Ein Beitrag von Monika Klingemann

Gerade für Familien ist ein gutes Verhältnis zu ihnen Gold wert. Umso schöner, wenn der Zusammenhalt durch gemeinsame Aktivitäten gestärkt wird.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt:
Es braucht ein ganzes Dorf,
um ein Kind aufzuziehen.
Gut, in dörflichen Strukturen
leben hierzulande heute die
Wenigsten. Doch auch in der Stadt
profitieren Kinder und Eltern
enorm davon, wenn es außerhalb
der Familie ein Umfeld gibt, auf
das man sich verlassen kann,
das auffängt, einspringt, Acht
gibt, unterstützt.

Warum gute Nachbarschaft wichtig ist

Eigentlich ist es ja eine Zufallsbeziehung: Wir können uns meist die Menschen nicht aussuchen, mit denen wir da Wand an Wand leben und denen wir täglich begegnen. Dennoch entstehen manchmal erstaunlich enge Kontakte und auch Freundschaften. Denn oft haben wir einen ähnlichen sozialen Hintergrund, viele haben Kinder und befinden sich in einer vergleichbaren Lebenssituation. Und selbst wenn nicht: Im gleichen Quartier zu wohnen verbindet, man fühlt sich zusammengehörig. So findet sich meist jemand, der einem mit Eiern zum Waffeln-Backen aushelfen kann, der im Urlaub die Pflanzen gießt oder die Meerschweinchen füttert. Der die Wäsche schnell reinholt, wenn ein Sommergewitter losbricht oder bei dem man eine Schlagbohrmaschine ausleihen kann.

Gute Kontakte sind auch ein Plus für die Sicherheit: Gepolter in der Wohnung, obwohl wir übers Wochenende verreist sind? Gut, wenn der Nachbar Bescheid weiß und vielleicht sogar einen Schlüssel hat. Die Haustür steht nach unserem hektischen Aufbruch morgens sperrangelweit offen? Zum Glück weiß die Nachbarin von gegenüber, wie gestresst wir gerade sind, und schiebt die Tür rasch zu. Und wenn die Kinder im Hof oder auf der Gasse spielen, ist es beruhigend zu wissen, dass eigentlich immer irgendeine erwachsene Person ein wachsames Auge auf die Gruppe hat, selbst wenn man selber mal fünf Minuten wegmuss.

Auch die Kinder profitieren

Gerade für Familien mit Kindern entstehen tolle Synergieeffekte: Man kann Fahr- und Wegegemeinschaften bilden – es reicht dann, wenn ein Papa oder eine Mama die Schul-Neulinge morgens begleitet oder die Fußball-Minis vom Sport abholt. Auch wechselseitige Kinderbetreuung oder abendliches Babysitten lässt sich gut organisieren, wenn die Wege nicht so weit sind.
Kurze Distanzen wissen auch die Kinder zu schätzen: Sie können spontan bei der Freundin oder beim Freund nebenan klingeln, ohne sich vorher verabreden zu müssen. Oder sonntags einfach mal für eine halbe Stunde zusammen rausgehen, bevor es Mittagessen gibt. Im geschützten Raum einer vertrauten Nachbarschaft können so auch kleinere Kinder Sozialkontakte aufbauen, ganz ohne Terminplaner oder Elterntaxi.

In heterogenen Nachbarschaften gibt es dabei den Blick über den Tellerrand quasi gratis dazu. Im Kontakt mit anderen Kulturen wächst Offenheit für das Andere, werden über den Gartenzaun Lieblingsrezepte und landestypische Leckereien ausgetauscht und schon die Kinder erhalten Einblicke in andere Lebensentwürfe. In der Begegnung zwischen Generationen entsteht bei den Kleinen Verständnis für die Bedürfnisse älterer Mitmenschen – und umgekehrt hoffentlich genauso.

An einem guten Miteinander arbeiten

Eine harmonische Nachbarschaft ist ein wichtiges Puzzleteil zum persönlichen Wohnglück – das wissen alle, bei denen es im Haus oder im Viertel nicht ganz so freundlich zugeht. Spannungen im Wohnumfeld können eine echte Belastung sein und einem den Alltag vergraulen. Der Nachbar, der ein Strichliste führt, wie oft wir diesen Sommer schon auf dem Balkon gegrillt haben, oder die Familie, die mit ihrem Hund ungeniert auf der Spielwiese Gassi geht – sie nerven.

Wie gelingt gutes Zusammenleben?

