Gehen Eltern heute eher zu früh oder zu spät zum Arzt?

Da gibt es solche und solche, das kann man nicht verallgemeinern. Wir beobachten aber schon, dass Eltern schnell kommen, wenn ihr Kind kränkelt. Dass sie ein schwerkrankes Kind zu spät zum Arzt bringen, passiert so gut wie nie.

Warum lassen viele leichte Beschwerden gleich vom Kinderarzt abklären?

Ich denke, das liegt einmal daran, dass viele Eltern unter großem Druck stehen. Sie sind berufstätig, müssen den Alltag organisieren, das ist mit krankem Kind schwierig. Dann ist es auch so, dass viele ihrer Intuition nicht mehr vertrauen. Eigentlich spüren Eltern, wann es dem Kind so schlecht geht, dass es ärztliche Hilfe braucht. Aber darauf wollen sie sich nicht verlassen. Meist haben sie dann auch keine Oma oder Mutter, die ums Eck wohnt und mal einen erfahrenen Blick auf das Kind wirft und beruhigt. Stattdessen wird dann gegoogelt, was die Verunsicherung vergrößert. Im Internet werden ja mit Vorliebe schwere oder besondere Krankheitsverläufe geschildert. Wer das liest, muss Angst bekommen. Dann ist ein Arztbesuch sowas wie eine Absicherung.

Und was bringt so ein frühzeitiger Arztbesuch?

Ein frühzeitiger Arztbesuch kann die Eltern beruhigen, schlimmere Erkrankungen ausschließen, und der Kinderarzt kann die Eltern bei der Behandlung der Symptome beraten. Aber kein Arzt kann das Kind schneller gesund machen. Häufig fiebert das Kind erstmal nur im Rahmen eines Virusinfektes. Erst später kommen andere Symptome dazu, wie etwa Ohrenschmerzen. Selten entwickelt sich auch eine bakterielle Entzündung, die man aber auch durch einen frühzeitigen Arztbesuch nicht verhindern kann.

Wann sollte ein krankes Kind unbedingt untersucht werden?

Eltern sollten immer zum Arzt gehen, wenn sie unsicher sind oder sich Sorgen machen. Bei Fieber lautet die grobe Faustformel für Kinder über drei Monate: Wenn es mehr als drei Tage anhält, sollte man zum Arzt gehen und das Kind untersuchen lassen. Dabei kommt es aber nicht auf die Höhe der Temperatur an, sondern wie das Kind drauf ist. Es gibt Kinder, die mit 40°C Fieber noch fit genug zum Spielen sind, andere fühlen sich schon bei 37,8°C sehr elend. Und wenn das Fieber trotz fiebersenkender Medikamente nicht runtergeht, sollte man auch zum Arzt gehen – das kann nämlich auf eine bakterielle Infektion hindeuten, die behandelt werden muss.

Was halten Sie von Hausmitteln?

In manchen Situationen können sie sehr hilfreich sein, es kommt aber auf das Alter der Kinder und deren Krankheitszustand an. Bei Babys und Kleinkindern sollte man mit Hausmitteln zurückhaltend sein. Und Wadenwickel beispielsweise sollte man nur machen, wenn die Waden der Kinder wirklich warm sind. Das ist bei Fieber nicht immer der Fall. Zwiebelsaft kann bei Husten helfen, aber ein richtiger Ersatz für ein wirksames Arzneimittel ist das natürlich nicht. Und für den Zaubertee bei Magen-Darm-Infekten kursieren viele Rezepte, die Zusammensetzung ist aber nicht geeignet, den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen. Der Zaubertee entspricht nie den Elektrolytlösungen aus der Apotheke, egal wie genau man ihn dosiert. Besser ist dann jegliche Art von Flüssigkeit, die das Kind mag wie Wasser, Tee oder auch Muttermilch.

Kann man bei Hausmitteln etwas  falschmachen?

Bei Wadenwickeln kaum, bei anderen Hausmitteln schon eher. Cola und Salzstangen etwa werden bei Magen-Darm-Infekten gerne mal als Hausmittel empfohlen, dabei hilft das keineswegs. Im Gegenteil, das kann die Beschwerden sogar verschlimmern. Diese Kombination enthält nämlich zu viel Zucker, dafür aber zu wenig Salz, das kann Magen und Darm noch mehr durcheinanderbringen.

Können Hausmittel ein Ersatz für Arzneimittel sein?

Es mag Eltern geben, die nur mit Wadenwickeln das Fieber ihrer Kinder in den Griff bekommen. Aber das ist sicher die Ausnahme. Hausmittel eignen sich selten als ausschließliche Behandlung, als Unterstützung sind sie aber okay. Man kann sie parallel einsetzen, dann helfen sie beim Gesundwerden.

Dr. Annette Brunert ist Kinder- und Jugendärztin sowie Oberärztin an den Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret.