Doch wann beginnt Mobbing, wie lässt es sich vermeiden – und wie verhält man sich am besten, wenn es doch dazu kommt?
Wir haben dazu auch mit einer Expertin gesprochen.
Ein Beitrag von Monika Klingemann
Mobbing in der Schule kann viele Formen haben: Da kommt ständig ein leises Kichern aus der hinteren Bankreihe, wenn Emma im Unterricht etwas sagt. Ben erhält beleidigende Spitznamen, um ihn lächerlich zu machen. Marie wird auf dem Schulhof ignoriert und erfährt nie, wenn die anderen sich verabreden. Hinter ihrem Rücken wird getuschelt. Leon fährt nicht mehr mit dem Schulbus, weil er von einem anderen Jungen regelmäßig beim Einsteigen in die Seite geboxt wird; keiner will etwas gesehen haben. Elif soll jede Woche einen Euro zahlen, damit die Erpresser ihr nicht auf dem Heimweg auflauern.
Diese (fiktiven) Beispiele lassen sich beliebig fortführen: Sachen wegnehmen oder kaputtmachen, Gerüchte verbreiten, im Netz peinliche oder gefälschte Fotos posten oder beleidigende Kommentare hinterlassen. Solche Aktionen sind darauf ausgerichtet, das Opfer verbal zu attackieren, physisch zu verletzen oder seine sozialen Beziehungen zu zerstören. Doch wie ist Mobbing eigentlich definiert, und was ist der Unterschied zu einem „normalen“ Streit, Konflikt oder zu Gewalt?
Mobbing bezeichnet ein Phänomen, bei dem eine einzelne Person in ihrer sozialen Gruppe systematisch ausgegrenzt, schikaniert und terrorisiert wird. Sie steht dabei allein einem oder mehreren Mobbern und deren Mitläufern gegenüber. Die Angriffe passieren wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg, und zwar in der Absicht, der Person Schaden zuzufügen. Oft sucht sich der Täter ein Opfer, das ihm unterlegen ist und sich nicht wehren kann. Aus eigener Kraft kann die betroffene Person das Mobbing meist nicht beenden. Angriffe mehrmals in der Woche und über eine längere Zeit, ein Machtgefälle und dass das Opfer die Situation nicht allein auflösen kann – das sind die Merkmale von Mobbing.
Oft sucht sich der Tätter ein Opfer, das ihm unterlegen ist und sich nicht wehren kann.
Ein Streit zwischen Klassenkameraden auf Augenhöhe, selbst wenn dabei körperliche Gewalt im Spiel ist, ist also kein Mobbing. Auch wenn sich zwei Kinder – ohne Einmischung anderer Mitschüler – über Wochen gegenseitig beschimpfen, ist das eine persönliche Feindschaft, aber kein Mobbing.
Mobbing ist weit verbreitet
Eine im Jahr 2024 veröffentlichte Untersuchung im Auftrag der Techniker-Krankenkasse ergab: Fast jedes sechste Schulkind (15,7 Prozent) ist von Mobbing betroffen. Und – vielleicht noch erschreckender: Jede bzw. jeder Zehnte (10,1 Prozent) gibt an, schon mal selbst andere gemobbt zu haben. Befragt wurden dafür Schülerinnen und Schüler aus fünften Klassen.
Mobbing ist also schon in der Grundschule ein Thema. Und zwar besonders dort. Fachleute betonen, dass Mobbing bei Sechs- bis Zehnjährigen zahlenmäßig wesentlich häufiger vorkommt als an weiterführenden Schulen (wo allerdings der Mobbing-Fall bei den Größeren dann länger andauert). Interessant auch: Jungen sind häufiger sowohl Opfer als auch Täter. Die Übergriffe passieren in der Mehrzahl innerhalb der eigenen Geschlechtergruppe, Mädchen werden also selten von Jungs gemobbt.
Verschiedene Ursachen
Die Gründe, warum Mobbing entsteht, können vielfältig sein. Manchmal ist eine bestimmte Situation der Auslöser: Die Klasse wird neu zusammengesetzt. Ein Kind ist zugezogen. Ein Kind wird vielleicht in irgendeiner Form als „auffällig“ wahrgenommen. Oft begünstigt das Schulklima oder die Lernkultur in der Klasse, dass Mobbing passiert. Bei der Persönlichkeitsstruktur der Beteiligten kann man manchmal typische Eigenschaften erkennen. Mobber sind oft impulsive Persönlichkeiten, die ihre Ziele auch mit aggressiven Mitteln durchsetzen. Die Schwächen anderer können sie gut erkennen. In der Gruppe sind sie einflussreich (aber nicht besonders beliebt). Die „Idealtypen“ von Mobbingopfern sind entweder Kinder, die eher vorsichtig und feinfühlig sind und Gewalttätigkeit ablehnen. Das signalisiert den Tätern, dass sie nicht mit Gegenwehr zu rechnen haben („passive Opfer“). Es werden auch Kinder zu Opfern, die leicht reizbar sind und hyperaktiv und provokant wirken, sie bieten potenziellen Tätern die ideale Angriffsfläche („provozierende Opfer“). Ganz wichtig ist aber zu betonen: Opfer haben grundsätzlich keine Schuld an ihrer Rolle und sind nicht verantwortlich! Jeder kann Opfer werden. Und niemand hat das Recht, andere zu quälen, auch wenn diese sich ungeschickt oder anstrengend verhalten.
Mobbing bezeichnet ein Phänomen, bei dem eine einzelne Person in ihrer sozialen Gruppe systematisch ausgegrenzt, schikaniert und terrorisiert wird. Sie steht dabei allein einem oder mehreren Mobbern und deren Mitläufern gegenüber. Die Angriffe passieren wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg, und zwar in der Absicht, der Person Schaden zuzufügen. Oft sucht sich der Täter ein Opfer, das ihm unterlegen ist und sich nicht wehren kann. Aus eigener Kraft kann die betroffene Person das Mobbing meist nicht beenden. Angriffe mehrmals in der Woche und über eine längere Zeit, ein Machtgefälle und dass das Opfer die Situation nicht allein auflösen kann – das sind die Merkmale von Mobbing.
Ein Mobbing- Problem in der Schule kann auch nur in und von der Schule gelöst werden.
Viele mobben mit
Mobbing ist ein Gruppenphänomen. Es braucht Publikum und Unterstützer. Nicht nur die Person, die selber mobbt, ist also am Mobbing beteiligt, sondern auch diejenigen, die zuschauen oder wegschauen. Dabei kann aus einem passiv zuschauenden Mitschüler auch schnell ein Mitläufer werden, der dem Mobber dann auch assistiert – schließlich hat der mit seinen Angriffen ja offenbar Erfolg. So wird das Mobbing verstärkt. Andere Klassenkameraden haben vielleicht Angst, selbst Opfer zu werden, sie verhalten sich passiv und dulden so die Übergriffe, sodass der Mobber ungestört weitermachen kann. Manchmal ist es auch so, dass Kinder, die gemobbt werden, anderen gegenüber selbst als Mobber auftreten. Auch das zeigt: Es ist oft das Klima in einer sozialen Gruppe, das Mobbing erst möglich macht.
Als Eltern reagieren
Eltern fühlen sich oft hilflos, wenn das eigene Kind von Mobbing betroffen ist. Am liebsten würden sie die schlimme Situation schnellstmöglich beenden. Aber es ist meist nicht möglich – und nötig –, sofort eine Lösung zu finden. Am Anfang kann ein gutes Gespräch mit dem Kind stehen, in ruhiger Atmosphäre, ohne Verharmlosung oder voreilige Ratschläge.
Manche Ratschläge können sogar kontraproduktiv sein, so die Fachleute der Initiative Zeichen gegen Mobbing e.V. „Mach gar nichts, sonst wird es noch schlimmer“ zementiert die duldende Opferrolle, aber auch der umgekehrte Tipp, sich zu wehren, ist unrealistisch – denn das Ungleichgewicht und die Unterlegenheit sind ja gerade Merkmale der Situation. Gleiches gilt für den Rat, den Mobbern aus dem Weg zu gehen – in der Praxis nicht machbar und außerdem ein Schritt in noch mehr Isolation. Und ein unbedachtes „Überleg doch mal, ob du wirklich nichts getan hast“ kann Scham und Schuldgefühle auslösen.
Wenn Eltern Interesse und Hilfsbereitschaft signalisieren, aber auch den Wunsch des Kindes respektieren, falls es keine Unterstützung wünscht, schafft das Vertrauen. Es heißt also ruhig bleiben und sich zurücknehmen, auch wenn es schwerfällt, und das Kind nicht bedrängen. Und natürlich sollte das Gespräch nicht zu einem Verhör werden. Manchmal gelingen solche Unterhaltungen besser, wenn man dabei in Bewegung ist, etwa auf einem Spaziergang, im Auto oder bei einer Radtour. Oder eine andere Vertrauensperson, vielleicht die Patentante, spricht das Thema an.
