„Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.“ Der Theaterkenner weiß natürlich sofort, dass Shakespeares Hamlet diesen berühmten Satz einst bei der Uraufführung 1602 gesprochen hat, und seitdem ist das Stück abertausende von Malen auf die Bühne gebracht worden. Eine sehr moderne und ein bisschen umgewandelte Version hat auch das Staatstheater Darmstadt im Programm: „Prince of Denmark“. Einer der Stars auf der Bühne ist der 10-jährige Maximilian Tim Leon Siegling, kurz Max.

Zwar liest Max privat lieber Comics oder „Die drei ???“ statt sich der Literatur des Elisabethanischen Zeitalters zu widmen, aber er ist fasziniert vom Theater und vor allem von der Schauspielerei. Noch hat er keine große Sprechrolle, aber dennoch keine weniger anspruchsvolle: „Ich trage ein Affenkostüm. Das ist ziemlich schwer, und man schwitzt sehr darunter“, erklärt Max.

Bei einem Zirkusprojekt im Rahmen von Ferienspielen wurde ein sportlicher Junge gesucht und mit Max die perfekte Besetzung gefunden, denn er ist nicht nur beweglich und ausdauernd und kann Affenkostüme hervorragend tragen, sondern er ist auch ziemlich talentiert. Schon vor seinem Engagement für „Prince of Denmark“ sang er im Reichelsheimer Kinderchor, und diese Rolle nun ist nur der Beginn von weiteren Bühnenauftritten. Als nächstes tritt er mit dem Chor in der „Reise nach Jerusalem“ und in „Anatevka“ auf. In letzterem Stück singt er sogar ein Solo.

Aufgeregt ist der Bald-Gymnasiast aber dennoch nicht. Lampenfieber ist ein Fremdwort, und das Ensemble macht es ihm zusätzlich leicht: „Hier am Theater sind alle total nett. Und mit Oliver verbringe ich vor und nach meinem Auftritt viel lustige Zeit hinter der Bühne.“

Oliver Noweck spielt selbst bei der Hessischen Spielgemeinschaft und ist ab Juni als „Dr. Einstein“ im Stück „Arsen und Spitzenhäubchen“ auf der Terrasse des Staatstheaters zu sehen, ist verantwortlich für die Einzelbetreuung von Kindern am Staatstheater und begleitet und bespaßt Max bei Proben und Aufführungen. Das ist bei „Prince of Denmark“ ganz besonders wichtig, denn das Stück ist recht grausam und vor allem nicht jugendfrei:

Jugendschutz wird ganz großgeschrieben

„Jugendschutz wird ganz großgeschrieben. Wenn ein Kind in einem Theaterstück mitspielen will, dann müssen Anfragen gestellt werden: an die Eltern, an die Schule, an das Jugendamt. Das Regierungspräsidium muss das genehmigen. Ein Kind darf nicht jeden Tag proben, nicht zu lange proben, und wenn in einem Stück wie diesem auf der Bühne gemordet wird oder wenn Schauspieler nackt auf der Bühne sind, dann ist es meine Aufgabe, mit dem Kind etwas anderes zu machen und mich woanders aufzuhalten.“

So machen die beiden derweil die weit verzweigten unterirdischen Theatergänge unsicher, erkunden Requisiten, schießen Fotos mit Totenköpfen, inspizieren die Nebelmaschine oder trinken auch einfach mal nur gemütlich Kakao. Einzig zum Auftritt geht es in Richtung Bühne. Und auch dort wird penibel genau auf den Jugendschutz und das Wohl eines Kinderschauspielers geachtet, erklärt Oliver: „Ein Kind darf keine Waffe in der Hand halten. Allerdings muss Max schießen. Das heißt in diesem Fall: Er simuliert den Schuss, welcher dann parallel mithilfe von Special-Effects ertönt.“

Was einfach klingt, ist komplizierter als man denkt, denn Max muss zentimetergenau an der richtigen Stelle stehen und sekundengenau die Hand zum Abfeuern heben. Dafür ist eine hohe Konzentration erforderlich. Außerdem muss er sich in seiner Rolle auf allen Vieren fortbewegen, und das ist ziemlich beschwerlich, wie jeder bestätigen kann, der regelmäßig die Dreckspuren seiner Kinder vom Boden wischen muss.

Der Applaus ist ein tolles Gefühl

Doch der Beifall am Ende der Vorstellung vertreibt jegliche Erschöpfung: „Der Applaus ist ein tolles Gefühl, vor allem beim Schlussapplaus, wenn man immer wieder neu auf die Bühne kommt, um sich zu verbeugen.“ Daran könnte der Nachwuchsschauspieler sich gewöhnen. Und auch die Bestätigung seiner Freunde macht große Freude, auch wenn die wegen des bereits erwähnten Jugendschutzes das Theaterstück noch nicht anschauen dürfen. Stattdessen jubeln Mama, Papa und die Großeltern Max vom Publikum aus zu. Auch so manch einflussreicher Beobachter hat Max genauestens unter die Lupe genommen. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass er inzwischen für eine weitere Rolle vom Staatstheater angefragt wurde: „(R)Evolution“ wird das Stück heißen, spielt in der Zukunft und startet im September. Es geht darin um künstliche Intelligenz und wie sie unser Leben beeinflusst. Max spielt einen niederländischen Naturalisten und Revoluzzer, und ist das einzige mitwirkende Kind. „Das ist so toll, dass ich jetzt noch ein Stück angeboten bekommen habe. Das Spielen macht aber auch wirklich Spaß.“

Schauspieler zu sein, steht sicher bei vielen jungen Leuten auf dem Wunschzettel ans Universum. Nicht zuletzt wegen des lockenden Ruhmes. Autogramme musste Max zwar bisher nur seiner Tante geben, aber er ist ja noch am Beginn seiner Karriere, und viele blicken vermutlich etwas neidvoll darauf. Dabei kann eigentlich jeder sein Glück versuchen, rät Oliver Noweck: „Es gibt Schultheater und Laienschauspielgruppen. Häufig greifen wir bei Rollenbesetzungen auch auf den Bestand aus dem Kinder- und Jugendchor oder der Statisterie zurück. Für die Statisterie im Staatstheater kann man sich jederzeit bewerben. Und – wie bei Max – wird nach passenden Kindern und Jugendlichen oft auch in Vereinen gesucht.“ Will man eine Rolle im „Nussknacker“ besetzen, fragt das Theater bei Ballettschulen nach, bräuchte man einen Degenkünstler, würde man im Fechtverein suchen. Es ist eben immer auch ein bisschen Zufall und Glück dabei.

Aus einer glücklichen Fügung hat Max nun einen Zukunftsplan kreiert. Zwar ist er vielseitig interessiert, macht Karate, spielt Klavier und könnte sich auch eine Karriere als Musiker vorstellen, aber: „Schauspieler sein, das wäre mein Traumberuf. Und ich würde auch wirklich gern mal selbst den Hamlet spielen.“
So denn, oder wie der dänische Prinz sagen würde: „Geschieht es jetzt, so geschieht es nicht in Zukunft; geschieht es nicht in Zukunft, so geschieht es jetzt; geschieht es jetzt nicht, so geschieht es doch einmal in Zukunft. Bereit sein ist alles.“