Finn war ein absolutes Wunschkind. Andrea Dotzert und ihr Lebensgefährte Holger Kahl freuten sich riesig auf ihr erstes Kind, damals 2011. Schwangerschaft und Geburt verliefen völlig normal. Die Diagnose Down-Syndrom kam wie aus dem Nichts. Das hat vieles verändert. Eines aber nicht: Finn ist ein absolutes Wunschkind.

Ein Beitrag von Anke Breitmaier

Die Tür geht auf und ein Strahlen geht an: Finn, neun Jahre alt, grinst übers ganze Gesicht und fängt sofort an zu erzählen. „Der freut sich so über Besuch“, lacht Mama Andrea, die manchmal übersetzen muss, was der quirlige Blondschopf sagt. Helena (7) und Nathalie (3) stehen stolz neben ihrem großen Bruder, der nahezu alles kommentiert.
„Er hat schon mit einem halben Jahr angefangen zu plappern, das wurde immer mehr. Aber vieles war und ist unverständlich.“ In der Therapie wurden ihm dafür Gebärden beigebracht, mit denen er seine Worte untermalt – lebhaft gestikuliert er und schaut aus blitzeblauen, immer freundlich lächelnden Augen neugierig umher.

90 Prozent der Zeit gute Laune

Man muss Finn einfach gernhaben, sofort und von ganzem Herzen. „90 Prozent der Zeit hat er gute Laune“, erzählt seine Mutter. „Ich denke oft, von ihm und seiner Art können wir uns alle eine Scheibe abschneiden.“ Lachend hüpft Finn durchs Zimmer, turnt über das Sofa, ulkt rum. Seit Kurzem geht er in die dritte Klasse der Wichernschule, einer Förderschule in Mühltal. „Davor war er hier in Griesheim an der Schillerschule, die haben ein Inklusionsangebot.“ Das habe aber überhaupt nicht geklappt, fügt Vater Holger hinzu. „Es war eine Katastrophe, täglich musste meine Frau Finn abholen, weil bis auf wenige Betreuer die meisten nicht mit ihm zurechtkamen.“ Die Schule sei überhaupt nicht auf ein Kind wie Finn eingestellt gewesen. „Dabei hat es davor im Kindergarten Luthergemeinde hier in Griesheim super geklappt, obwohl Finn dort auch das erste Down-Syndrom-Kind war.“

Klare Ansagen braucht Finn, muss vorbereitet werden auf Situationen, sonst wird es schwierig für ihn, erklärt seine Mutter. „Wir sind zum Beispiel mal Straßenbahn gefahren und ich hab erst kurz vorm Aussteigen gesagt, dass wir jetzt raus müssen. Für Finn war das zu spät. Ich hätte ihm viel früher sagen müssen, wann unsere Haltestelle kommt. So war er überfordert.“ Die Schuhe zog er sich aus, schmiss sie herum, war total wütend. „Wenn ich ihm sage, jetzt zählst Du noch vier Haltestellen, dann kommt unsere, dann ist er völlig entspannt.“ Ohnehin sei vieles davon abhängig, wie man mit Finn umgehe. „Er kann wesentlich mehr, als viele ihm zutrauen.“

Diagnose aus dem Nichts

„Wir wussten nicht, dass Finn das Down-Syndrom hat. Ich war keine Risikoschwangerschaft, alles lief normal.“ Erinnern kann sich Finns Mutter noch sehr gut an den Moment, als der Arzt ihr sagte, dass ihr Kind behindert sei. Im Kreissaal, ohne Vorwarnung. „Er hat es mir in den ersten 30 Minuten, die ich Mutter war, vor den Latz geknallt“, beschreibt die heute 42-Jährige das Gefühl.