Lösungswege aus dem Mobbing
Ein Merkmal von Mobbing ist, dass das betroffene Kind nicht allein aus der Situation herauskommen kann. Und natürlich ist es auch nicht an ihm, sein Verhalten zu ändern und sich „anzupassen“ oder gar „freizukaufen“ – das wäre vielmehr ein Anlass für die Mobber, weiterzumachen. Auch abwarten und auf Besserung hoffen ist keine gute Idee. Denn oft verschlimmern sich die Übergriffe mit der Zeit, wenn Gegenwehr ausbleibt. Ein Mobbing-Problem in der Schule kann auch nur in und von der Schule gelöst werden. Umso wichtiger ist es, dass das betroffene Kind sich dort Hilfe sucht. Das kann ein Mitschüler mit Streitschlichter-Ausbildung sein, wenn es solche Peer-Moderatoren an der Schule gibt, oder die Vertrauenslehrerin. Auch die Fachkräfte der Schulsozialarbeit haben Instrumente und Erfahrung, um Lösungen anzustoßen – siehe dazu das Interview weiter unten.
Wenn ein gemobbtes Kind sich bei Erwachsenen Unterstützung holt, ist das kein Petzen – das kann gar nicht oft genug gesagt werden. Wenn das Kind sich trotzdem nicht selbst an Vertrauenspersonen in der Schule wenden möchte, können das die Eltern übernehmen: Klassenleitung, Schulsozialarbeit, Vertrauenslehrkraft oder Schulleitung sind mögliche Ansprechpartner, außerhalb der Schulgemeinde auch die Schulpsychologie oder eine kommunale Beratungsstelle.
Positive Erfahrungen stärken
Damit das Mobbing-Thema nicht das ganze Leben der Familie überschattet, ist es gerade jetzt wichtig, die Aufmerksamkeit auch auf die schönen Dinge zu legen. Gemeinsame Aktivitäten, die den Fokus auf die Stärken des Kindes legen – etwa Ausflüge in den Wald für den kleinen Botanik-Fan oder ins Schwimmbad für die mutige Rutschen-Liebhaberin – geben einen Schub fürs Selbstvertrauen (was zugleich eine gute Vorbeugung ist, um Mobbing gar nicht erst zu erleben). Positive Erfahrungen sind übrigens dann am wirkungsvollsten, wenn sie mit Gleichaltrigen erlebt werden. Vielleicht bietet sich dafür ein Kreativkurs oder eine neue Sportart an (aber nicht beim Verein um die Ecke, wo man der halben Schulgemeinde über den Weg läuft). Sich im Sport zu verausgaben, ist zudem ein prima Ventil, um den Frust und die Wut loszuwerden, die sich in einem Kind mit Mobbing-Erfahrung verständlicherweise aufgestaut haben.
Aktivitäten, die das Selbstvertrauen stärken, sind eine gute Vorbeugung, um Mobbing gar nicht erst zu erleben.
Patentrezepte gegen Mobbing gibt es nicht. In den Schulen sollte eine Kultur des Hinsehens, Handelns und Helfens gelebt werden, die von Fairness und gegenseitigem Respekt geprägt ist und Vielfalt akzeptiert. Als Eltern sollten wir unser Kind ernst nehmen, ihm zuhören und sein Selbstvertrauen stärken. Und wir können es ermutigen, bei Mobbing in seiner Klasse nicht wegzuschauen, sondern der betroffenen Person zu zeigen, dass man auf ihrer Seite steht. Dann sind die Voraussetzungen gut für ein Miteinander ohne Mobbing.
Interview mit Annika-Selina Laudemann
Gemeinschaft stärken, lösungsorientiert intervenieren: Was Schulsozialarbeit gegen Mobbing tun kann
Monika Klingemann im Gespräch mit Annika-Selina Laudemann, Fachgebietsleitung „Jugendsozialarbeit an Schule“ des Landkreises Darmstadt-Dieburg
Was für Möglichkeiten hat Schulsozialarbeit, Mobbing in der Schule zu begegnen?
Bei uns im Landkreis gibt es an 19 weiterführenden Schulen Fachkräfte der Jugendsozialarbeit. Auch wenn die Ressourcen mit einer halben Stelle pro Schule begrenzt sind, können wir hier viel leisten. Unsere Arbeit hat dabei drei Schwerpunkte: präventive Projektarbeit und Kompetenzförderung zum Beispiel in den Klassen, Beratungsarbeit sowie die Vernetzung und Kooperation, sowohl schulintern als auch im Sozialraum und mit diversen Trägern.
Was heißt das konkret beim Thema Mobbing?
Mobbing ist ein gruppendynamisches Phänomen. Die Fachkräfte gehen zum Beispiel in die fünften und sechsten Klassen und machen präventive Projekte, um die Gemeinschaft zu stärken, um aufzuklären und zu sensibilisieren. So wird dann zum Beispiel ein Klassenrat installiert – ein regelmäßiges demokratisches Gremium, in dem die Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich Anliegen und Ideen ansprechen. Außerdem lernen sie die Hilfesysteme kennen, also dass die Sozialarbeits-Fachkraft an ihrer Schule eine absolut vertrauliche Ansprechperson ist. Es ist wichtig zu wissen, dass dort nichts ohne die Zustimmung der betroffenen Person unternommen oder weitergegeben wird.