  • Aufeinander zugehen statt aneinander vorbei: Ein nettes Wort, ein Lächeln auf den Lippen öffnen Türen und Herzen.
  • Nicht zu eng auf die Pelle rücken: Das Trampolin muss nicht an die Terrassengrenze des Nachbarn platziert werden. Die richtige Mischung aus Nähe und Distanz sorgt für ein entspanntes Miteinander.
  • Eigenarten akzeptieren: Die Nachbarsfamilie feiert ihren Schottergarten? Nicht alle ticken wie wir, und das ist okay so.
  • Miteinander reden: Oft ist das Verhalten der Nachbarin, des Nachbarn gar nicht böswillig – und ein ruhiges Gespräch kann Ärgernisse bzw. die schlecht platzierte Mülltonne aus dem Weg räumen.
  • Rücksicht nehmen und sich in andere reinversetzen: Kinderlärm kann eine Belastung sein, wenn jemand nach der Nachtschicht todmüde ist oder im Homeoffice Ruhe braucht. Zeigen Sie Verständnis und versuchen Sie, die Krach-Phasen ein bisschen auf den Rhythmus der Nachbarschaft abzustimmen.
  • Höflich und respektvoll sein: Zum Beispiel klingeln, wenn der Ball über den Zaun geflogen ist, statt rüberzuklettern. Wir wollen ja auch, dass unser Eigentum respektiert wird.
  • Sich an die Regeln halten: Gesetzeslage und Hausordnung bietet im Zweifel eine gute Orientierung. Mittagspause, Parkverbot etc. sollten für alle gelten.

Manchmal hilft es, selbst ein Signal des guten Willens zu setzen. Bringen Sie dem Nachbarn doch einfach mal eine Bratwurst rüber, wenn die Balkon- oder Gartenparty im Gang ist. Oder geben Sie bei den Hundeleuten eine Packung Tütchen für den Hundehaufen ab und erklären das Problem. Wenn alle Beteiligten sich um Fairness bemühen und sich an die Regeln halten, kann oft zumindest eine friedliche Koexistenz entstehen (ein paar Tipps dazu finden Sie im Infokasten auf Seite 25). Das ist manchmal mühsam und erfordert auch von uns Kompromissbereitschaft, lohnt sich aber.
Alle, die neu in der Stadt oder im Stadtteil sind, haben zunächst ein anderes Problem. Sie wissen eigentlich (noch) gar nicht, wer bei ihnen um die Ecke wohnt, und wünschen sich mehr Kontakt. Gerade in dicht besiedelten Quartieren ist es gar nicht so leicht, das Wohnumfeld kennenzulernen. Umso schöner, wenn die etablierte Nachbarschaft die Neuankömmlinge offen aufnimmt und mit Wissen und Insider-Tipps versorgt. Frisch Zugezogene können aber auch selbst aktiv werden und etwas dazu beitragen, im neuen Umfeld anzukommen. Es muss nicht gleich die große Begrüßungsparty sein. Aber vielleicht kann man eine kleine Nachricht in die Briefkästen werfen (oder ans Schwarze Brett im Hausflur hängen), in dem man sich kurz vorstellt, oder einfach mal an den umliegenden Türen klingeln und Hallo sagen. Denn meist sind die Alteingesessenen genauso neugierig, wer da bei ihnen eingezogen ist. So entsteht ein persönlicher Kontakt und es wird der Grundstein für ein gutes Verhältnis gelegt, in dem sich später auch eventuelle Unstimmigkeiten leichter klären lassen.
Familien haben es grundsätzlich leichter, ihre Nachbarschaft kennenzulernen, weil über die Kinder schnell Kontakt entsteht. Man ist mehr draußen, trifft sich auf dem Spielplatz – so werden Kinder oft zum Türöffner, wenn man neu in der Gegend ist.

Idealerweise ist man dann recht schnell integriert und kann von den Aktivitäten partizipieren, die im Wohnumfeld schon etabliert sind. Und in vielen Vierteln wird Nachbarschaft tatsächlich sehr aktiv gelebt: Da gibt es Gassenfeste im Advent, Hof-Flohmärkte in der Straße, Messenger-Gruppen zum Sharen und Verschenken …

Quartiersarbeit führt Akteure zusammen

Aktivitäten und Angebote im Stadtteil entstehen aber nicht nur privat organisiert, sondern werden teilweise auch öffentlich initiiert oder gebündelt. Solche Stadtteilarbeit hat zum Ziel, Quartiere noch lebenswerter zu machen, und unterstützt Ideen und Initiativen von Vereinen und Privatpersonen – so wird Engagement gefördert. Das Quartiersmanagement vermittelt zwischen den Menschen, die vor Ort wohnen, und der Verwaltung.

Auch in Darmstadt und der Region gibt es in vielen Vierteln Strukturen, die gemeinschaftliche Aktionen und Nachbarschaftshilfe organisieren. Das passiert unter dem Dach von Institutionen wie dem Diakonischen Werk, etwa die Quartiersarbeit in der Waldkolonie und der Lincoln-Siedlung, in Kranichstein oder in Babenhausen. Oder es haben sich Vereine gegründet, wie der Stadtteilverein in Arheilgen (www.arheilger-stadtteilverein.de) oder „Zusammen in der Postsiedlung e.V.“ (www.postsiedlung.de). Auch das Nachbarschaftsheim im Schlösschen im Prinz-Emil-Garten in Darmstadt-Bessungen (nbh-darmstadt.de) mit seinen Kursangeboten und Beteiligungsprojekten ist hier zu nennen. Teilweise erstrecken sich die Aktivitäten auf den ganzen Stadtteil, teilweise haben kleinräumige Initiativen das direkte Wohnumfeld im Blick, so zum Beispiel den Johannesplatz in Darmstadt (www.johannesplatz-darmstadt.de).

