Von Anke Breitmaier

Ist das noch pummelig oder schon Übergewicht? Bei Kindern ist das gar nicht so leicht zu beurteilen. In Entwicklungsphasen kann der Körper schon mal Fettpölsterchen ansammeln, damit er Energie für das Wachstum parat hat. Aber nicht immer verwächst sich dieser Babyspeck. Manchmal werden daraus Gewichtsprobleme, die nicht nur gesundheitliche Folgen im Erwachsenenalter haben können.

Die Zahlen sind alarmierend: Etwa jedes sechste Kind in Deutschland ist übergewichtig. Und rund sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren bringen sogar derart viele zusätzliche Kilos auf die Waage, dass man von krankhafter Fettleibigkeit, also Adipositas spricht. Insgesamt 1,7 Millionen Kinder und Jugendliche sind betroffen, Mädchen und Jungen gleich häufig.

Allerdings gibt es auch gute Nachrichten. Denn in fast allen Bundesländern ist der Anteil der Schulanfänger mit Übergewicht oder starkem Übergewicht in den vergangenen Jahren um etwa zwei bis drei Prozent zurückgegangen. Auch bei den 11- bis 17-Jährigen ist diese positive Entwicklung zu sehen.

Die möglichen Folgen von Übergewicht sind massiv, körperlich und seelisch. Dabei ist die Erklärung relativ simpel: Übergewichtige Kinder und Jugendliche wiegen im Verhältnis zu ihrer Körpergröße schlicht und ergreifend mehr als andere im gleichen Alter.

Das bisschen Babyspeck …

Lena zum Beispiel, heute acht Jahre alt, war schon bei der Geburt ein kleines Schwergewicht. Mit 4.470 Gramm kam sie zur Welt, normale 53 Zentimeter maß sie in der Länge. Und sie nahm gut zu in den ersten Lebenswochen – was die Eltern natürlich freute. „Für uns war es schön zu sehen, wie unser Baby wächst und gedeiht“, erzählt Mutter Annette.
Lob gab es vor allem von den Großeltern, die sich über den Wonneproppen freuten. Doch je größer Lena wurde, umso stärker nahm sie an Gewicht zu. „Sie hat einfach gerne und viel gegessen. Wir haben immer gesagt: Sie ist eine gute Futterverwerterin. Als Problem haben wir das erstmal nicht empfunden.“

5 Jahre, 107 Zentimeter, 28 Kilogramm

Doch dann kam Lena in die Kita und es wurde deutlich: Sie ist anders als andere gleichaltrige Kinder. „Die Erzieherinnen haben uns angesprochen“, erinnert sich Mutter Annette. „Uns war aber schon vorher klar, dass wir etwas machen müssen.“ Anders als vermutet oder sogar erhofft, war es bei Lena nicht der berühmt berüchtigte Babyspeck, der sich mit zunehmendem Alter und der Körpergröße verwuchs.

Der Grundstein für spätere Gewichtsprobleme wird in frühe Kindheit gelegt

Übergewichtige Dreijährige wachsen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu übergewichtigen Erwachsenen heran – dies ist Ergebnis einer Studie der Universität Leipzig. Die Wissenschaftler analysierten dazu die Entwicklung des Gewichts von mehr als 51.000 Kindern von der Geburt bis ins Jugendalter.

Dabei zeigte sich, dass fast 90 Prozent der Kinder, die im Alter von drei Jahren übergewichtig waren, es auch als Jugendliche blieben. Bei ihnen erfolgte der stärkste Gewichtszuwachs im Kleinkindalter von zwei bis sechs Jahren.

Daraus wird erkennbar, dass schon die frühe Kindheit entscheidend sein kann für die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas. Und die Wahrscheinlichkeit, dass kleine Kinder mit Adipositas zu einem Normalgewicht in der Jugend zurückkehren, liegt bei weniger als 20 Prozent.

