Kinder und der Umgang mit dem Tod

Von bunten Särgen und Trauerpfützen

Ein Beitrag von Anke Hèlene 

„Liebe Maus, du siehst ganz traurig aus. Ich hab dich lieb, und tschüss.“

Die Maus flog in die Biotonne, und die Vierjährige rannte zur Schaukel im Garten. Damit war das Thema Tod für diesen Tag durch. Die kleine – wahre – Begebenheit am Sommernachmittag beschreibt, wie Kinder oftmals mit dem Thema Tod umgehen – unbefangen und klar, viel weniger von Emotionen geleitet als wir Erwachsene. Auch wenn wir Großen unsere Kinder beschützen wollen und uns hilflos fühlen: Der Tod  gehört zum Leben dazu. Wir erklären, wie ein altersgerechter Umgang aussehen kann und wie Kinder und Eltern mit einem Trauerfall in der Familie umgehen können.

„Oma ist einfach eingeschlafen“, „Opa ist jetzt auf einer langen Reise“, „Mama winkt euch von den Wolken zu“ – all diese Erklärungen sind gut gemeint, aber werden Kindern eher aus einer Überforderung heraus angeboten. Und sie sind das Gegenteil von dem, was Kinder brauchen, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist. Trauernde Kinder brauchen (altersgerechte) Ehrlichkeit und vertraute Menschen, die für sie da sind und sie ernst nehmen. „Je natürlicher, offener und ehrlicher Eltern dem Thema Tod begegnen und es besprechen, desto gestärkter kann ein Kind aus einer Trauersituation hervorgehen“, sagt Sabine Eller. Sie ist Inhaberin von „sterbenleben · trauerbegleitende Bestattungen“ in Darmstadt-Eberstadt, Bestatterin und Trauerbegleiterin. Gemeinsam mit Geschäftsführer und Bestattermeister Tom Schröpfer plädiert sie dafür, Kinder von Anfang an miteinzubeziehen, wenn es einen Todesfall in der Familie oder im Freundeskreis gibt: „Kinder sind für uns immer selbstverständlich Teil des Systems, es ist für uns ganz natürlich, dass sie dabei sind.“ „Das stimmt“, ergänzt ihr Kollege, und fügt hinzu, dass es nie darum gehe, ob man das machen sollte, sondern was die Kinder jetzt brauchen und wie man sie bestmöglich miteinbeziehen und unterstützen könne. Die (Mit)Gestaltung der Abschiedsschritte und die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse wirkten oft stärkend.

Gefühle kreativ ausdrücken

Tom Schröpfer und Sabine Eller von sterbenleben

„Es ist wichtig zu wissen, dass in der Entwicklungspsychologie Kinder verschiedene Phasen des Begreifenkönnens durchlaufen, was die Unumkehrbarkeit und die Endgültigkeit angeht“, erklärt Bestattermeister Herr Schröpfer. Deshalb sei es wichtig, auch andere Erfahrungsmöglichkeiten zu schaffen als nur das kognitive Verstehen: „Es funktioniert für die Kinder oft sehr gut, ins Tun zu kommen.“ Alle Kinder wollen ernst genommen werden und suchen Möglichkeiten, ihre Gefühle auszudrücken – und für viele funktioniert das über Malen und Gestalten viel besser als mit Worten. Deshalb gehören Kinder bei „sterbenleben · trauerbegleitende Bestattungen“ in der (Mit)Gestaltung der Abschiedsschritte selbstverständlich mit dazu. „Kinder können den Sarg anmalen oder die Urne mitgestalten – aber auch den verstorbenen Menschen berühren“ erklärt Herr Schröpfer und erinnert sich an einen dreijährigen Jungen, dessen Opa gestorben ist: „Die Familie hat viel darüber nachgedacht, wie sie den Jungen miteinbeziehen können und ob sie mit ihm an den verstorbenen Opa rangehen dürfen. Durch unsere Ermutigung war schnell klar, dass das geht und dass sie das dürfen – und der Dreijährige hat seinem Opa einen Kuchen geknetet. Ganz logisch in seiner Welt, weil so ein anderer Kuchen, der verdirbt ja auch relativ schnell, und ein Knetekuchen hält länger. Der Junge ist zur Abschiednahme am geöffneten Sarg gekommen und hat den Kuchen hineingelegt. Der Opa brauche ja auch Wegzehrung auf dem langen Weg, den er jetzt antritt, und da sei so ein dauerhafter Kuchen bestimmt das Richtige. So hat er seinem Opa was Gutes getan. Wir haben das natürlich auch sprachlich begleitet und die Eltern unterstützt.“ Genau durch solche Erfahrungen und selbstbestimmte Handlungen können heilsame und tragende Erinnerungen entstehen, die ins weitere Leben mitgenommen werden.

„Trauernde Kinder brauchen (altersgerechte) Ehrlichkeit und vertraute Menschen, die für sie da sind und  sie ernst nehmen.“

Für Erwachsene ist das Thema Tod viel schwerer als für Kinder, natürlich auch durch eigene Erlebnisse, und oftmals gibt es große Berührungsängste. Dazu kommt die Frage, ob man überhaupt so trauern darf, mit einem bunten Sarg und spielenden Kindern beim Abschiednehmen. „Abschieds- und Trauerwege sind persönlich und individuell“, so Herr Schröpfer. „Wir schauen immer, was für die jeweilige Familie passt und erklären, dass es nicht darum geht, was andere wollen, sondern was sich für einen selbst gut und stimmig anfühlt.“

Kinder verdienen Antworten

Marina Marks, ehrenamtliche Trauerbegleiterin

„Ein Kind, das fragt, verdient eine Antwort – und zwar eine klare Antwort“, finden Tom Schröpfer und Sabine Eller. „Es kann mitunter hinderlich sein oder zu einem eigenartigen Trauerweg führen, wenn nur und ausschließlich mit Vergleichen und Bildsprache gearbeitet wird. Wenn ich einem kleinen Kind sage, der Opa ist jetzt auf einer Wolke, dann höre ich vielleicht für den Augenblick keine Fragen mehr, aber wenn wir das nächste Mal im Flugzeug sitzen, ist die Verwunderung groß, wenn wir den Opa nicht auf dem Flug sehen“, erklärt der Bestattermeister. Allerdings haben wir Erwachsenen auf viele Fragen unserer Kinder keine Antworten, sind uns selbst unsicher, wie es wohl nach dem Tod für die Verstorbenen weitergeht. „Dann ist meistens die simpelste Lösung genau das zu benennen und zu sagen, dass man es selbst nicht weiß. Wir können das Kind fragen, was es selbst glaubt, und ins Gespräch kommen.“ Das sieht auch Marina Marks so. Sie ist Trauerbegleiterin und seit vielen Jahren als Ehrenamtliche beim Ökumenischen Hospizverein Vorderer Odenwald e.V. aktiv. „Wir Erwachsene haben keine Antworten. Aber das macht doch nichts, wir müssen nicht alles wissen und können stattdessen gemeinsam mit den Kindern nach Antworten suchen.“
Marina Marks begleitet in Groß-Umstadt trauernde Kinder und kommt mit ihnen bei Aktivitäten wie Lama-Spaziergängen, Basteln oder in der „Trauerwerkstatt“ ins Gespräch. In einer geschützten und vertrauensvollen Umgebung sind die Trauerbegleiter für betroffene Kinder und Jugendliche verlässliche Wegbegleiter auf ihrem eigenen und individuellen Trauerweg, damit sie gestärkt ihr „neues“ Leben gestalten und leben können. Die Kinder dürfen fröhlich und traurig, witzig und wütend sein, und Jugendliche haben die Möglichkeit zusammen zu schweigen, zuzuhören, zu diskutieren oder kreativ zu arbeiten, Sport zu treiben, Rituale zu finden oder bewusst Abschied zu nehmen – so, wie sie es in dem Moment brauchen.

Auch Frau Marks hat die Erfahrung gemacht, dass Kinder ganz anders trauern als Erwachsene: „Da ist ein Lachen und im nächsten Moment ein Weinen.“ Für sie ist Trauer an sich nichts Schweres – wenn richtig mit ihr umgegangen wird. „Trauer ist eine riesengroße Energie, damit kann man ganz viel stemmen, sie wird nur schwer, wenn man darin versinkt und die Trauer nicht kanalisiert“, so Frau Marks. „Das bedeutet nicht herumlaufen und fröhlich sein, sondern einen Weg für sich selbst zu finden, darüber zu sprechen, ein neues Projekt anzugehen, zu verreisen. Allein versinkt es sich schneller als mit Angeboten.“

„Wir Erwachsene haben keine Antworten. Aber das macht doch nichts, wir müssen nicht alles wissen und können stattdessen gemeinsam mit den Kindern nach Antworten suchen.“

Kinder springen in Trauerpfützen

Kleine Kinder können die Endgültigkeit des Todes noch nicht begreifen. Erst im Grundschulalter bekommen sie eine differenziertere Vorstellung und verstehen, dass alle Lebewesen sterben müssen – auch sie selbst, ihre Geschwister und Eltern. Das kann Ängste auslösen, aber der Tod ist Teil des Lebens und begegnet uns immer wieder, in Kinderfilmen, beim Haustier oder eben auch in der eigenen Familie. „Ich kann nur raten, vorher über den Tod zu sprechen und nicht erst, wenn etwas passiert“, so Frau Marks. „Der Tod gehört zum Alltag dazu, und es ist wichtig, darüber zu sprechen, dass er etwas Normales ist – auch wenn er wehtut.“

„Wir wollen unsere Kinder vor Trauer und Schmerz schützen“, sagt Sabine Eller, „aber wenn wir sie lehren, mit Trauer und all den dazugehörenden Gefühlen umzugehen, befähigen wir sie letztendlich fürs Leben.“ Dazu gehöre auch, Kinder ernst zu nehmen und nicht unsere Vorstellung vom „richtigen“ Trauern auf sie zu übertragen. „Kinder springen in Trauerpfützen“, erklärt Frau Eller. „Sie gehen mal schnell ins Thema rein, stellen eine Frage und spielen dann weiter. Sie sind nicht konstant traurig.“ Das bestätigt auch ihr Kollege, Herr Schröpfer: „Trauer ist ein Schirmbegriff. Dazu gehören auch andere Gefühle wie Freude, Erleichterung oder Leichtigkeit. Trauer mit Traurigkeit gleichzusetzen wäre viel zu verkürzt.“ Der Bestatter erinnert sich an eine Abschiednahme, bei der die Enkelin für ihren Opa gebastelt hat, und als dann der Sarg geöffnet wurde und sie ihn gesehen hat, begann sie bitterlich zu weinen. „Sie hat ganz markerschütternd geweint, so 40 Sekunden, dann ist sie auf den Schoß ihrer Oma geklettert, hat sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt und zu ihr gesagt: ‚Jetzt bin ich fertig mit Trauern, was machen wir jetzt?‘ Volle Kanne in die Trauerpfütze rein, aber dann war gut und sie hat für den Augenblick einen Haken dran gemacht.“

Kinder-Trauertisch bei „sterbenleben“

Jeder Trauerweg ist individuell – und gut so, wie er ist

Kinder sollten entscheiden können, ob sie an der Trauerfeier oder einem Abschied teilnehmen möchten oder nicht, findet Sabine Eller und erzählt von drei Geschwistern, die ganz unterschiedlich mit einem Todesfall in der Familie umgegangen sind. „Ein Kind war ganz fasziniert von den Schwimmkerzen, die wir vorbereitet haben, das ältere Mädchen hat ein Bild gemalt und der große Bruder hatte sich entschieden, lieber zum Fußball zu gehen. Es war ihm zu viel und Kinder dürfen sich auch trauerfreie Räume suchen.“ Umso wichtiger ist es für Eltern, ihren Kindern immer wieder Hilfe anzubieten, gemeinsame Erinnerungen zu teilen und für sie da zu sein – aber auch zu akzeptieren, dass alle ihren eigenen Trauerweg haben und dieser ganz unterschiedlich aussehen kann. „Das Leben geht weiter und es darf auch wieder schön sein“, so Trauerbegleiterin Marina Marks. „Alles, was ich fühle, darf da sein und ich darf meine Gefühle zeigen. Ich darf lachen und weinen, ich darf wütend sein, ich darf still sein, ich darf reden, ich darf mich freuen und brauche kein schlechtes Gewissen zu haben.“

