Eltern sind da wichtige Vorbilder.
Morgens in der Schillerschule in Darmstadt. Kinder laufen durch die Flure, manche begrüßen sich mit einem beiläufigen „Hi“. Die Schüler trudeln nacheinander in ihren Klassenräumen ein, die ersten zehn Minuten dienen als offener Start in den Unterrichtstag. Das gibt den Lehrerinnen und Lehrern die Möglichkeit, die Kinder einzeln zu begrüßen. Wie an fast jedem Schultag ruft ein Zweitklässler beim Betreten des Raumes inbrünstig: „Guten Morgen, Frau Weinbrenner!“ „Das ist immer ein schöner Moment, wenn die Kinder in diesem Alter von sich aus grüßen“, sagt die Lehrerin. Gerade in den ersten beiden Schuljahren sei das noch nicht für alle Kinder eine Selbstverständlichkeit. „Viele müssen noch zum morgendlichen Gruß ermuntert werden.“
Alles Knigge, oder was?
Knigge steht heute allgemein für eine Sammlung von Verhaltensregeln in einem bestimmten Bereich. Es gibt „Knigge“ für sämtliche Lebensbereiche, der Begriff ist beinah zum Synonym für Etikette und gutes Benehmen geworden.
Namensgeber ist der Schriftsteller und Aufklärer Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796). Der verarmte deutsche Adelige analysierte das Sozialverhalten seiner Mitmenschen und erkannte, dass der respekt- und stilvolle Umgang miteinander gelernt werden kann – und muss. Seine klugen Erkenntnisse fasste er 1788 in „Über den Umgang mit Menschen“ zusammen, einer Aufklärungsschrift für Taktgefühl und Höflichkeit im Umgang mit den Generationen, Berufen und sogar Charakteren.
Knigge wollte damit nicht gutes Benehmen und Anstand lehren, sondern aufklären und auch erziehen. Aus seinen scharfsinnigen Beobachtungen zog er weise Schlüsse zu gutem Benehmen und appellierte an die Vernunft der Leser, die sich so verhalten sollten, dass ein verträgliches und angenehmes Zusammenleben möglich war.
Seine ursprüngliche Schrift, die später nur noch unter dem Titel „Knigge“ bekannt war, wurde im Laufe der Jahre immer weiter ergänzt um konkrete Verhaltensregeln und entwickelte sich so zur Blaupause für Benimmbücher aller Art.
Gutes Benehmen ist nicht von gestern
Gerade in Zeiten, in denen mächtige Politiker andere rücksichtslos aus dem Weg schubsen, Fernsehsendungen boomen, in denen man Menschen beim Toilettengang zuschaut oder Pöbel-Posts auf Facebook an der Tagesordnung sind, bekommen höfliche Umgangsformen einen besonderen Stellenwert. Bisweilen machen sie sogar den entscheidenden Unterschied: Wer heutzutage die wichtigsten Anstandsregeln kennt und sich auch danach verhält, sticht mitunter positiv aus der Menge hervor.
Dabei geht es nicht nur um störende Angewohnheiten und den schönen Schein. Gutes Benehmen ist mehr als „nur“ angepasstes Verhalten. Als „Schmiermittel“ der Zivilisation hat der Soziologe und Kulturphilosoph Norbert Elias Höflichkeit, Rücksichtnahme und Dankbarkeit bezeichnet. Ohne geht es nicht – eine Gesellschaft braucht Menschen, die respektvoll miteinander umgehen.
1 x 1 des guten Tons:
Guten Tag, bitte, danke, Entschuldigung
Eine hohe Kunst ist gutes Benehmen keineswegs. Eigentlich sind es Kleinigkeiten, die
das zwischenmenschliche Zusammenleben angenehm machen. Wer seine Mitmenschen beispielsweise mit einem freundlichen „Guten Tag“ begrüßt, zeigt damit, dass er andere wahrnimmt und achtet. Bei Tisch signalisiert das „Guten Appetit“ und der gemeinsame Beginn des Essens, dass nicht jeder für sich is(s)t, sondern dass die Gemeinschaft wichtig ist.
Ein höfliches „Entschuldigung“, wenn man aus Versehen jemandem auf den Fuß getreten ist, lässt Schmerz vielleicht erst gar nicht aufkommen. Und wer sich öfter mal auch für Selbstverständliches bedankt, drückt damit seine Wertschätzung für andere aus und sorgt für gute Stimmung.
Das macht man nicht!“
Beim Essen ordentlich am Tisch sitzen, anderen nicht ins Gespräch reinquatschen, nicht drängeln, immer schön bitte und danke sagen und in der Öffentlichkeit nicht rülpsen, pupsen schon mal gar nicht. Es gibt viele Benimmregeln, die eigentlich jedes Kind kennt. Sie sind oft unter „Das macht man nicht“ abgespeichert.
Gutes Benehmen ist mitunter Ansichtssache und auch abhängig von Alter oder auch Gesellschaftsschicht. Und was sich früher einfach so gehörte, ist heute unter Umständen total out. Vor gar nicht allzu langer Zeit war beispielsweise zur Begrüßung noch ein devoter Knicks angebracht. Derartige Unterwerfungsgesten sind natürlich längst passé. Was sich gehört, ist immer auch eine Frage des Zeitgeistes.
In Familien gehen die Meinungen zu Benimmregeln ebenfalls manchmal auseinander. Der eine legt Wert auf perfekte Tischmanieren, der andere will eine anständige Begrüßung. Zuhause ist für manche auch Knigge-freie Zone. Da darf auch mal beim Essen gelümmelt oder ein „danke“ unter den Tisch gefallen lassen werden.
Was noch im Rahmen ist, legen Familien selbst fest, auch durch den täglichen Umgang miteinander. Wichtig ist aber, dass Kinder Benimmregeln kennen und sie anwenden können, wenn es die Situation erfordert.
Höflichkeit … ist absolut unbezahlbar!
fratz im Interview mit Malgorzata Diebel, staatlich anerkannte Trainerin für Business-Etikette und Vorstandsmitglied der Deutschen-Knigge-Gesellschaft e. V.
Was genau ist denn gutes Benehmen?
Ganz einfach: respekt- und rücksichtsvolles Verhalten anderen gegenüber. Wer sich gut benimmt, zeigt, dass er andere Menschen wahrnimmt und nicht nur an sich selbst denkt. Schwer ist das nicht. Ein nettes Lächeln ist die Weltsprache, jeder versteht das. Das ist der erste Schritt zu anständigem Verhalten. Wer lächelnd auf seine Mitmenschen zugeht, benimmt sich schon vorbildlich. Dann braucht es nur noch die drei Zauberworte bitte, danke und Entschuldigung, schon ist man bei guten Umgangsformen.
Auch in ganzen Sätzen zu sprechen, ist eine Form guten Benehmens: Man macht sich die Mühe, auszuformulieren, was man sagen will, und überlässt es nicht dem anderen, den Satz zu vervollständigen. Auch Tischmanieren sind bedeutsam. Esse ich ordentlich, drücke ich damit Respekt aus – vor den Nahrungsmitteln und meinen Tischnachbarn. Nichts verdirbt doch mehr den Appetit als jemand, der eine Mahlzeit schmatzend herunterschlingt.
Ist sowas denn heute überhaupt noch wichtig?
Sehr! Vielleicht sogar wichtiger als früher. Gerade heute, wo viele nur auf den eigenen Vorteil schauen, ist gutes Benehmen etwas, womit man sich positiv abhebt. Es ist eine Form der Wertschätzung, wenn man sich anderen gegenüber höflich verhält. Wer sich mal zwischendurch für Dinge bedankt, die eigentlich als selbstverständlich gelten, bringt damit unschätzbare Anerkennung zum Ausdruck. Es sind so Kleinigkeiten, wenn beispielsweise ein Kind beim Abschied „danke“ zu seiner Erzieherin sagt, wirkt das wunderbar motivierend.