Quelle: https://www.uni-leipzig.de/newsdetail/artikel/uebergewicht-entwickelt-sich-bereits-in-der-fruehen-kindheit-und-bleibt-dann-bestehen-2018-10-04/

Ein Besuch bei der Kinderärztin zeigte: Lenas Gewicht lag über dem, was für Mädchen ihres Alters „normal“ ist. Normalerweise wiegen Kinder in dem Alter etwa zwischen 14 und 17 Kilogramm. Die körperliche Untersuchung ergab, dass die damals Fünfjährige bei einer Körpergröße von 107 Zentimetern 28 Kilogramm wog, was einem BMI von 24,5 entsprach.

„Das war schon ein Schock für uns, als die Ärztin gesagt hat, dass das aus medizinischer Sicht extremes Übergewicht ist“, erzählt Lenas Mutter. In der Familie seien alle normalgewichtig, Übergewicht sei nie ein Thema gewesen. „Damit mussten wir uns dann aber auseinandersetzen.“

Neue Essensregeln für die ganze Familie

Und es sei gut gewesen, dass dies so früh geschah. Denn mit Unterstützung der Kinderärztin und einer auf Kinder spezialisierten Ernährungsberaterin stellte die ganze Familie neue Essensregeln auf und die Ernährung von Lena um. „Sie hat mit Turnen angefangen und wir sind ganz oft Fahrradfahren gegangen, das war auch wichtig.“ Heute geht Lena in die dritte Klasse und ist so wie alle anderen Kinder – nicht zu dünn, aber auch nicht zu dick. „Sie ist jetzt 130 Zentimeter groß und wiegt etwa 31 Kilo, das ist gut so.“

Alles Anlage, oder was?

3500 Gramm wiegen deutsche Babys im Durchschnitt bei ihrer Geburt. Aber jeder zehnte Säugling ist schon bei der Geburt mit rund 4.400 Gramm etwas zu schwer aus medizinischer Sicht. Und knapp zwei Prozent der Jungen und weniger als ein Prozent der Mädchen starten hierzulande mit einem Geburtsgewicht, das über stattlichen 4,5 Kilogramm liegt.

Normalerweise werden Kinder nicht übergewichtig geboren. Dennoch steht das Geburtsgewicht laut Robert Koch-Institut mit der späteren Gewichtsentwicklung in Zusammenhang. Denn Untersuchungen belegen, dass Kinder mit einem hohen Geburtsgewicht häufiger adipös werden als normalgewichtige Neugeborene.

Frühe Programmierung Richtung Schwergewicht

In der Frühphase der pränatalen Entwicklung findet eine Art biologische Programmierung statt, die einen lebenslangen Einfluss auf die körperliche Entwicklung haben kann, vermuten die Wissenschaftler. Diese Programmierung kann nämlich strukturelle und funktionelle Veränderungen an Körperstrukturen auslösen, die später zu Übergewicht und Adipositas führen können.
Viele Kinder nehmen aber erst später zu – etwa in der Kindergarten- oder Schulzeit oder auch in der Pubertät. Und auch dabei spielt die Veranlagung durchaus eine Rolle. Studien zeigen, dass die genetische Veranlagung 75 Prozent ausmacht, der Einfluss der Umwelt dagegen nur 25 Prozent.

Ungesund essen, wenig bewegen –
Risikofaktoren

Wann ist viel zu viel?

Wie man das Gewicht bei Kindern einstuft

Bei Kindern lässt sich Übergewicht nicht ganz so leicht feststellen wie bei Erwachsenen. Das liegt daran, dass Kinder noch in der Entwicklung sind und hier die individuellen Voraussetzungen und Unterschiede im wahrsten Sinne des Wortes ins Gewicht fallen.
Das Gewicht wird zwar wie bei Erwachsenen über den Body-Mass-Index (BMI), also über das Verhältnis zwischen dem Körpergewicht (in Kilogramm) und dem Quadrat der Körpergröße (in Quadratmeter) eingestuft. Der so ermittelte Wert muss dann aber mit den Werten der sogenannten Perzentilkurven verglichen werden. Dabei handelt es sich um geschlechts- und altersspezifische Wachstumskurven, die auf einer großen Zahl standardisierter Messungen bei gesunden Kindern und Jugendlichen beruhen.