„Kinder brauchen die Erlaubnis, bei allen Schritten dabei sein zu dürfen, genauso wie die Erlaubnis, auf Distanz gehen zu können und sich zurückzuziehen“, so Bestatterin Sabine Eller. „Trauerfreie Räume und ganz normaler Alltag sind ebenso wichtig und angemessene und positive Reaktionen von Schule, Nachbarn und Vereinen tun gut.“ Erfahren Kinder nicht, was sich hinter der geschlossenen Tür verbirgt, hinter der seine Oma gerade gestorben ist, oder warum Eltern weinen, bleibe ein nebulöses Gefühl statt Sicherheit zurück. Was aber auch Sicherheit geben kann, ist das Gefühl, nicht allein zu sein und Menschen um sich herum zu haben, die das Gleiche erlebt haben. So wie in der Trauerwerkstatt des Hospizvereins Vorderer Odenwald e.V. in Groß-Umstadt. „In der Klasse ist man wahrscheinlich alleine mit dem Erlebten, das einzige Kind, das zum Beispiel seine Mutter verloren hat“, so Marina Marks, „aber in unserer Gruppe können die Kinder darüber sprechen und so Unterstützung erfahren.“

„Da ist ein Lachen und im nächsten Moment ein Weinen.“

Buchtipp

„Die besten Beerdigungen der Welt“

Ulf Nilsson und Eva Eriksson | Moritz Verlag | Hardcover | 40 Seiten | ab 5 Jahren | ISBN 9783895651748 | 14 Euro (UVP)

Ester, Putte und der Ich-Erzähler beschließen an einem für sie besonders langweiligen Tag ein Beerdigungsinstitut zu gründen. Für alle toten Tiere, die sonst keiner beachtet, wollen sie nichts weniger als die besten Beerdigungen der Welt ausrichten.

Charta für trauernde Kinder und Jugendliche

Unterstützung im Trauerfall
Trauernde Kinder brauchen Unterstützung von ihrer Familie, ihrer Schule und von wichtigen Menschen in ihrem Umfeld.

Gefühle und Gedanken ausdrücken
Trauernde Kinder sollten dabei unterstützt werden, angemessene Wege zu finden, um all ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken, die mit der Trauer verbunden sind, wie Traurigkeit, Angst, Verwirrung, Wut und Schuld.

Erinnerungen an die verstorbene Person
Trauernde Kinder haben das Recht, sich für den Rest ihres Lebens an die verstorbene Person zu erinnern und sowohl besondere als auch schwierige Erinnerungen zu teilen.

Aufklärung und Information
Trauernde Kinder brauchen und haben ein Recht darauf, Antworten auf ihre Fragen und Informationen zu bekommen, die klar erklären, was passiert ist, warum es passiert ist und was als Nächstes passieren wird.

Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen
Trauernde Kinder sollten bei wichtigen Entscheidungen, die sich auf ihr Leben auswirken, wie z.B. Planung der Beerdigung und dem Gedenken an Jahrestagen, die Wahl haben, ob und wie sie daran teilnehmen möchten.

Angemessene Reaktion von Schulen
Trauernde Kinder brauchen Verständnis und Unterstützung von ihren Lehrern und Mitschülern, ohne dass sie darum bitten müssen.

Alle Beteiligten
Trauernde Kinder sollten Unterstützung erhalten, die ihre Eltern oder Bezugspersonen und den gesamten Familienkreis einschließt.

Austausch mit anderen Betroffenen
Trauernde Kinder profitieren von der Möglichkeit, andere Kinder zu treffen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Bewährte Routinen
Trauernde Kinder sollten die Möglichkeit haben, ihre Aktivitäten und Interessen fortzusetzen, damit sich Teile ihres Lebens weiterhin „normal“ anfühlen können.

Keine Schuld
Trauernden Kindern sollte geholfen werden, zu verstehen, dass sie nicht für den Tod verantwortlich sind und keine Schuld daran tragen.

Erzählen, was passiert ist
Trauernden Kindern hilft es, wenn sie ermutigt werden, die Geschichte des Geschehenen auf verschiedene Weise zu erzählen. Sie haben das Recht, dass diese Geschichten von den wichtigen Menschen in ihrem Leben gehört werden.

Literatur und Links

„The charter for bereaved children“, Winston’s Wish UK
www.winstonswish.org/wp-content/uploads/2018/01/ww-0107-CBC-lo.pdf

Kontakte

sterbenleben
trauerbegleitende Bestattung
Sabine Eller | Thüringerstraße 9 | 64297 Darmstadt
Telefon 06151 1368250 | kontakt@sterbenleben.de | www.sterbenleben.de

Hospizverein Vorderer Odenwald
Telefon 0 60 78 – 75 90 47 | kontakt@hospiz-hvvo.de | www.hospizverein-vorderer-odenwald.de
Sprechzeiten: jederzeit nach telefonischer Absprache
Trauertelefon Mobil 01 75 – 5 45 21 77
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