von Suse Lübker

Lukas Eltern verstehen es nicht, hier ist doch alles ganz normal, der Keller ist hell und freundlich. Genervt begleiten sie ihren Sohn, schauen in jede Ecke (alles wie immer), lauschen gemeinsam den gewohnten Geräuschen (Heizungsanlage) und erklären ihm mehr oder wenig geduldig, dass er nun langsam alt genug sei und keine Angst vor nicht vorhandenen Kellergeistern haben müsse.

Geister im Keller, eine harmlose Spinne, die Angst vor dem Schulbesuch oder ein platzender Luftballon – die kindliche Psyche ist sehr erfinderisch, was Ängste angeht. Aber all das ist kein Grund zur Beunruhigung, denn die meisten Ängste von Kindern sind etwas ganz Normales und Teil ihrer Entwicklung und verschwinden nach einiger Zeit wieder.

Warum reagieren Kinder manchmal mit Panik auf Situationen, die für uns Erwachsene überhaupt nicht furchteinflößend sind

Angst ist ein angeborenes Gefühl, für unsere Vorfahren war die Angst ein unmissverständliches Signal dafür, sich in Sicherheit zu bringen, zum Beispiel bei Bedrohung durch ein Raubtier. Nun ist es heutzutage zwar sehr unwahrscheinlich, dass wir von einem Bären gejagt werden – aber dennoch reagieren Kinder und auch Erwachsene noch immer instinktiv auf Situationen, die ihnen unheimlich sind oder die eine Gefahr bedeuten können.

Das ist auch gut so! Nur weil wir Angst haben, laufen wir nicht einfach so auf die Straße oder springen von einer zu hohen Mauer. Dass wir aus Angst bestimmte Dinge nicht machen, hat also seinen Sinn und Zweck: Die Angst ist eine Art Alarmreaktion, ein körperliches Warnsignal, das uns vor gefährlichen Situationen schützt. Der Hund, vor dem das Kind Angst hat, könnte tatsächlich bissig sein und die Mauer ist vermutlich zu hoch für einen Sprung …

Viele der Kinderängste allerdings seien real gar nicht sinnvoll, sagt Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Stefan Hetterich. „Wenn Eltern ihre Kinder in den Kindergarten geben, droht ihnen dort keine Gefahr, sondern im Gegenteil. Je mehr sie den Kindern vermitteln: die Trennung ist etwas Gutes und das Kind kann im Kindergarten viele tolle Sachen erleben, umso leichter überwinden Kinder die Angst“, so Hetterich.

Während wir Erwachsenen im Laufe unseres Lebens gelernt haben, welche Situationen harmlos sind, müssen Kinder diese Erfahrung erst einmal machen. Dafür brauchen sie uns Erwachsene, die ihnen zeigen, wann Angst oder Vorsicht angebracht ist. Nach und nach trauen die meisten Kinder sich dann, auch mal Dinge auszuprobieren, vor denen sie vorher Angst hatten, und werden so immer sicherer und selbstbewusster.

Alles nur eine Phase?

Wer worauf wie stark reagiert, hängt ganz stark vom Alter und von den verschiedenen Entwicklungsstufen, aber auch von der Sensibilität des Kindes ab. Immer dann, wenn Kinder neue Dinge lernen, müssen sie sich auch an ungewohnte Situationen anpassen. Das geht eben nicht sofort und auf der Stelle, sondern kann eine Weile dauern. So haben Kinder im Krabbelalter oft Trennungsängste. Sie merken, dass sie sich plötzlich von den Eltern wegbewegen können, das ist ungewohnt und macht manchmal Angst. Erst, wenn sie wissen, dass Mama und Papa jederzeit erreichbar sind, fühlen sie sich wieder sicherer.

Gegen Ende des ersten Lebensjahres ängstigen sich viele Kinder vor fremden Menschen oder Gegenständen oder vor lauten Geräuschen, manche reagieren gar panisch bei Blitzen. Zu diesem Zeitpunkt werden Kinder selbstständiger und probieren gern Neues aus, gleichzeitig haben sie ein starkes Bedürfnis nach Nähe und Angst davor, allein gelassen zu werden. Gerade in der Nacht wird die Furcht oft stärker, manchmal liegt es nur an der Dunkelheit oder an ungewohnten Geräuschen, aber nicht immer gibt es konkrete Angstursachen.

Zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr entwickeln Kinder die sogenannte „magische Angst“. Jetzt ist ihre Vorstellungskraft besonders ausgeprägt, sie fürchten sich vor allen möglichen Phantasiewesen wie Monstern, Zauberer oder Hexen, die gern auch mal die Nachtruhe stören. In diesem Alter sind die Grenzen zwischen Realität und Fantasie fließend. Die Fantasiewesen scheinen allgegenwärtig, vor allem in der Dunkelheit. Sie sitzen unter dem Bett, verstecken sich im Schrank oder lauern hinterm Vorhang. Oft werden sie im Schlaf lebendig und verursachen Albträume. Manche Kinder suchen sich jetzt einen imaginären Freund oder eine Freundin, der oder die sie beschützt. Einige klammern sich sehr an Stofftiere oder Puppen. Gerade jetzt brauchen sie besonders viel Aufmerksamkeit von Mama oder Papa.

Ab dem 5. Lebensjahr gewinnt das realistische und logische Denken langsam die Oberhand. Ängste werden konkreter und beziehen sich nicht mehr nur auf Fantasiewesen, sondern auf Menschen und Situationen in der näheren Umgebung. Manche Kinder haben jetzt Angst vor Krankheiten, vor dem Tod von vertrauten Personen oder auch vor Naturgewalten und vor bestimmten Tieren. In diesem Alter fühlen einige Kinder sich hilflos angesichts der Bedrohungen und können noch nicht gut einschätzen, wie gefährlich die Situationen tatsächlich sind.
Ab dem 7. Lebensjahr spielt der Schulalltag eine wichtige Rolle. Manchen Kindern macht die Angst vor schlechten Noten zu schaffen, manchmal klagen sie über körperliche Symptome wie Bauch- oder Kopfschmerzen. Einige Kinder fürchten sich jetzt vor realen oder fiktiven Ereignissen, die sie im Fernsehen gesehen haben.

Während im Grundschulalter eher Ängste davor auftreten, etwas nicht so gut zu können oder gar zu „versagen“, werden in der Pubertät die Gleichaltrigen wichtiger. „In dieser Lebensphase tauchen häufiger soziale Ängste auf: Wie werde ich wahrgenommen? Werde ich gemocht? Bin ich attraktiv genug?” erklärt Stefan Hetterich. Fühlen die Kinder oder Jugendlichen sich ausgeschlossen, kann das Angstgefühle auslösen.

Für alle Phasen gilt: Die meisten Kinder lernen nach und nach gelassener und selbstbewusster mit ihren vermeidlichen Schwächen umzugehen.

Tipps für Eltern

Kinder stark machen

Dipl.-Psych. Stefan Hetterich
Fachrichtung:
Kinder- und Jugendpsychiatrie

Wie können Eltern ihre Kinder dabei unterstützen, Ängste durchzustehen? Wie können sie sie so stärken, dass sie sich nicht so leicht verunsichern lassen? Die folgenden Tipps helfen Eltern und Kindern, vertrauensvoll und entspannter mit der Angst umzugehen

Die Angst kennenlernen:

Erst wenn Eltern wissen, was hinter der Angst steckt, können sie ihre Kinder dabei unterstützen, die Angst zu überwinden. Will das Kind bei den Eltern schlafen, weil es meint, auf Mama aufpassen zu müssen, zum Beispiel, weil es mal erlebt hat, dass sie ins Krankenhaus musste und dann weg war? Vielleicht fürchtet sich das Kind auch vor einer bestimmten Situation – zum Beispiel immer dann, wenn ein Erwachsener laut wird? Gibt es bestimmte Angstzeiten oder Orte?

Wenn Kinder ihre Ängste nicht richtig benennen können: Gerade bei kleineren Kindern bieten auch Bilderbücher, in denen es um Angstsituationen geht, eine gute Möglichkeit, um ins Gespräch zu kommen.

Je besser wir Eltern (und die Kinder!) die Angst kennenlernen, desto leichter ist es, sich mit ihr auseinanderzusetzen und den Kindern dabei zu helfen, sie einzuordnen und zu bewältigen. Es ist ein großer Vertrauensbeweis, wenn Kinder ihre geheimsten Ängste mitteilen und es hilft, sich gemeinsam auf Spurensuche zu machen, das Kind darin zu stärken, die Angst zu überwinden. Stefan Hetterich: „Eine überwundene Angst stärkt den Selbstwert sehr. Das Kind hat selbst einen Weg gefunden, mit diesem schwierigen Gefühl umzugehen und macht die Erfahrung, dass die Angst kleiner wird.“

Die Angst ernst nehmen:

Egal, wie absurd uns die kindliche Angst erscheint – um dem Kind helfen zu können, müssen wir seine Sorgen ernst nehmen und dürfen uns nicht lustig machen oder gar abwertend reagieren. Gerade jetzt braucht ein ängstliches Kind das Verständnis seiner Eltern! Aussagen wie „Du brauchst keine Angst zu haben“, „Monster gibt es doch gar nicht“ oder „Ich kann hier gar nichts entdecken“ und andere logische Erklärungen führen eher dazu, dass das Kind sich verschließt und nicht das Gefühl hat, die Eltern würden es beschützen.