Gutes Benehmen „entstresst“ auch den Familienalltag. Konflikte werden anders bewältigt, wenn sich alle an Kommunikationsregeln halten. Wer von klein auf höfliche Verhaltensweisen anwendet, für den werden sie wie Rituale, die später in allen Situationen abgerufen werden können. Dann muss man sich nicht fragen „Wie verhalte ich mich hier jetzt“, sondern weiß intuitiv, was angebracht ist.
Kurzum: Höflichkeit ist absolut unbezahlbar! Wer bei seinen Kindern Wert darauf legt, gibt ihnen damit etwas mit fürs Leben. Ob später im Job, oder auch in Beziehungen: Wer Manieren hat, hat es sehr oft leichter, das erlebe ich immer wieder.
Warum fallen stilvolle Umgangsformen vielen Kindern offensichtlich schwer?
Gutes Benehmen ist etwas, das wir lernen und trainieren müssen. Das braucht Zeit und Geduld, beide sind heute Mangelware. Ein Grund dafür ist der Job- und Freizeitstress, bei dem es vielen Eltern schwerfällt, auch noch gutes Benehmen ausgiebig zu „üben“. Nach einem harten Tag ist man oft erschöpft, dann wird halt vor dem Fernseher gegessen und das „danke“ vergessen. In unserem proppenvollen Alltag bleibt leider wenig Zeit für Höflichkeit – wenn man sich nicht immer wieder selbst dazu ermahnt.
Was sind die größten „Benimm-Probleme“ bei Kindern?
Tischmanieren sind ein Thema. Manche Kinder essen oft in der Kita oder der Schulbetreuung. Aus Zeitmangel werden die Mahlzeiten zuhause nur zwischen Tür und Angel eingenommen. Da bleibt wenig Raum für langsames, genussvolles Essen. Wie sollen Kinder so Tischsitten lernen? Natürlich sind nicht allen Eltern ordentliche Tischmanieren wichtig, vielleicht haben sie diese auch selbst nicht gelernt, dann können sie das natürlich kaum weitergeben. Dabei spielt gemeinsames Essen in unserer Gesellschaft eine große Rolle. Und wer anständig isst, kann viel Eindruck machen.
Auch beim Duzen und Siezen tun sich viele Kinder schwer. Sie duzen automatisch alle Erwachsenen, weil es ihnen erlaubt wurde. Für die Kinder ist es aber gut, wenn sie früh den Unterschied zwischen duzen und siezen kennen. Es macht sie sicherer im Umgang mit anderen und stärkt ihr Selbstbewusstsein. Sie müssen mal beobachten, wie stolz Kinder sind, wenn sie einen Erwachsenen angemessen miSie ansprechen – dann fühlen sie sich total erwachsen.
Wie lernen Kinder, sich „richtig“ zu benehmen?
Durch Nachahmung. Wie die Eltern sich benehmen, das färbt auf das Kind ab. Es sieht im täglichen Umgang, wie Mama und Papa sich anderen gegenüber verhalten. Das schaut sich das Kind ab, es kennt es erstmal nicht anders. Wenn also die Mama selten bitte oder danke sagt, hält es das Kind auch nicht unbedingt für nötig. Und wie und wo gegessen wird, beeinflusst natürlich auch, welche Tischmanieren vorgelebt werden.
Im Kindergarten sind Vorbilder auch wichtig. Wenn die Erzieherinnen ebenfalls Wert auf Höflichkeit legen, wirkt das bestärkend. Der Einfluss von außen ist stark. Wenn das Umfeld in Kita und Schule respektlos ist, kann das dazu führen, dass Kinder Benimmregeln „verlernen“. Kinder schauen sich viel voneinander ab, das darf man nicht unterschätzen.
Was können Eltern gegen schlechtes Benehmen ausrichten?