Ein Maß für den Ernährungszustand ist das Längensollgewicht. Es ist ein auf die Körperlänge bezogenes Normgewicht, das der Gewichtsperzentile entspricht, die direkt mit der aktuellen Längenperzentile korrespondiert. Befindet sich das Kind etwa auf der 60. Längenperzentile, sollte sein Gewicht ebenfalls ungefähr der 60. Perzentile entsprechen. Ein Kind gilt als normalgewichtig, wenn sein Körpergewicht zwischen 90 Prozent und 110 Prozent des Längensollgewichts beträgt.

Von wirklichem Übergewicht reden Kinder- und Jugendärzte dann, wenn das Gewicht im Bezug zur Körpergröße oberhalb der Perzentile von 90 (P90) liegt.
– Das bedeutet, dass 90 Prozent der Kinder im Verhältnis zu ihrer Körpergröße leichter sind.
– Liegt das Gewicht oberhalb der 97. Perzentile (P97) spricht man von Adipositas, über der 99.5. Perzentile von extremer Adipositas.

Die Rechnung ist eigentlich einfach: Wer Übergewicht ansammelt, isst zu viel und verbraucht in Relation dazu zu wenig Energie. In den seltensten Fällen stecken Krankheiten dahinter. So ist beispielsweise bei weniger als einem von 100 stark Übergewichtigen eine körperliche Erkrankung die Ursache für die Adipositas, etwa vererbbare angeborene Erkrankungen oder erworbene Funktionsstörungen der Hirnanhangdrüse, Schilddrüse bzw. Nebenniere.

Stress und Kummer können „hungrig“ machen

Aber neben „falscher“ Ernährung und mangelnder Bewegung gibt es auch noch viele weitere Faktoren, die Übergewicht bei Kindern begünstigen. Der Umgang mit Stress etwa oder andauernde Belastungssituationen, Einsamkeit, „Sich-ungeliebt-fühlen“ und Langeweile können dazu führen, dass Essen als Ersatzbefriedigung angesehen wird. Nahrung dient dann als Mittel zum Frustabbau. Das Kind tröstet sich mit Essen, weil es damit eine innere Leere füllen will, um sich dadurch „besser“ zu fühlen. Ängste, Sorgen und Unlustgefühle sollen so weggegessen und quasi runtergeschluckt werden.

Eltern sind Essvorbilder

Und auch das soziale Umfeld und der Fernseh- und Computerkonsum können bei der Entstehung von Übergewicht eine Rolle spielen. So ergaben Untersuchungen beispielsweise, dass Kinder, die länger als eine Stunde täglich vor dem Bildschirm sitzen, ein erhöhtes Risiko haben, dick zu werden. Im Vergleich zu Kindern, die weniger als eine Stunde pro Tag fernsehen oder am Computer spielen dürfen, haben Kinder, die dort beispielsweise drei Stunden verbringen, ein um 80 Prozent erhöhtes Risiko für Übergewicht.

Einen sehr großen Einfluss auf das Gewicht ihrer Kinder haben die Eltern. Durch ihr Verhalten und ihre Essgewohnheiten prägen sie schon früh die Einstellung ihres Kindes zu Essen und Nahrungsmitteln. Und Kinder, deren Eltern rauchen, haben im Vergleich zu Kindern von Nichtrauchern ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko, übergewichtig zu werden. Raucht eine Frau während ihrer Schwangerschaft, ist für das Baby das Risiko, später als Kind einmal übergewichtig zu werden, sogar um 40 Prozent erhöht.

Dickes Kind = dicker Erwachsener?!

Nicht jedes Kind, das in jungen Jahren zu viel auf die Waage bringt, hat später als Jugendlicher oder Erwachsener Übergewicht. Aber kommen weitere Faktoren hinzu, steigt das Risiko.

So werden Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit dick, wenn ihre Eltern auch Übergewicht haben, wenn sie bei der Geburt viel gewogen haben, sie sich wenig bewegen, stattdessen aber häufig fernsehen oder am Computer spielen und zuckerhaltige Limos oder Säfte trinken.