Bei den Vorsorgeuntersuchungen gab es keine Anzeichen auf Trisomie 21, keine Fälle in der Familie. Per Kaiserschnitt kam Finn nach neun Monaten zur Welt. „Mir wurde das Kind auf den Bauch gelegt, alles schien gut.“ Dann kam der Gynäkologe, warf einen Blick auf den Kleinen. „Ich hab gehört, dass er mit der Hebamme tuschelt, war aber so glückselig und natürlich noch ein bisschen lull von der OP.“

„Ihr Kind hat Down-Syndrom, Ihr Leben ist jetzt halt vorbei“

Umso brutaler trifft sie das, was der Arzt dann sagt. Hart, unverblümt und herzlos: „Ihr Kind hat Down-Syndrom, das ist behindert. Jetzt ist Ihr Leben halt vorbei. Denken Sie mal über Adoption nach, und es gibt ja auch gute Heime für solche Kinder.“ Geschockt waren Andrea und ihr Mann. „Das war unglaublich furchtbar.“ Aber, und das sagt Finns Mutter noch mit spürbarer Wut im Bauch, es habe sie auch unfassbar geärgert. Für sie war klar: „Jetzt erst recht! Mein Kind gebe ich nirgendwohin, das gehört zu uns!“
Schwer sei die erste Zeit gewesen, nicht zuletzt auch darum, weil ihr Umfeld so betroffen reagiert habe. „Unsere Eltern waren erstmal entsetzt, die konnten sich ja auch nicht darauf vorbereiten. Freundinnen haben geweint, wir wurden oft bemitleidet.“

Finn sei in den ersten Lebensmonaten oft krank gewesen, musste häufig in die Klinik, hatte Operationen. „Das war sehr hart“, sagt sein Vater. „Etwa ein Drittel der Probleme bereitet Finns Behinderung. Der Rest sind die Krankheiten, die das mit sich bringt.“ Lungenentzündungen hatte er mehrmals, immer wieder Infektionen in den Atemwegen und andere gesundheitliche Einschränkungen, die mit dem Down-Syndrom einhergehen.

Behördengänge und andere Steine im Weg

„Wir bekommen leider immer wieder zu spüren, wie schwer sich die Gesellschaft damit tut, jemanden, der nicht der Norm entspricht, wirklich zu akzeptieren“, erzählt der Vater, Geschäftsführer der Überwaldbahn, dem Betreiber der Solardraisine in Wald-Michelbach. Traurig mache sie das – und viele Umstände und Arbeit. Allein die Kommunikation mit den Behörden sei nervenaufreibend und frustrierend. Alles müsse beantragt, nachgewiesen, beigebracht werden. „Dabei haben wir auch so schon genug zu tun.“

Voller Terminkalender

Morgens um 7 Uhr 20 wird Finn mit dem Schulbus abgeholt, dem mit der Eule als Erkennungszeichen drauf, erklärt er aufgeregt. „Schule ist gut!“, ruft er. Einige Buchstaben kann er schon schreiben, mit Hilfe auch ein bisschen lesen. Um ein Uhr mittags kommt er zurück, seine Mutter holt ihn unten am Bus ab. „Finn ist manchmal doch unberechenbar. So ganz kann man sich nicht darauf verlassen, dass er direkt hoch kommt.“

Drei Mal in der Woche gibt es nachmittags ein festes Programm: Logo- und Ergotherapie, mittwochs geht es nach Mainz in eine Praxis für Entwicklungspädagogik. „Was die dort machen, ist unglaublich“, schwärmt Finns Mutter. Die Pädagoginnen und Lehrerinnen begleiten Menschen mit Down-Syndrom, fördern deren kognitive Entwicklung und gehen auf individuelle Bedürfnisse ein. „Das hat Finn schon sehr viel gebracht.“

„Der Finn ist ein echt guter Bruder“

Gefüllt sind die Tage damit. Aber Zeit zum Spielen bleibt natürlich auch. Die verbringt Finn am liebsten mit seinen Schwestern. Die drei sind eine lustige Gang, oft spielen sie Mutter, Vater, Kind. „Finn ist gern das Baby oder auch mal ein Hund“, sagt Helena. Obwohl sie anderthalb Jahre jünger ist, überragt sie ihren Bruder größenmäßig. Was sie an Finn besonders mag? „Dass er seine Laune immer gleich wiederfindet, wenn er mal traurig ist“, erklärt sie. „Wenn er mal was Blödes macht, muss man halt mit ihm reden.“ Der Finn sei ein echt guter Bruder. „Jaaa!“, pflichtet Nesthäkchen Nathalie bei, während sie sich daumenlutschend auf dem Familiensofa räkelt.

„Lego!“, antwortet Finn auf die Frage, was er besonders gerne macht. Stundenlang könne er sich damit befassen, erzählt seine Mutter. Unermüdlich, voll bei der Sache und rundum zufrieden wühlt er in der Kiste mit den bunten Bausteinen und freut sich über jedes Teil, das sich zu einem kleinen Bauwerk zusammenfügt.

„Willst Du den Teufel etwa noch mal herausfordern?“

Anstrengend sei ihr Alltag schon, berichtet Finns Mutter, die vor seiner Geburt bei der Sparkasse gearbeitet hat. An eine Rückkehr in den Job sei nicht zu denken. Viele würden sie schief ansehen, weil sie nur zuhause sei. „Mit Finn geht das nicht anders. Und ich will es auch nicht.“

Bewusst war die Entscheidung, weiteren Nachwuchs zu bekommen. Das hätten ihnen auch andere Familien mit Down-Syndrom-Kindern geraten. „Sonst konzentriert man sich zu sehr auf das eine Kind. Das hat auch viel davon, wenn Geschwister da sind.“ Nach Finns Geburt ließen sich die Eltern untersuchen: „Finns Behinderung ist nicht genetisch, es war einfach eine Laune der Natur.“ Bei Nathalie, der jüngsten Tochter, machten sie einen Bluttest, um Down-Syndrom auszuschließen. „Aber nur, weil ich ja schon 40 Jahre alt war.“ Was sie gemacht hätten, wenn Trisomie 21 bei der Untersuchung festgestellt worden wäre, wissen die Eltern nicht.

Viele aus ihrem Umfeld hätten wenig Verständnis für ihren Kinderwunsch gehabt. „Willst Du den Teufel noch mal herausfordern, hat mich tatsächlich eine Bekannte gefragt, als ich mit dem zweiten Kind schwanger war. Als wäre ein Kind wie Finn ein Teufel oder sowas“, empört sich Andrea noch nach all den Jahren. „Warum bekommt man überhaupt ein behindertes Kind? Das wurden und werden wir immer wieder gefragt.“

Größter Wunsch: ein leichte(r)s Leben für Finn

Alle mussten sich einfinden in dieses Familienleben, das so anders wurde, als sie geplant hatten. Hilfsangebote habe es gegeben, Kontakte zu anderen Betroffenen wurden schnell geknüpft. „Ich bin in eine Selbsthilfegruppe gegangen und hatte erstmal nur diese eine Frage: Ist mein Leben jetzt versaut?“ Dass dem ganz und gar nicht so ist, wurde ihr gesagt. Und es wurde der Mutter schnell bewusst. „Es ist eben anders gut.“

Mein Downie – so nennt sie ihren Sohn liebevoll. Auch wenn manche das komisch finden. „Vieles muss man einfach mit Humor nehmen, sonst erträgt man das nicht.“ Vor allem die vielen Vorurteile und die unzähligen Alltagskämpfe, die seien belastend. „Da wird der Humor schon mal sehr, sehr schwarz.“

Echte Toleranz von anderen, mehr Unterstützung und dass man ohne Vorurteile Finn so nimmt wie er ist, das wünschen sich seine Eltern für seine Zukunft. „Das Wichtigste ist natürlich die Gesundheit. Man weiß nie, wie sich die bei Trisomie 21 entwickelt, da bleibt immer die Frage, was als nächstes kommt.“ Aber eines ist sicher: Seine Familie wird an Finns Seite sein. Egal, was kommt.

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