Was auch nicht hilft:

Das Kind extrem zu beschützen und ständig zu warnen und Situationen aus dem Wege zu gehen, die Angst machen. Viel hilfreicher ist es, dem Kind Sicherheit zu geben, ihm deutlich zu machen, dass wir Eltern immer für es da sind. Entscheidend ist die zuversichtliche Haltung der Eltern: Ich traue dir das zu, du schaffst das, wir sind bei dir!

Sich der Angst stellen:

Ängste lassen sich schrittweise überwinden, indem die Kinder sich mit der Angst auseinandersetzen. Dabei helfen zum Beispiel kreative Ideen und Rituale. Wie könnte das Schreckgespenst verschwinden? Vielleicht hilft ein selbst gemischtes Anti-Monster-Spray oder ein Zauberspruch, um das Monster zu vertreiben? Möglicherweise muss auch der Schrank einmal komplett ausgeräumt und neu bestückt werden. Haben Kinder Angst davor, auf die Rutsche zu klettern, hilft es, erst einmal die ersten fünf Sprossen gemeinsam zu erklimmen und Stück für Stück weiter hochzuklettern. Und bei Angst vor der Dunkelheit reicht vielleicht ein Licht im Flur oder eine offene Zimmertür. Oft hilft es, sich der Angst zu stellen, statt ihr aus dem Weg zu gehen und das Kind für sein mutiges Verhalten zu loben.

Entscheidend sei auch die Haltung der Eltern, erklärt Stefan Hetterich. Wenn sie von etwas überzeugt seien, übertrage sich dies auch auf ihre Kinder. „Wenn ich mir sicher bin, dass das Kind die Fähigkeit hat, alleine einschlafen zu lernen, dann kann ich es ihm auch zumuten. Der wichtigste Schritt ist immer die Überprüfung der Realität. Stelle ich fest, dass die Angst in dem Moment ein überflüssiges Warnsignal ist, kann ich meinem Kind auch zumuten, dass es die Angst überwindet“, so Hetterich.

Wie können Eltern reagieren, wenn es um Ängste vor realen Gefahren geht, einem Feuer zum Beispiel oder einem Blitzeinschlag? Christina Zehetner weist darauf hin, dass Eltern die Aufgabe haben, selbst einzuschätzen, was sie ihren Kindern an Realität zumuten können. „Kinder verkraften eine „wohldosierte Wahrheit“ meist besser als eine ausgedachte Lüge, auch wenn sie nur zu Beruhigungszwecken dient“, sagt die Erzieherin und Sozialpädagogin.

Unterstützung holen:

Wenn alle Bemühungen, die Gründe der Angst verstehen zu wollen und die Angst zu besiegen, nichts bringen, ist es sinnvoll sich Hilfe in Erziehungsberatungsstellen oder von Kinder- und Jugendpsycholgen oder -Psychotherapeut*innen zu holen. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn Kinder nicht mehr in die Schule gehen möchten oder sich nicht mehr trauen, das Haus zu verlassen.

In der Beratung oder Therapie lernt das Kind mit professioneller Hilfe, wie es mit Angst machenden Situationen umgehen kann. Die meisten Ängste lassen sich meist relativ gut und schnell behandeln.

Tipps zum Thema

Im Mabuse Verlag sind verschiedene Kinderbücher zum Thema „Angst“ erschienen, so zum Beispiel „Mein Tabulu. Ein Kinderfachbuch über Angst und Angststörungen“ von Paula Kuitunen oder das Bilderbuch „Monster Besuch“ von Catarina Knüvener.

Empfehlenswert ist auch der Ratgeber „Ängste bei Kindern und Jugendlichen“ von Stefan Hetterich sowie die Website des Autoren: www.stefanhetterich.de. Im Frühjahr startet der Psychotherapeut und Autor einen Blog mit dem er Eltern bei Alltagsfragen unterstützen möchte: https://www.therapie2go.com

Der Ratgeber „Ängstliche Kinder unterstützen: Die elterliche Ankerfunktion.“ von Haim Omer bietet Hilfestellungen für Eltern, deren Kinder unter Angststörungen leiden.

Die Erziehungsberatung Darmstadt berät und hilft bei allen Fragen zur kindlichen Entwicklung:
https://www.darmstadt.de/leben-in-darmstadt/soziales-und-gesellschaft/familien/familienzentrum/erziehungsberatung