Essen sollte nicht überall immer verfügbar sein

„Gesundes Essen ist der Hauptfaktor. Was auf den Tisch kommt, darf nicht zu üppig und kalorienreich sein. Außerdem sollte Essen nicht überbewertet werden. Nahrungsmittel oder insbesondere Süßigkeiten sollten beispielsweise nicht als Erziehungsdruckmittel einsetzt werden, nach dem Motto: Wenn Du Dein Zimmer aufräumst, bekommst Du Gummibärchen.

Kinder müssen erfahren und lernen, dass Essen zum täglichen Leben dazugehört, aber nicht das wichtigste ist, und weder tröstet noch belohnt. Sie sollten auch in die Nahrungszubereitung eingebunden werden, viel draußen spielen, sich bewegen.

Was mir auch sehr wichtig ist: Eltern sollten kritisch hinterfragen, ob die ständigen Snackereien bei Kindern nötig sind, etwa die Minikekse auf dem Spielplatz oder die kleinen Würstchen bei der Radtour. Man sollte nicht immer und überall gefüllte Tupperdosen für Kinder bereithalten. Drei Mahlzeiten am Tag und zwei Zwischensnacks, das genügt.

Essen sollte nämlich nicht ständig verfügbar sein, sonst lernt der Kinderkörper nicht natürlich, Hunger und Sättigung zu empfinden. Und genau dieses Gefühl, satt zu sein und nichts mehr zu brauchen, das fehlt vielen Übergewichtigen.“

Schwere Last für kleine Menschen

Jeder Mensch ist anders und keine Figur gleicht der anderen. Was wir als schön oder schlank empfinden, ist sehr unterschiedlich. Aber es wird auch von der Gesellschaft mitgeprägt. Und Übergewichtige haben es oft schwer. Dass sie ihr Gewicht nicht im Griff haben, wird ihnen mitunter als Schwäche ausgelegt.

Kinder leiden besonders unter dieser Stigmatisierung. Sie werden gehänselt, können bei vielem – etwa Sport oder Bewegungsaktivitäten – nicht wie die anderen mithalten. Und sie leiden schon unter Beschwerden und Gesundheitsproblemen, die eigentlich sonst nur Erwachsene haben.

Zu den häufigen Symptomen gehören z. B.:

– Kurzatmigkeit und schlechte Belastbarkeit
– Gelenkschmerzen
– schlechtes Selbstwertgefühl
– Antriebslosigkeit
– Depression
– Mobbing
– Müdigkeit (z. B. Schlafapnoe)
– Hautveränderungen (Acanthosis)
– bei Mädchen Zyklusstörungen und vermehrte Behaarung

Gewicht ist keine Frage des Äußeren

fratz im Gespräch mit Dr. Annette Brunert, Kinder- und Jugendärztin, pädiatrische Gastroenterologin und AGA-Adipositastrainerin (Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret)

Stimmt es, dass es immer mehr Kinder gibt, die stark übergewichtig sind?

In Deutschland sind laut KiGGS, der Langzeitstudie des Robert Koch-Instituts (RKI), 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig, 800 000 davon haben Adipositas. Die Erhebung und damit die Zahlen sind von 2017. In den Jahren davor sind sie nicht angestiegen. Aber die Weltgesundheitsorganisation (WHO) prognostiziert bis 2030 in Deutschland 1,3 Millionen adipöse Kinder. Diese Zahl lässt einen aufmerken.
Wir haben auch in der Klinik bei unserem Adipositasprogramm PrimaDrauf! den subjektiven Eindruck, dass die Nachfrage gestiegen ist. Gerade auch seit Corona. Da hat sich die Situation für viele übergewichtige Kinder offensichtlich verschärft.

Gibt es Altersgruppen, die besonders betroffen sind?

Nein, das verteilt sich über alle Altersgruppen. Gefährdet sind Kinder vom Kindergartenalter bis 18 Jahre. Aber wir beobachten schon, dass es immer mehr jüngere Kinder gibt, die stark übergewichtig, also adipös sind.