So können viele kreative Ideen auf die Beine gestellt werden. Im Quartierscafé oder beim gemeinsamen Mittagstisch finden die unterschiedlichsten Menschen zueinander, auch bei Lesungen und kleinen Konzerten kann man ins Gespräch kommen. Einkaufsbus und Computersprechstunde sprechen überwiegend ältere Mitmenschen an, bei Spielfesten und Hinterhof-Flohmärkten kommen vor allem Familien auf ihre Kosten – und miteinander in Kontakt. Besonders schön: Viele Aktivitäten leben den Nachhaltigkeitsgedanken. Da gibt es Repair-Cafés und Kleidertauschbörsen, im Umsonst-Laden in der Postsiedlung finden Dinge ein neues Zuhause. Und offene Bücherschränke sorgen für neuen Lesestoff quasi vor der Haustür.
Natürlich wird durch solche Initiativen aus dem dicht besiedelten Großstadt-Viertel nicht automatisch ein kuscheliges Dorf. Aber sie lassen die Nachbarschaft zusammenwachsen – für ein harmonisches, lebendiges Miteinander Tür an Tür.

Quartiersmanagement: Vermittlungsstelle für eine starke Nachbarschaft

Quartiersmanagement – was bedeutet das eigentlich?
Das fratz-Magazin hat dazu mit Diplom-Sozialarbeiterin Ilona Zettl gesprochen. Sie ist Quartiersmanagerin in der Lincoln-Siedlung in Darmstadt.

Was ist Quartiersmanagement?
Die Lincoln-Siedlung ist ein gutes Beispiel für Quartiersmanagement. Während klassische Gemeinwesenarbeit eher bestehende Stadtviertel und die Bedarfe der dort lebenden Bevölkerung im Blick hat, ist hier ein Wohnquartier aus dem Nichts entstanden. Das heißt, Quartier und Nachbarschaft sind gemeinsam gewachsen und wurden von Beginn an vom Quartiersmanagement begleitet. Das Ziel war und ist es, dass alle Menschen, egal wer und woher, hier eine gute Heimat finden. Sie sollen bei allem, was sie angeht, aktiv beteiligt werden. Wir sind dazu die Schnitt- und Vermittlungsstelle, die 2016 durch die Wissenschaftsstadt Darmstadt eingerichtet wurde.

Was kann Quartiersmanagement konkret leisten?
Unsere Arbeit ist am Bedarf vor Ort orientiert. Oft kommen Menschen auf uns zu und bringen einen Vorschlag mit, den sie gerne umsetzen würden, oder weisen auf ein Problem hin. Wir sind gut vernetzt, können zwischen den verschiedenen Akteuren vermitteln, wissen, wo man Gelder beantragen kann, und sind mit den städtischen Ämtern in guter Kooperation. So sind im Rahmen des Quartiersmanagements, nicht nur in der Lincoln-Siedlung, schon viele tolle Ideen verwirklicht worden: Es gibt bei uns Nachbarschaftsrunden und einen Frühstückstreff; ein internationaler Frauentreff ist im Aufbau und die Quartierswerkstatt zieht in neue Räume, mit angeschlossenem Bürgersaal, wo auch das Kinder- und Jugendzentrum seine Heimat findet.

Wie profitieren insbesondere Familien mit Kindern?
Mit den Quartiersmanagerinnen und -managern haben Familien eine konkrete Ansprechperson. Bei ihnen können sie Angebote erfragen oder selbst initiieren. Ein Beispiel in der Lincoln-Siedlung ist der Verein für Backkultur e.V., der einmal monatlich mit dem mobilen Holzbackofen auf dem Quartiersplatz aktiv ist. Von Stockbrot an der Feuerschale bis zu Mitmachangeboten für Kinder: Hier finden Menschen zusammen. Auch macht das Freundschafts-Mobil, welches ebenfalls durch die Stadt Darmstadt finanziert wird, zweimal in der Woche Station und bietet Kindern vielfältige Bewegungs- und Spielangebote. Die Lincoln-Siedlung ist dank des Mobilitätskonzepts ein autoarmes Quartier – auch das ist natürlich toll für die Kinder, die dadurch sicherer auch allein unterwegs sein können.

Wie erfahren neu Zugezogene, ob und wo es Angebote in ihrer Nachbarschaft gibt?
Zu den konkreten Angeboten in den Quartieren können Sie sich auf den Websites der einzelnen Träger – etwa Diakonisches Werk Darmstadt-Dieburg oder Caritasverband Darmstadt e.V. – informieren. Darüber hinaus können Sie auch Ausschau halten nach Flyern oder Aushängen in den Schaukästen vor Ort. Die Kirchengemeinden sind ebenfalls gute Ansprechstellen. Bei Stadtteilfesten präsentieren sich die Akteure gebündelt – und viele Veranstaltungstipps bekommt man über Mundpropaganda. Mein Rat: Seien Sie offen, machen Sie mit, engagieren Sie sich – so findet sich bestimmt eine Gruppe, bei der Sie andocken können. Mut zum Kontakt ist die beste Methode, um gut in der neuen Nachbarschaft anzukommen.