Kinder benehmen sich manchmal schlecht, nicht weil sie es nicht können, sondern eben weil sie es können. Wenn ein Kind unhöflich ist, unschön isst oder sich respektlos benimmt, kann das Trotz sein. Es verhält sich absichtlich nicht korrekt – es weiß ja, wie es richtig geht. Zuhause toben sich viele Kinder in Bezug auf Benehmen aus. Sie testen, wie weit sie gehen können und nehmen sich Freiheiten heraus, weil sie sich im geschützten Raum befinden. Viele Kinder, die zuhause furchtbar essen, tun es bei anderen vorbildlich. Das sollten Eltern immer bedenken.
Ich finde, man sollte Kinder darüber informieren, wenn sie etwas falsch gemacht haben und sie loben, wenn sie etwas gut machen. Schimpfen oder laute Zurechtweisungen bringen wenig. Besser ist es, zu erklären, was das Kind besser machen kann.
6 Tipps für leicht umsetzbare Benimm-Regeln von Malgorzata Diebel
Duzen und siezen
Duzen ist in Ordnung, wenn Kinder wissen, dass es einen Unterschied gibt und man nicht jeden einfach so mit „Du“ anspricht. Das kann man schon Kleinkindern beibringen, etwa indem man sie dazu anhält, ältere Menschen aus ihrem weiteren Umfeld zu siezen.
Hand geben
Kinder müssen Erwachsene nicht per Handschlag begrüßen. „Gib doch mal dem Herrn Müller die Hand“, ist keine Aufforderung zu besonders höflichem Verhalten. Es gilt: Der Erwachsene reicht die Hand zur Begrüßung. Er ist der „Größere“ und damit der „Ranghöhere“, der das Vorrecht hat, die Form der Begrüßung vorzugeben. Bei Erwachsenen ist das auch so.
Tür aufhalten
Durch eine Tür gehen, nicht nach hinten schauen und die Tür ungebremst zufallen lassen, das ist unhöflich. Kindern sollte man beibringen, dass sie beim Durchgehen durch eine Tür schauen, ob jemand folgt, und die Tür für den nächsten kurz aufhalten. Auch wenn jemand die Tür selbst nicht öffnen kann, sollte das Kind helfen. Jemandem dabei den Vortritt lassen, ist ein feiner Zug, bei Kindern aber nicht zwingend nötig. Bei Erwachsenen ist auch dies eine Frage der Rangordnung: Der kleinere hält dem größeren die Tür auf.
„Gesundheit“ sagen nach dem Niesen
„Gesundheit“ zu sagen, gilt nicht mehr grundsätzlich als höflich. Denn das Ritual kommt aus dem Mittelalter. Zu Pestzeiten, in denen über den Atem die Krankheit übertragen wurde, sagte man das – aber nicht für den anderen, sondern für sich selbst wünschte man sich Gesundheit. Heute ist es in Ordnung, bei Familie, Freunden und Bekannten einen Nieser mit „Gesundheit“ zu kommentieren. Im Job dagegen ist es üblich, das Niesen höflich zu ignorieren. Denn eine Antwort aufs Niesen unterbricht unter Umständen die Arbeit. Übrigens sollte man in den linken Ellenbogen oder in ein Taschentuch in der linken Hand niesen. Die rechte Hand muss „sauber“ bleiben.
Sich vorstellen
Ob am Telefon oder bei der persönlichen Begegnung: Es hat sich eingebürgert, nur den Vor- oder Nachnamen zu nennen. Gutes Benimm ist aber, wenn man bei der Vorstellung seinen vollständigen Namen sagt. Dann weiß der andere genau, wer man ist. Kinder sollten früh lernen, dass man sich mit ganzem Namen vorstellt, beispielsweise am Telefon.
In ganzen Sätzen sprechen
Eine sehr einfache, aber effektive Regel lautet: Man spricht immer in ganzen Sätzen, egal, ob man Brötchen kaufen geht oder der Oma etwas erzählt. Man sagt nicht „Ich will Sprudel“ sondern „Ich möchte bitte Sprudel haben“. Es sollte selbstverständlich sein, vollständige Sätze zu formulieren – das ist übrigens auch sehr gut für die Sprachentwicklung.