Zu fett- und zuckerreiche Ernährung und keine Bewegung – woran liegt es noch, dass Kinder dick werden?

Ein Hauptgrund ist sicherlich, dass heute an allen Ecken energie- und fettreiches Essen verfügbar ist. Für Kinder ist das eine ständige Versuchung. Und es kostet sie enorm viel Kraft und auch Willen, da stark zu bleiben und zu widerstehen. Das fällt ja auch Erwachsenen schwer. Außerdem erkennen Kinder oft gar nicht, wie dickmachend etwa eine Milchschnitte oder eine Salami ist.
Oft hat es aber auch seelische Gründe, wenn sich so viele Kilos ansammeln. Die große Frage ist immer: Warum essen Kinder? Die Nahrungsaufnahme hat für übergewichtige Kinder eigentlich fast immer eine besondere Bedeutung. Manche essen, um etwas zu kompensieren. Das können Langeweile, Frust oder Angst sein, aber auch Sorgen oder Kummer. Aus Zufriedenheit „überisst“ sich eigentlich kein Kind.
Meist sind es negative Gefühle, die das auslösen. Es wird gegessen, um etwas anderes zu überdecken. Manchmal stecken Depressionen oder auch Zwangsstörungen dahinter, dann ist das Übergewicht quasi eine Begleiterscheinung der psychischen Erkrankungen. Aber das muss man erstmal herausfinden.

Kann es einfach so passieren, dass mein Kind dick wird, weil es zu viel dickmachendes Essen gibt?

Ein ungesundes Essverhalten entsteht oft schon früh und auch im Elternhaus, also wenn dort bestimmte Dinge besonders häufig konsumiert werden. Die Statistiken zeigen leider, dass Kinder aus sozial schwachen Familien ein erhöhtes Risiko für Adipositas haben.
Oft ist es auch ein regelrechter Teufelskreis: Ein Kind fühlt sich einsam, hat wenig Freunde, kompensiert diese Gefühle mit Essen, wird dick und dann von Gleichaltrigen ausgegrenzt, was es dazu animiert, noch mehr zu essen.

Babyspeck ist ja normal und es gibt immer wieder Phasen, in denen Kinder mal etwas mehr auf die Waage bringen.
Wann müssen sich Eltern denn Sorgen machen bzw. handeln?

In den ersten beiden Lebensjahren sind die Gewichtszunahme und das Wachstum noch schwankend, Es ist möglich, dass Kleinkinder im Laufe ihrer Entwicklung etwas kräftiger werden, dann wachsen und sich das verteilt. Das muss man genau anschauen. Ab dem 3. Lebensjahr wird das Übergewicht anhand des BMIs erfasst.

Wenn das Gewicht aber im dritten und vierten Lebensjahr immer weiter ansteigt, sollte man sich beraten lassen. Die Kinderärzte haben da auch ein Auge drauf. Bei den U-Untersuchungen werden Größe, Gewicht und der BMI und vor allem der Verlauf aller Werte immer erfasst.
Eltern sollten aber unbedingt selbst beim Kinderarzt nachfragen, wenn sie sich Sorgen machen. Denn auch wenn sich das ein oder andere Kilo verwächst, kann hier schon der Grundstein für Übergewicht gelegt werden. J

Was macht der Kinderarzt dann?

Er untersucht das Kind, bestimmt den BMI und im Idealfall wird er dann die Eltern bitten, ein paar Tage lang aufzuschreiben, was und wieviel das Kind isst. Oft genügt das schon, um herauszufinden, woher das Mehrgewicht kommt. Kinder bekommen manchmal einfach zu große Portionen und werden dazu angehalten, den Teller leerzuessen. Das kann schon zu viel sein.

Die Regel bei Kindern lautet ganz einfach: Immer eine Kinderhandvoll, also eine Handvoll Nudeln, eine Handvoll Soße und eine Handvoll Gemüse. Oft reicht es schon, Gewohnheiten zu erkennen und abzuschaffen, um der Gewichtszunahme Einhalt zu gebieten. Bei Kindern geht es auch nicht darum, dass sie eine Diät machen und Kalorien zählen. Sie sollen sich gesund ernähren und wachsen, das ist das Ziel.

