
Wenn das Baby ständig schreit, sich nicht beruhigen lässt, kann das Eltern enorm belasten. Doch es gibt Unterstützung: In Schreiambulanzen erhalten Eltern kostenlose Beratung.
Ein Beitrag von Thea Wittmann
Mia schreit wie am Spieß. Sie ballt die Fäustchen und zieht die Beine an. Ihr süßes Gesicht ist verzerrt und rot. Wieviel Kraft das Schreien kostet, sieht man ihr an. Kinderwagen fahren, für eine Einkaufsrunde ins Tragetuch packen – all das bringt nur für kurze Zeit Entspannung. Kaum aus dem Wagen oder dem Tuch heraus, beginnt das Brüllen von neuem. Den Schnuller spuckt Mia sofort wieder aus. Wenn sie schläft, dann nur kurz – meist vor Erschöpfung.
Mia ist ein Schreikind, und diese Tatsache ist für ihre Eltern Verena und Max ein enormer Kraftakt. Ein Besuch der Eltern-Kind-Gruppe? Undenkbar. Großeltern oder Freunde, die die Eltern für ein paar Stunden entlasten könnten? Die sind zurückhaltend, denn sie merken, dass sich das Baby weder durch gutes Zureden noch durch Beschäftigung beruhigen lässt
Das Schlimmste daran: Verena und Max stecken in einem Teufelskreis aus Schreien, Verzweiflung, Wut und Ablehnung. Max fühlt sich hilflos mit dem weinenden Bündel im Arm.
Was bedeutet Schreikind?
Alle Babys weinen, etwa wenn sie hungrig sind, wenn sie ein Schmerz plagt oder vor Müdigkeit. Das ist völlig normal. Ein schreiender Säugling gilt nach der sogenannte Dreierregel als „Schreibaby“, wenn er ohne ersichtlichen Grund mehr als drei Stunden am Tag an mehr als drei Tagen in der Woche weint, und dieses Schreien über einen Zeitraum von mehr als drei Wochen anhält. Typischerweise beginnt das anhaltende Weinen ab der zweiten Lebenswoche und kann bis zum Ende des dritten Lebensmonats andauern. Schreibabys haben Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen oder einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus zu entwickeln.
Sind Dreimonatskoliken schuld?
Ein gängiger Erklärungsversuch für das Schreien der Kleinen bis zum dritten Lebensmonat lautet „Dreimonatskoliken“. Tatsache ist, dass das Verdauungssystem eines Babys noch nicht ausgereift ist. Blähungen verursachen Bauchschmerzen – und durch das ständige Luftschlucken beim Schreien werden diese noch verstärkt. Doch heute sind Mediziner davon überzeugt, dass nicht Darmkoliken hinter anhaltendem Schreien stecken, sondern dass frühkindliche Regulationsstörungen dafür verantwortlich sein können. Denn so paradox es klingen mag: Vielen Schreibabys fehlt Ruhe, besser gesagt: die Fähigkeit, sich zu beruhigen. Sie stehen unter Stress, und daran ist häufig eine Reizüberflutung schuld. Denn Neugeborene sind noch nicht „bereit“ für die große Welt, die zu viele Einflüsse bietet, als dass ein kleiner Kopf sie alle verarbeiten könnte. Das macht vor allem sensiblen Babys zu schaffen. Ihr Ventil: stundenlanges Brüllen statt Schlafen. Schreibabys sind also nicht wütend, sondern ruhelos und müde.
Im Schreien und Weinen äußern sie ein dringendes Bedürfnis, auf das sie ihre Eltern aufmerksam machen. Ließe sich das in Worte fassen, dann etwa so: „Ich finde mich nicht zurecht. Irgendetwas stimmt nicht. Ich brauche eure Hilfe.“ Und dass es für Eltern so unerträglich ist, ihr Baby weinen zu hören, ist ein kluger Schachzug der Natur. Schreien ist für Babys überlebenswichtig. Wie sonst sollten sie auf sich aufmerksam machen? Es ist der einzig mögliche Weg, um zu zeigen, dass sie Zuwendung brauchen, dass irgendetwas sie aus dem Gleichgewicht bringt.
