch, vermutet es doch im eigenen Kind einen kleinen Nachwuchs-Lewandowski, der hier nicht adäquat behandelt wird. Aber der Schiri hat nun mal das Sagen, und das sorgt bei dem einen oder anderen für Empörung oder gar Wut.
Man kennt es schon von den Hobby-Virologen, die oftmals meinen, alles besser zu wissen. Auf dem Fußballplatz ist es nicht anders. „Auch während des Spiels gibt es eine rote Linie, aber die wird leider immer öfter überschritten“, bedauert Mats seine Kollegen, die schon mal Übergriffe erlebt haben: „Das nimmt die Betroffenen auch persönlich mit. Das kriegt man dann auch die nächsten Wochen oder Monate nicht so einfach wieder aus dem Kopf.“
Generell ist der Ton auf dem Spielfeld, auch schon bei den Kleinen, ab und an ein rauer. Diverse Papas hoffen eben doch auf den Durchbruch des Sohnemanns als Profi-Fußballer, und dann wird ein schwächelndes Mannschaftsmitglied auch mal zusammengeschnauzt. Das überträgt sich leicht auf die Spieler, und bevor dann Tränen fließen, sind besonders die Trainer gefragt: „Wenn der Trainer das ganze Spiel über ruhig ist, dann sind auch die Spieler ruhig. Wenn der Trainer die ganze Zeit am Schimpfen ist, dann sind auch die Spieler laut.“ Sicher gehört der Leistungsgedanke mit dazu, aber schließlich kann das Gewinnen besser wertschätzen, wer auch schon verloren hat.
Davon abgesehen ist Fußball für Mats die schönste Sportart der Welt. Hoffnung, Karriere als Profi zu machen, hat er allerdings nur wenig. „Dafür gibt es zu viele gute Spieler.“ Deshalb konzentriert er sich jetzt auf seine Laufbahn als Schiedsrichter: „„Kurzfristig will ich Erfahrung sammeln, Spiele pfeifen und aufsteigen, aber langfristig würde ich natürlich schon gern mal in der Bundesliga pfeifen, auch wenn das sehr unrealistisch ist. Insgesamt gibt es in Deutschland 80.000 Schiedsrichter, und in der 1.Bundesliga pfeifen gerade mal etwa 25.“
Ein erster Karrieresprung ist Mats schon gelungen: als Assistent in der Gruppenliga der Herren. „Das ist echt ein Highlight, denn da ist natürlich eine ganz andere Professionalität. Da ist man dann mit richtig erfahrenen Schiedsrichtern zusammen.“ Einziger Wermutstropfen: Als Assistent wird einem schnell mal kalt. Egal ob es regnet, hagelt oder schneit, der Assi bleibt an seiner Linie stehen; komme, was wolle. Der Schiedsrichter kann sich derweil durch Bewegung warmhalten.
Erfreulicherweise darf ein Assistent wenigstens Handschuhe tragen. Die passende Kleidung war für Mats übrigens lange Zeit ein Problem. Als einer der jüngsten Schiedsrichter überhaupt und zusätzlich als einer der kleineren seiner Altersgruppe, hatte er anfangs Probleme, das passende Schiri-Outfit zu bekommen. „Alles war zu groß. Bei der Hose haben wir einfach keine reguläre Schiedsrichterhose genommen, sondern eine normale schwarze in meiner Größe“, erzählt Mats. „Dann haben wir herausgefunden, dass die Damenschiedsrichterkleidung deutlich kleiner geschnitten ist, und von den Trikots passte auch schon mal eine XS.“
Inzwischen ist Mats ziemlich gewachsen und passt in gängige Trikotgrößen. „Das Hemd gehört beim Schiri ja sowieso in die Hose“, und dann sitzt das schon alles. Das ist auch nicht unwichtig für den perfekten Auftritt, der immer selbstsicher und entschieden sein muss. Die Schiedsrichter-Kleidung wirkt da auch ein bisschen wie eine Uniform. Zieht man sie an, ist man der Chef: „Mats war früher eher schüchtern und zurückhaltend, aber sobald er sein Schiri-Trikot überzieht, ist er ein anderer. Da kann er auch Erwachsenen gegenüber für Recht und Ordnung sorgen“, berichtet Mama Andrea nicht ganz ohne Stolz. Mats selbst wirkt auf dem Spielfeld reflektiert, konzentriert, besonnen und schon richtig erwachsen.
Während Altersgenossen stundenlang vor Rechnern hängen oder an Handys daddeln, ist Mats fast immer an der frischen Luft. Wenn er aber doch mal am Computer spielt, darf man drei Mal raten, was: selbstredend FIFA.