Sieht der Kinderarzt Handlungsbedarf darüber hinaus, überweist er z. B. zu einer Ernährungsberatung oder zu einem Adipositas-Programm wie PrimaDrauf! der Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret. Dort werden betroffene Kinder und ihre Familien in einem Team aus Ärzten, Ernährungsberaterinnen, Psychologinnen und Sportlern unterstützt. Wichtig sind der Rückhalt und die Unterstützung durch die Familie. Denn oft schleichen sich schlechte Essgewohnheiten über die Vorbilder in der Kernfamilie ein.

Gibt es denn unter Kindern tatsächlich unterschiedliche „Futterverwerter“, also solche, die schnell und andere, die schwer zunehmen?

Ja, Kinder haben eine genetische Vorprägung, wie gut der Körper mit Kalorien umgehen kann. Bei jedem Mensch ist der Kalorienbedarf auch anders. Übergewichtige verbrauchen oft grundsätzlich weniger Kalorien und haben eine Disbalance zwischen Hunger und Sättigung, was sie dazu bringt, mehr zu essen, als sie benötigen.

Das ist aber keine Ausrede dafür, dass man nichts dagegen tun kann. Man braucht nur einen geringen Energieüberschuss, etwa 200 oder 300 Kalorien pro Tag mehr, um zwischen 5 und 8 Kilo im Jahr zuzunehmen. Es sei denn, man trainiert sich das ab, bewegt sich also entsprechend mehr. Da muss und kann man ansetzen.

Übergewichtige Kinder können Bluthochdruck, Diabetes oder Gelenkprobleme bekommen. Welche Folgen kann Übergewicht im Kindesalter noch haben?

Blutzuckerspiegel und Fettstoffwechsel leiden natürlich unter dem Gewicht. Auch die Leber und andere Organe. Bluthochdruck beispielsweise haben etwa 25 Prozent der adipösen Jugendlichen, der wird dann zum Teil schon medikamentös wie bei Erwachsenen behandelt.

Was auch massiv ist, sind die psychischen und sozialen Folgen. Adipöse Kinder leiden beispielsweise oft unter Depressionen. Außerdem werden Übergewichtige in unserer Gesellschaft noch immer stigmatisiert, etwa als faul, unmotiviert oder schwach abgestempelt. Das kann für Kinder zu einem sehr großen Problem werden, sie in ihrer persönlichen Entwicklung hemmen und auf Dauer einschränken.

Da sind wir als Gesellschaft auch gefragt. Allerdings gibt es da ein Dilemma, wenn man jetzt etwa mal an die Body-Positivity-Bewegung denkt. Die setzt sich ja richtigerweise gegen Schönheitsideale ein, also auch gegen den Schlankheitswahn.

Das ist gut! Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Gewicht keine Frage des Äußeren ist, sondern dass es da um Gesundheit geht: Zu viele Kilos sind ungesund. Und wir wollen gesunde Kinder, das ist das Ziel.

Kann man starkes Übergewicht denn in den Griff bekommen?

Natürlich! Übergewicht bei Kindern lässt sich mit viel Motivation in den Griff bekommen. Und mit Unterstützung, die sollten Eltern
immer suchen. Denn es geht eigentlich meist um eine Lebensstiländerung, da brauchen
Kinder und (vor allem deren Eltern) oft Anleitung.

Zu schwer?

Die Kinderärztinnen und -ärzte sind erste Ansprechpartner, wenn sich Eltern Sorgen um das Gewicht ihres Kindes machen.
Sie können verlässlich beurteilen, ob es im Normalbereich liegt oder ob es zu viele belastende Kilos sind.
Mit einem Body-Mass-Index-Rechner für Kinder und Jugendliche kann man sich selbst grob orientieren.

BMI-Rechner:
https://www.kinderaerzte-im-netz.de/mediathek/bmi-rechner/