Von Anke Helene

Wer den 15 Jahre alten Razi Taha Klavierspielen hört, wird kaum glauben, dass er nicht schon seit frühester Kindheit, sondern erst seit knapp vier Jahren spielt. Er kann gehörte Lieder nicht nur sofort nachspielen, er komponiert sogar eigene Stücke. Und das, ohne sich mit Noten auszukennen!

Wer samstags in der Dieburger Bücherinsel stöbert, hat Razi vielleicht schon einmal spielen gehört. Denn er darf das Klavier dort jeden zweiten Samstag benutzen, um die Besucher zu unterhalten. Ergeben hat sich das spontan, erzählt der Zehntklässler. Während der Corona-Zeit besuchte er den Bücherladen mit seiner Familie und ohne weiter darüber nachzudenken, fragte er die Inhaberin Claudia Kleene, ob er auf dem Klavier spielen dürfte. Das fast 100 Jahre alte Erbstück stand vorher nur zur Deko im Laden, aber die Mitarbeiter und Besucher freuen sich, dass es jetzt wieder benutzt wird.

Nächste Herausforderung: Noten lernen

Razi lebt mit seinen Eltern, seiner 16 Jahre alten Schwester und seinem zwei Jahre alten Bruder in Groß-Zimmern. Als er acht Jahre alt war, hatte er schon einmal Klavierunterricht, aber nur kurz. Erst in der sechsten Klasse, kurz vor der Corona-Homeschooling-Zeit, bekamen er und seine Schwester Lust, Klavierspielen richtig zu lernen. Sie landeten bei der Modern Music School Dieburg – und das war wie eine Reaktivierung seines Talents, erzählt sein Vater Baibers. „Wobei wir natürlich zuerst nicht wussten, dass es ein Talent ist“, fügt er lachend hinzu. Seine Schwester spielt mittlerweile nicht mehr – aber nicht, weil sie sich vom Talent ihres Bruders unter Druck gesetzt fühlt, sondern um sich mehr auf die Schule zu konzentrieren; sie möchte Medizin studieren. Für Razi ist die Musikschule vor allem wichtig, um Noten zu lernen. Er kann nach Gehör spielen, „aber wenn mir jetzt jemand einen Stapel Noten in die Hand drückt, brauche ich einen Moment, um mir vorzustellen, wie das Lied funktioniert“, erklärt er. „Manchmal höre ich Lieder, und wenn die Akkorde simpel sind, kann ich sie innerhalb von zwei Minuten auf dem Klavier spielen. Auch mit mehreren Tönen und allen Akkorden.“ Damit es auch vom Blatt klappt, übt er nun klassische, komplexe Lieder, die er nicht kennt und nicht sofort auswendig lernen kann. Eine gute Herausforderung, findet er.

Razis erstes eigenes Konzert

Razi wird mittlerweile sogar für Veranstaltungen angefragt und spielte zum Beispiel auf dem Neujahresempfang in der Dieburger Römerhalle und auf einer Kunstausstellung beim Landratsamt in Darmstadt. Vergangenen Sommer aber trat er auf einem ganz besonderen Event auf: seinem ersten eigenen Konzert. Die Location keine Geringere als Schloss Fechenbach in Dieburg. Auf einem Flügel unterhielt er fast zwei Stunden lang die rund 90 Gäste, hat zwischen den Songs den Besuchern mit viel Humor und Charme mehr über die Lieder und Töne erzählt – spontan: „Ich war innerlich vielleicht ein bisschen aufgeregt, aber konnte alles sehr entspannt wiedergeben“, erinnert sich Razi. Die Eintrittskarten wurden in der Bücherinsel verkauft; Claudia Kleene ist so begeistert von dem jungen Pianisten, dass sie sich wünschte, noch mehr Menschen würden ihn spielen hören. Zwei Euro pro Ticket wurden gespendet – und Razi hat sie einem Tierheim zukommen lassen: „Tiere sind oft die letzten, an die man denkt.“ Am 8.12. wird es ein zweites Konzert von Razi in Schloss Fechenbach geben, auch dieses Mal können die Tickets in der Dieburger Bücherinsel gekauft werden.

Kompositionen für Hollywood

Razi überlegt, auf TikTok und YouTube aktiver zu sein, aber er hat auch Eigenkompositionen – die er nicht online stellen möchte, aus Sorge, jemand könnte das Lied klauen. Was durchaus möglich wäre – denn seine neueste Kreation „Infinity“ klingt wie die perfekte Filmmusik für eine Geschichte über Freundschaft und Liebe, die die Charaktere über den Spannungsbogen begleitet und ihr Happy End untermalt. „Es wäre Luxus, wenn Hollywood anfragen würde“, sagt Razi lachend. Vielleicht muss es nicht gleich die ganz große Leinwand sein, aber wenn jemand Interesse hat, die Songs von Razi kennenzulernen – er freut sich über alle Anfragen. „Die Lieder sind ein unentdeckter Schatz“, sagt sein Vater stolz, der selbst nicht Klavier spielt. „Für Elise“ habe er ihm aber beigebracht“, wirft Razi lachend ein.

Auch die selbst komponierten Songs hat Razi nicht mit Noten geschrieben: „Es ist einfach eine Melodie, die ich im Kopf hatte, dann habe ich passende Akkorde gefunden und geschaut, was gefällt mir auf dem Klavier. Wie soll es klingeln – eher fröhlich oder soll das Lied auch Abschnitte haben, in denen es böse oder traurig klingt und dann sucht man sich die passenden Kombinationen raus.“ Razi hat nie gelernt, wie er Lieder komponiert – er tut es einfach.

Zukunftspläne: Klavier spielender Pilot

„Ich spiele nur, wenn ich Lust habe. Meine Eltern drängen mich nicht zum Üben“, erzählt Razi. „An manchen Tagen spiele ich gar nicht, aber in den letzten Wochen setze ich mich wieder jeden Tag ans Klavier.“ Und für die Schule bleibt noch genug Zeit? Ja, tatsächlich, sagt Razi, der die zehnte Klasse der Albert-Schweitzer-Schule in Groß-Zimmern besucht. Ob er mal hauptberuflich Klavier spielen möchte, weiß er nicht, aber er hat auf jeden Fall große Pläne: nach dem Abitur möchte er Maschinenbau studieren und Airline-Pilot werden. Fliegen ist jetzt schon ein Hobby von ihm, er macht zurzeit den Segelflugschein und darf sogar schon allein in die Lüfte. Das Klavierspielen möchte er aber nicht mehr missen – und wer weiß, was Razi alles noch erreichen kann, wenn man bedenkt, dass er erst seit vier Jahren regelmäßig spielt.

Razi ist auf Instagram hier zu finden: @razitaha_