Und wenn es doch zu Mobbing kommt?
Unsere Fachkräfte arbeiten nach dem sogenannten „No Blame Approach“. Das ist ein lösungsorientierter Interventionsansatz, der auf Schuldzuweisungen verzichtet. Wenn das gemobbte Kind einverstanden ist, stellt es mithilfe der Fachkraft aus etwa sechs Klassenmitgliedern eine Unterstützergruppe zusammen, die der Fachkraft bei der Lösung des Problems helfen soll. In diese Gruppe werden auch die Kinder, die mobben, einbezogen. Die Gruppe organisiert selbst Möglichkeiten, wie man die Situation ändern kann, und wird dabei in Form von Einzelgesprächen eng von der Fachkraft begleitet. Der Ansatz ist nur mit Zustimmung des von Mobbing betroffenen Kindes möglich und natürlich kein Allheilmittel, aber oft erstaunlich erfolgreich, weil die Mobber darin eine neue Rolle erfahren. Und auch die gemobbte Person erlebt Selbstwirksamkeit, weil sie aktiv an der Lösung der Situation mitwirken kann.
Wie können Eltern erkennen, ob ihr Kind gemobbt wird?
Manche Kinder zeigen Verhaltensänderungen, sie ziehen sich zurück, ihre Leistungen fallen ab, sie wollen nicht mehr zur Schule gehen. Manchmal bleibt Mobbing aber im Verborgenen und das Kind spricht auch nicht darüber, was es belastet. Weil Mobbing so unterschiedliche Formen haben kann, gibt es keine klaren Signale. Es ist aber grundsätzlich gut, wenn Eltern mit ihrem Kind in regelmäßigem Austausch sind, egal ob es gerade gut oder schlecht gelaunt ist. So bemerken sie mögliche Veränderungen. Im Zweifel ist auch die Klassenleitung ein wichtiges Bindeglied, weil sie die Atmosphäre in der Klasse kennt und noch eine andere Perspektive mit einbringen kann.
Wie kann ich als Mutter oder Vater mein gemobbtes Kind unterstützen?
Auch da gibt es keine pauschale Antwort. Sie sollten aber ihr Vorgehen immer mit ihrem Kind abstimmen, sonst wird durch ein gut gemeintes Einmischen beim Kind das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung angegriffen. Statt in Aktionismus zu verfallen, könnten die Eltern gemeinsam mit dem Kind überlegen: Was kann dir helfen, können wir etwas für dich tun? Sie können das Kind auch darauf hinweisen, dass es sich vertraulich an die Fachkraft der Sozialarbeit wenden kann. Oft hilft ein Eingeständnis gegenüber dem Kind: Wir brauchen gemeinsam Unterstützung, lass uns Hilfe suchen. Falls es ihm über Wochen oder Monate immer schlechter geht und es weiter abblockt, wäre auch für Eltern ein Beratungsgespräch mit den Fachkräften an der Schule möglich.
Und was ist mit Cybermobbing?
Die Online-Welt ist natürlich ein Bereich, der weit über die Schule hinausgeht. Dann ist das Kind unter Umständen nicht nur in der echten Welt, sondern nach Schulschluss auch online Mobbing ausgesetzt, zum Beispiel im Klassenchat. Das ist natürlich um ein Vielfaches belastender. Und manchmal schaukelt sich die Situation so weit hoch, dass in Zusammenarbeit mit Fachkräften der Schulsozialarbeit, Klassenleitung und Schulleitung das individuelle Vorgehen zum Beenden des Mobbings abgestimmt werden muss. Eltern sollten jedenfalls ein Auge darauf haben, nicht nur wie lange, sondern auch wo und wie ihr Kind online unterwegs ist – ohne seine Privatsphäre zu verletzen. Das ist eine manchmal herausfordernde Beziehungsarbeit.
Kontakt:
Jugendsozialarbeit an Schule
Mina-Rees-Straße 2
64295 Darmstadt
Telefon 06151 / 881-1498
E-Mail jusas@ladadi.de
Mehr Infos:
zeichen-gegen-mobbing.de
Infos für Eltern, Kinder und Schulen; per E-Mail oder
WhatsApp können Kinder und Eltern Unterstützung bekommen.
netzwerk-gegen-gewalt.hessen.de
Infos und Broschüren zum Thema.
klicksafe.de
Initiative für mehr Online-Kompetenz mit vielen Infos zu Cybermobbing.
www.cybermobbing-hilfe.de
Mit Online-Beratung.