
Familienleben auf Distanz
Wenn Eltern in einer Fernbeziehung leben
Ein Beitrag von Monika Klingemann
Berufliche Mobilität gehört für viele Eltern zum Alltag – oft mit der Folge, dass Mutter oder Vater unter der Woche an einem anderen Ort leben. Für Familien, die dieses Modell praktizieren, bedeutet das: pendeln, planen und improvisieren. Wie aber kann Familienleben trotz räumlicher Trennung funktionieren, wie gelingt Nähe trotz Distanz? fratz hat sich umgehört.
Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland führen laut der Online-Partnervermittlung Parship derzeit eine Fernbeziehung. Das heißt, sie leben regelmäßig länger voneinander getrennt. Zahlen, wie viele dieser Paare auch Kinder haben, gibt es nicht. Doch ein nicht repräsentativer Blick in den Bekanntenkreis zeigt, dass räumliche Distanz, etwa unter der Woche, auch in Familien gar nicht so selten ist. Und zwar – denn darum soll es hier gehen – als bewusst gewähltes Modell, nicht als Folge einer Trennung oder Scheidung.
Pendeln zwischen Schweden und Darmstadt
Franziska, ihr Mann und ihre beiden Söhne leben seit vielen Jahren ihr Familienleben auf Distanz. Franziska erzählt: „Wir waren gerade ein Paar – da zog mein Partner aus beruflichen Gründen von Würzburg, wo wir beide damals lebten, nach Darmstadt. Eigentlich führen wir also schon immer eine Fernbeziehung.“ Nach der Geburt des ersten Kindes nimmt Franziska knapp zwei Jahre Elternzeit und die drei leben zusammen. Anschließend findet sie eine Professur an einer Universität in Schweden. „In meinem Beruf ist es nicht so einfach, eine Stelle zu bekommen. Uns beiden war von Anfang an klar, dass ich diese Möglichkeit nutze, auch wenn ich dafür weit wegziehen muss.“ Mann und Sohn bleiben in Hessen, Franziska kommt jedes Wochenende nach Hause, um die beiden zu sehen.
Wochenendbeziehung und Co.: verschiedene Konstellationen
Dass ein Partner unter der Woche woanders lebt und einmal in der Woche zur Familie fährt – die klassische Wochenendbeziehung –, ist wahrscheinlich die häufigste Konstellation einer Fernbeziehung. Regelmäßig für eine überschaubare Zeit getrennt zu sein, kennen aber auch berufstätige Elternteile, die zum Beispiel zwei Wochen am Stück unterwegs auf Montage sind und dann wieder zwei Wochen zu Hause – ein Pendelmodell in anderer Form. Dann gibt es noch die Familien, die mehr als vier Wochen voneinander getrennt sind, vielleicht weil ein Partner vom Arbeitgeber für eine gewisse Zeit ins Ausland entsendet wurde und der Rest der Familie nicht mitgehen kann oder will.
Manchmal entsteht so eine Fernfamilie, weil sich bei einer bestehenden Zweier-Wochenendbeziehung Nachwuchs ankündigt. Dann wird das bewährte Modell auch mit Kind weitergeführt. Oder ein attraktives Jobangebot ist nun mal in einer anderen Stadt und die Familie entscheidet, den Familienhaushalt nicht zu verlegen. Vielleicht zieht auch der eine Elternteil voraus mit der Option, dass der Rest bald nachkommt. Dann ist Zeit zu überbrücken, bis der neue Job sich als dauerhaft erweist und ein passendes Familienzuhause und berufliche Perspektiven für den anderen Elternteil gefunden sind. Das kann dauern, sodass aus der Übergangslösung gar nicht so selten ein langfristiges Provisorium wird.
Die geforderte Mobilität in vielen Jobs, befristete Projekte, Internationalisierung und zuletzt auch die sich eintrübende Wirtschaftslage sorgen dafür, dass Ortswechsel in vielen Akademiker-Biografien, aber längst nicht nur dort, nötig werden. Fernfamilien sind also auch in Zeiten von Homeoffice und Remote-Arbeiten kein Auslaufmodell.
