Ein Beitrag von Vera Gramm

Jeder Mensch ist einzigartig und kann eine besondere Geschichte erzählen. Davon möchten wir berichten: von denen, die Besonderes erlebt haben, die Außergewöhnliches leisten, die sich für andere einsetzen oder Schweres bewältigen.

Unsere Autorin Vera Gramm stellt die Violinistin Makiko Sato vom Staatsorchester Darmstadt vor. Sie ist Virtuosin an der Geige und hat 19 Monate alte Zwillinge.
Es ist 10 Uhr morgens, wir sitzen in der Kantine des Staatstheaters. Das Theater ist Makikos Arbeitsplatz. Denn Makiko ist Erste Violinistin und Vorspielerin am Staatsorchester. Die Jananerin lebt in Darmstadt, ist verheiratet und Mutter von Zwillingen.

Die Kunst als Beruf

Mich interessiert, wie sie zur klassischen Musik und zur Geige gefunden hat. Maikio gewäht Einblicke in ihre Kindheit, um später auch etwas über den Alltag der erwachsenen und bedacht wirkenden Frau zu erfahren: Über die Kunst als Beruf, über den Spagat zwischen Mutter sein und ihrem anspruchsvollen Beruf, über die ganz normalen Alltagssorgen mit 19 Monate alten Zwillingen.

Makiko ist in Tokio geboren, als sie acht Jahre alt war, kommt ihr kleiner Bruder zur Welt. Ihren Eltern ist eine fundierte Ausbildung an einem Instrument und in einer Sportart wichtig. Ihr Vater ist selbstständig, ihre Mutter kümmert sich um die Kinder. An den respektvollen Umgangston in ihrer Familie erinnert sich Makiko gerne. Mit drei Jahren beginnt sie das Geigenspiel, lernt nach der Suzuki-Methode (Musikerziehungskonzept, das analog zur Spracherziehung auf Auswendiglernen mit Hilfe von Hören, Beobachten und Nachahmen basiert), sie schwimmt und turnt. Dank fundierter musikalischer Grundkenntnisse unterstützt Makikos Mutter ihre Tochter, nimmt an deren Geigenstunden teil und hilft ihr zu Hause. Ohne Druck und Strenge baut sie das Geigenspiel in den Alltag ein.

Makikos Geigenlehrer erkennen ihr Talent und ihre Motivation: Mit acht Jahren darf Makiko zusätzlich zum Geigenunterricht Musiktheorie in einem Kinderkurs einer der besten Musikhochschulen Japans lernen. Hier findet sie Gleichgesinnte, die sich auch für klassische Musik und Musikgeschichte begeistern. Zwar interessiert sich Makiko auch für J-Pop (japanische Popmusik) und Schauspielerei, doch ihr Geigenspiel, macht sie zu etwas besonderem unter ihren Klassenkameraden an der Mittelschule. Mit zehn Jahren besteht sie die Aufnahmeprüfungen für das Streichorchester und den Chor der Musikhochschule. Im Grundschulalter entscheidet sich Makiko selbst für das tägliche, etwa zweistündiges Üben, das bald, wie Hausaufgaben, essen und schlafen zum Alltag gehört. Makiko lernt aus sich heraus und liebt das dramatische, virtuose Konzertspiel. Für sie gehören das Geigenspiel und die klassische Musik untrennbar zusammen. Die hochwertigen Geigen bekommt sie von ihren Lehrern geliehen. Der Wunsch, Violinistin zu werden und zu den Besten zu gehören, festigt sich in dieser Zeit.

Makiko möchte gerne in Europa studieren. Die umfangreiche, epochale Musikgeschichte, das Hochschulangebot, die hohe Orchesterdichte und das Fehlen von Studiengebühren in Deutschland sind Grund dafür. Auf Drängen der Eltern lernt Makiko zunächst in Japan vier Jahre lang das Geigenspiel an der Musikhochschule Tokios. Denn in der japanischen Gesellschaft sind japanische Hochschuldiplome weit höher anerkannt als externe. Sie lernt während ihres Studiums deutsch und bewirbt sich nach ihrem Abschluss an der Musikhochschule Hamburg. Hier steigt sie in das siebte Semester des Instrumentalmusikstudiengangs ein und absolviert ein zusätzliches Konzertexamen-Aufbaustudium. Sie erhält ein Stipendium des DAAD (Deutschen Akademischen Auslandsdienstes). Ihre Mutter kommt 2014 aus Japan zu ihrer Abschlussprüfung, einem Orchesterkonzert, nach Hamburg. Parallel hat Makiko bereits eine Stelle am Staatstheater Darmstadt, hier ist sie mittlerweile unbefristet engagiert.