Schreibabyambulanz hilft verzweifelten Eltern
Wenn der Kinderarzt organische Ursachen für das Schreien ausschließen kann, hilft möglicherweise ein Gespräch in der Schreiambulanz. Das Angebot ist eine Soforthilfe für Familien, die sich zunehmend verunsichert, erschöpft, hilflos fühlen und fast verzweifeln. Es kann den Druck aus der Situation zu nehmen. Eltern dürfen zwar keine Patenzrezepte erwarten, aber Ansatzpunkte und konkrete Hilfe, wie sich die Situation zuhause bessern kann. Sie lernen, kindliche Reaktionen und Signale richtig deuten zu können und den Tagesablauf zu gestalten, etwa durch Beruhigungshilfen, entspannte Essenssituationen, Spielen, Einschlafrituale.
Gegenseitige Pausen und Unterstützung aus der Familie
Verena kann in der Beratung loswerden, was sie belastet: dass sie enttäuscht ist, obwohl Mia ein absolutes Wunschkind ist. Dass das Schreien sie wütend macht und komplett überfordert. Dass sie Angst hat, zu versagen. In den Gesprächen wird klar, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Doch Verena und Max setzen jetzt die alltagspraktischen Tipps um: Sie führen ein Schlafprotokoll, beobachteten genau, in welchen Situationen das Schreien schlimmer oder besser wird und was Mia hilft, sich zu beruhigen. Sie lernen, ihre schreiende Tochter das Gefühl von Sicherheit und Nähe zu geben, sie sanft in den Arm zu nehmen. Und sie verschaffen sich gegenseitig Pausen und holen sich Unterstützung von der Familie. Zu wissen, dass sie nicht alleine sind, dass auch andere Eltern diese Erfahrung machen, ist ein zusätzlicher Trost.
Das Schreien hat nicht aufgehört, aber es ist weniger geworden und ist mittlerweile leichter zu ertragen. Mia verweigert weiterhin einen Schnuller, aber sie nuckelt an Max‘ Finger und kommt dadurch für kurze Phasen zur Ruhe. Der Alltag hat sich spürbar verbessert.
Hilfe und Adressen erhalten betroffene Eltern etwa hier
Menschenskinder Darmstadt Familienwerkstatt
Siemensstraße 3 | 64289 Darmstadt
Charlotte Weidenhammer
Tel.: 061/513604595
Constanze Motz
info@menschenskinder-darmstadt.de
www.menschenskinder-darmstadt.de
Carolien Rens
Frankfurter Str. 44
64293 Darmstadt
Tel: 06151-78 54 446
info@osteopathie-rens.de
Wie kann ich mein Baby beruhigen?
Tipps aus der Schreiambulanz
Routine: Ein verlässlicher Tagesrhythmus mit regelmäßig Ruhephasen gibt Sicherheit und führt auf längere Sicht zu besserem Ein- und Durchschlafen.
Tempo raus: Für den Säugling ist alles neu, er ist von den vielen Eindrücken schnell überfordert. Deshalb sollten Eltern dieser besonders empfindsamen Babys schnelle Wechsel vermeiden, weniger Input an Spielen und Ablenkung bieten, nicht zu viele Aktivitäten planen.
Auszeiten: Verwandte und Freunde können sich stundenweise um das Baby kümmern und die Eltern entlasten.
Reize minimieren: Zu viele Geräusche, Gerüche, Licht können Kinder stressen, besonders wenn sie sehr sensibel auf ihre Umwelt reagieren.
Körperkontakt: Nehmen Sie ihr Baby liebevoll in den Arm, nicht nur wenn es schreit.
Singen und beruhigende Musik: Musik kann Babys länger beruhigen als Reden.
Warmes Bad vor dem Schlafengehen: Ein Bad mit anschließender sanfter Bauchmassage wirkt entspannend
Fahrt im Kinderwagen: Viele Kinder schlafen bei einem Spaziergang im Kinderwagen durch das sanfte Schaukeln ein.
Geduld: Probieren Sie nicht alle Beruhigungsmethoden auf einmal aus. Geben Sie dem Kind Zeit zu reagieren.
Ruhe bewahren: Auch wenn es schwerfällt: die Ruhe, die Sie ausstrahlen, überträgt sich auf Ihr Baby.