Herausforderungen und Chancen
Räumlich getrennte Zeiten sind für alle Familienmitglieder herausfordernd. Die Person, die vor Ort mit den Kindern ist, ist für eine gewisse Zeit – unter der Woche oder mehrere Monate – quasi alleinerziehend. Mit allen Problemen, die damit verbunden sind: Den Alltag weitgehend alleine organisieren, all die großen und kleinen unvorhersehbaren Dramen managen (und davon gibt es in Familien reichlich, wie wir alle wissen), kurzfristig anstehende Entscheidungen treffen – all das bleibt an ihr hängen. Der abwesende Elternteil wiederum hat vielleicht das Gefühl, genau diesen Alltag unwiederbringlich zu verpassen, während er allein in der Ferne sein Leben lebt. Er oder sie vermisst die Partnerin beziehungsweise den Partner und die Kinder, kann sich allein in der Fremde einsam fühlen, während er oder sie aufs Wiedersehen hinfiebert. Auch den Kindern fehlt der auswärts lebende Elternteil. Wenn sie noch kleiner sind, fällt es ihnen besonders schwer, die Trennung und den Grund dafür zu begreifen, möglicherweise reagieren sie mit Trotz und Ablehnung oder beziehen das Weggehen von Mama oder Papa auf sich.
Umgekehrt hat dieses Lebensmodell auch Vorteile: So ergeben sich für die Eltern Entwicklungs- und Berufschancen, die es vor Ort nicht gegeben hätte. Manchmal sind die Möglichkeiten andernorts einfach so reizvoll, dass sie den Ortswechsel wert sind. Die Kinder lernen in so einer Konstellation fast automatisch, selbstständig zu sein – sei es, weil sie zu Hause Aufgaben übernehmen, sei es, weil sie den auswärtigen Elternteil später alleine besuchen können. Und eine Rollenverteilung, die das klassische Geschlechter- und Familienmodell überwindet, hat Vorbildwirkung weit über die eigene Familie hinaus.
Gute Rahmenbedingungen sind wichtig
Damit Familie auf Distanz funktioniert, braucht es gute Rahmenbedingungen. Das kann auch Franziska bestätigen. Kaum ist sie in Schweden, wird sie nämlich mit dem zweiten Kind schwanger. Die Reaktion ihres Arbeitgebers dort ist so ganz anders als das, was sie zuvor in Deutschland erlebt hat: Kein Problem, dann machst du halt Pause und kommst bald wieder, ist die Zusicherung. „Diese Einstellung gab uns Sicherheit und machte uns Mut.“ Und so lebt Franziska auch nach der Geburt des zweiten Sohnes bald wieder unter der Woche in Schweden, ihr Mann kümmert sich neben seiner Berufstätigkeit hier in Hessen um die beiden Kinder.
Wichtiger Baustein, damit ein solches Modell klappt, ist eine funktionierende Kinderbetreuung. Das ist auch bei Franziskas Familie so. Und sie haben Glück, das richtige Angebot zu finden. „Unsere Kinder gingen erst zu einer Tagesmutter und dann in die Krippe und Kita von Merck, später dort auch in den Hort. Ohne die guten Betreuungszeiten und das durchdachte Konzept der Merck-Kita hätten wir niemals beide voll berufstätig sein können, und ich bin sehr froh, dass wir dort Plätze bekommen haben. Ich denke auch, dass unser Modell nur funktioniert, weil wir zwei super-problemlose Kinder haben.“
Hilfreich ist es natürlich, wenn weitere Bausteine die Kinderbetreuung erleichtern, etwa die Großeltern in der Nähe leben und bei Unvorhergesehenem einspringen können. Eine gute Verkehrsanbindung macht Wochenendheimfahrten oder spontane Besuche einfacher – eine Stadt mit (Auto-)Bahnanschluss oder sogar Flughafennähe wie Darmstadt kann da gegenüber ländlichen Gebieten punkten und viel wertvolle Zeit sparen. Auch wenn, wie bei Franziska, der Arbeitgeber das gewählte Familienmodell unterstützt und eine gewisse Flexibilität bei Arbeitszeiten und -ort ermöglicht, ist ein Leben als Fernfamilie leichter umzusetzen.
Mit Ritualen Nähe schaffen
Und wie kann Familienleben über die Distanz gelingen? Franziska erzählt von ihren Erfahrungen: „Ganz wichtig unter der Woche ist für uns Whatsapp. Und dann gibt es bei uns schon lange unser Ritual am Samstag und Sonntag. Wir treffen uns jeweils vormittags zum gemeinsamen Frühstück – und reden, reden, reden, zwei oder drei Stunden lang. Da sind die Jungs (die inzwischen teils schon erwachsen sind) bis heute immer gern dabei.“ Wenn Franziska am Wochenende nicht nach Hause kommt, finden die Frühstücke virtuell statt.