Aus ihrer intensiven Lehrzeit nimmt Makiko Werte mit, die auch ihr jetziges Leben prägen: “Wenn man etwas wirklich möchte, sollte man sich selbst Zeit geben und durchhalten, dabeibleiben und sich nie gänzlich in Frage stellen.” Makiko dachte nie ans Aufgeben, auch wenn sie sehr selbstkritisch ist: nach Prüfungen stellte sie sich stets die Frage, was sie hätte besser machen können; diese Überlegungen lähmen sie aber nicht, sie spornen sie zu mehr Einsatz an.

Musikalische Abwechslung

Makiko liebt die Abwechslung, die ihr das Darmstädter Staatstheater bietet: von einer italienischen, Diva-zentrierten Oper über eine ernste, akademische Wagneroper, bis hin zu den zahlreichen Kinderkonzerten des Staatsorchesters: den Teddybärkonzerten, Familien- und Schulkonzerten oder den Familienopern. Toll an diesen Veranstaltungen ist das direkte Erleben der Kinder. Häufig kommen die Musiker vor der Veranstaltung im Foyer mit den Kindern zusammen, die ungezwungen die Möglichkeit haben, verschiedene Instrumente auszuprobieren, Fragen zu stellen und zu staunen. Makiko genießt es, ausgewählte lustige Musikstücke – auch aus Musicals – für Kinder zu spielen, die mal lachend, mal ängstlich, mal neugierig oder übermütig auf die musikalisch erzählten Geschichten reagieren.

Glück im Doppelpack!

Die Geburt ihrer Zwillinge im Jahr 2018 ist für Makiko ein lebensveränderndes Ereignis: Glück im Doppelpack! Johann und Sakura (japanisch für Kirschblüte) kommen in Frankfurt zur Welt. Makiko nimmt zwölf Monate, ihr Mann, Sebastian Röthig, zwei Monate Elternzeit. Er ist auch am Staatstheater tätig, stammt aus der Nähe von Leipzig und spielt Oboe. Er organisiert ehrenamtlich das Projekt „Orchester im Klassenzimmer“ und unterrichtet an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Die junge Familie feiert den ersten Geburtstag der Zwillinge bei den Großeltern in Japan. Die Vermittlung der japanischen Wurzeln ist den Eltern wichtig, die Kinder wachsen zweisprachig auf.

Der Alltag ist eng getaktet: Die Kinder gehen vormittags in die Krippe, Proben sind am Theater auch vormittags und ab 18.30 Uhr, Vorstellungen um 20 Uhr. Die Nachmittage sind bei Familie Sano-Röthig Familienzeit, auch ein gemeinsames Abendessen ist wichtig. Nicht an jedem Abend sind Proben oder Auftritte. Die Zeit wird aufgeteilt zwischen Qualitätszeit mit den Kindern, persönlichem Üben im eigenen Proberaum im Theater, dem Instrumentalunterricht, den beide Eltern erteilen, und Freiraum für sich selbst. Dieser ist merklich geschrumpft. Sind beide Eltern arbeiten, gibt es ein dichtes Netz aus Babysittern. Hilfreich ist, dass Sebastian und Makiko im gleichen Rhythmus leben, dennoch „ist die Organisation des Alltags wie ein Puzzlespiel“, lacht Makiko etwas müde.

Mehr Flexibilität im Alltag

Mit zunehmender Selbstständigkeit der Zwillinge kommt wieder Flexibilität in den Alltag, auch, um in die Zukunft zu schauen und über Familienwerte nachzudenken. Die zwanglose Vermittlung von Musik ist Makiko wichtig. „Spaß an der Musik steht im Vordergrund. Denn alle Kinder bringen Musikalität mit auf die Welt, sie ist nur unterschiedlich groß.“, sagt die Musikerin „und wenn man für sich das richtige Instrument findet und ein unterstützendes Umfeld hat, können Kinder nur profitieren.“ Singen in einem Chor sei ein wunderbarer Einstieg für alle Kinder ab etwa fünf Jahren, um mit sich selbst, der Musik und anderen Kindern in Kontakt zu kommen. Gemeinsames Musizieren fördere die Sozialkompetenz der Kinder und das Solidaritätsgefühl. Für ihre Zwillinge und für alle Kinder dieser Welt, wünscht sich die Violinistin, dass sie ihren eigenen Weg zur und mit der Musik finden.

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