Außerdem ist es ihr wichtig, dass die Kinder von Anfang an genau wissen, wo und wie sie ihre Woche verbringt. Sie erzählt viel von ihrem Alltag und ihrer Arbeit. „Und alle unsere Urlaube verbringen wir in Skandinavien. Meine Wohnung dort ist dann unsere Ferienwohnung, und die Jungs kennen sich in meiner Stadt mittlerweile sehr gut aus.“
Das ist genau das, was auch Fachleute raten: Die Kinder sollten die Wochenwohnung des abwesenden Elternteils kennenlernen. Sicher steht dort ein Familienfoto und zeigt ihnen, dass sie auch im Wochenalltag von Mama oder Papa einen festen Platz haben. Auch in der Familienwohnung kann ein zentral aufgehängtes Foto des abwesenden Elternteils für ein bisschen Präsenz sorgen. Weitere Tipps fürs Familienleben auf Distanz finden Sie in den Infokästen auf dieser und der vorherigen Seite.
Nähe trotz Distanz – wie Eltern und Kinder verbunden bleiben
Regelmäßig Nachrichten austauschen
Ob per Messenger, Telefon oder Videochat: immer in Kontakt bleiben und Informationen auch über Banales austauschen – so nehmen alle am Alltag der anderen teil. Feste Termine dafür geben Verlässlichkeit.
Abschiedsrituale etablieren
Ein Gute-Reise-Brief, der erst nach der Abreise gelesen wird, eine Geste, ein Reim, „Geheimsignal“ oder Lied, das immer gesungen wird, wenn man sich trennt, ein letzter gemeinsamer Moment.
Symbolische Gegenstände tauschen, ein Stofftier oder Glücksbringer – ganz Kleine können mit einem getragenen Kleidungsstück auch über den Geruchssinn die Erinnerung an den abwesenden Elternteil bewahren.
Die Zeit bis zum Wiedersehen verkürzen
Countdown: Ein Kalenderblatt oder Ähnliches, in dem die Tage abgehakt oder ausgemalt werden, kann die Zeit bis zum Wiedersehen sichtbar machen.
Teddy auf Reisen: Das Kind gibt Mama oder Papa ein Kuscheltier mit, das „aufpasst“ – der Elternteil schickt Fotos davon an verschiedenen Orten.
Sich zu Aktivitäten verabreden: Zeitgleich an beiden Orten die Lieblingssendung schauen oder über die Distanz zusammen Abendbrot essen.
Gelassenheit statt Perfektion
Unter der Woche oder über Monate alleine mit einem oder mehreren Kindern das Familienleben managen zu müssen, ist eine Herausforderung.
Das kennt auch Heike, deren Mann wochentags beruflich in ganz Deutschland unterwegs ist. „Es ist nicht leicht, ein Leben allein mit drei kleinen Kindern zu organisieren, gerade wenn man auch berufstätig ist.“ Und so sind Kompromisse nötig und Abstriche angesagt. In Heikes Familie bedeutet das: „Unsere drei Mädels hatten keine Wahl bei Sportart und Lieblings-Instr-ument: dreimal der gleiche Verein und dreimal Klavier – anders hätte ich das logistisch nicht bewältigen können.“ Keine perfekte, aber eine pragmatische Lösung.
Die gemeinsame Zeit ist in einer Fernfamilie besonders wertvoll. Da wird das Wiedersehen zu einem besonderen Moment, der ruhig ein bisschen gefeiert werden darf. Bei Konstanze, deren Mann unter der Woche im Ruhrgebiet arbeitet, hat sich im Lauf der Jahre ein sportlich-verbindendes Ritual etabliert: „Am Freitagabend wird erst mal eine Runde Tischtennis im Keller gespielt.“ Das signalisiert allen, dass die Familie jetzt wieder komplett ist und das Wochenende beginnt. Und ohne viele Worte entsteht ein Gemeinschaftsgefühl.
In Heikes Familie hat der Sport ebenfalls eine verbindende Funktion: „Immer wenn mein Mann zu Hause ist, gehen er und die Kinder gemeinsam laufen. Das ist eine exklusive Papa-Töchter-Aktion, bei der ich nicht dabei bin und die sie sehr genießen.“
Für die gemeinsamen Stunden und Tage bieten sich viele Ideen für eine bewusste, liebevolle Gestaltung an – wie Franziskas Frühstückstradition oder der gemeinsame Sport in Konstanzes und Heikes Familien. Der Versuchung, die gemeinsame Zeit mit allerlei Spektakulärem und vielen Aktivitäten vollzupacken, sollte man allerdings nicht erliegen. Denn der heimkommende Elternteil ist kein Gast, für den ein Willkommensprogramm nötig wäre, sondern Teil der Familie. Und es ist wichtig, dass auch Raum für Spontanes, Gespräche, Kuscheln und intensive Momente bleibt – so kann am Wochenende der gemeinsame Alltag gelebt werden, der unter der Woche nicht möglich ist. Auch von überhöhten Erwartungen sollte man sich verabschieden und beim Wiedersehen allen Zeit geben, sich wieder aneinander zu gewöhnen – schließlich liegt oft eine anstrengende Woche hinter allen Beteiligten und Harmonie funktioniert nicht auf Knopfdruck.
Gerade bei einer längeren Trennung über Wochen oder Monate muss man sich klarmachen: Das neue Aneinander-Gewöhnen braucht Zeit. „Als zeitliche Faustregel gilt, dass das Wiedergewöhnen der Partner aneinander etwa so lange dauert wie die Trennung selbst – und bis zu 50 % länger“, schreibt der Familientherapeut Peter Wendl, der sich unter anderem mit Auslandseinsätzen von Militärangehörigen beschäftigt hat, auf www.familienhandbuch.de. Bei Kindern kann es auch passieren, dass sie beim Wiedersehen anfangs fremdeln – je kleiner, desto eher –, da heißt es gelassen bleiben und nicht frustriert sein.
Und was ist für die Zeit der Trennung wichtig? Da kann der auswärtige Elternteil auf einen erfüllenden Solo-Alltag achten, denn auch die Zeit allein in der Ferne darf Schönes enthalten. Das gibt Kraft und macht das Alleinsein leichter. Zu Hause sollte die Person, die die Familienarbeit leistet, sich nicht scheuen, sich bei Bedarf Unterstützung zu suchen. Grundsätzlich ist ein gutes Netzwerk wichtig. Bei Franziska und ihrem Mann ist es die Nachbarschaft. Da, wo sie heute in Darmstadt leben, fühlen sie sich zu Hause, und auch ihr Mann hat hier seine sozialen Kontakte als wohltuenden Gegenpol zu Job und Kindern.
Wenn die Familien-Fernbeziehung noch neu ist, ergibt es Sinn, nach einigen Monaten Bilanz zu ziehen: Wie fühlen wir uns mit dem Modell, kann es weiter so laufen, wo müssen wir nachjustieren? Ist ein Umzug oder Jobwechsel oder ein Rollentausch doch die bessere Option für unsere Familie? Gerade wenn die Kinder schon älter sind, sollte man sie mit ins Boot holen und gemeinsam im Familienrat nach einer Lösung suchen, mit der alle leben können. Ein Einheitsrezept gibt es nicht – aber viele kreative Wege
Zum Schluss soll noch mal Franziska, die Professorin in Schweden, zu Wort kommen: „Ich habe manchmal den Eindruck, dass Menschen, besonders Frauen, das Gefühl haben, sich für ihre Lebensform rechtfertigen zu müssen. Dabei ist doch nur entscheidend, dass jeder so lebt, wie er oder sie es selbst will, und dabei Spaß hat.“ Für Franziska und ihre Familie jedenfalls ist das Modell, das sie seit vielen Jahren praktizieren, genau das Richtige.
So klappt`s im Alltag: Organisation ist (fast) alles
Aufgaben verteilen und Absprachen treffen
Was lässt sich remote erledigen, wo können wir uns gegenseitig unterstützen? Das sollte man gemeinsam klären. Auch die abwesende Person kann und sollte To-dos übernehmen. Das zeigt beiden: Wir sind auch über die Entfernung ein Team und lösen Probleme gemeinsam. Und die Kinder merken: Beide Eltern übernehmen für uns Verantwortung.
Flexibel bleiben
Was für Familien mit Kindern ohnehin gilt, ist in diesem Fall noch wichtiger. Denn nicht alles ist vorhersehbar. Daher Planänderungen einplanen – und sich von Perfektionismus verabschieden.
Sich als Paar nicht verlieren
Auch wenn das Wochenende knapp ist, sollte es idealerweise ein bisschen exklusive Zeit zu zweit enthalten. Das reduziert das Risiko, dass die Paarbeziehung über die Distanz auf der Strecke bleibt.