Ein Beitrag von Anke Hèlene

Sprechenlernen ist ein Prozess, der in verschiedenen Etappen und Altersstufen erfolgt. Der Grundstein aber wird sogar schon vor und bei der Geburt gelegt: Bereits im Mutterleib hört das Baby die Stimme der Eltern und bei gesund entwickelten Kindern ist das Sprachzentrum im Gehirn vorhanden und auch die Organe und Muskeln zum Sprechen wie Zwerchfell, Lippen, Zunge und das Gehör sind ausgebildet. Die Fähigkeit, sprechen zu lernen, ist somit angeboren. Außerdem möchten schon Babys Beziehungen eingehen, suchen Kontakt und Aufmerksamkeit. Kinder wollen sich verständigen und sprechen lernen, und sie erproben früh auf spielerische Weise ihre eigene Stimme.

Bereits vor den ersten Wörtern können Eltern an den verschiedenen Lauten ihres Säuglings erkennen, wie es ihm geht und was es braucht. Im ersten Lebensjahr passieren sehr viele Entwicklungsschritte. Etwa um den zehnten Lebensmonat herum kommunizieren die Kleinen mit Doppellauten wie „ba-ba“, die dann schließlich mit einem bis eineinhalb Jahren zu den ersten Worten führen: „Mama“, „Papa“ oder auch der eigene Name.

Auch wenn es große individuelle Unterschiede im Spracherwerb gibt, kann man davon ausgehen, dass Kinder noch vor ihrem ersten Geburtstag zwischen 20 und 150 Wörtern verstehen. Beim aktiven Wortschatz gibt es ebenfalls große Unterschiede: Im Alter von einem Jahr sind es bis zu fünf Wörter, mit eineinhalb Jahren sprechen die meisten Kinder bis zu 50 Wörtern, mit zwei Jahren sind es schon 50 bis 300 Wörter und mit drei Jahren können es 250 bis 1000 Wörter sein.

Diese Meilensteine seien schon wichtig, sagt Laura Ellenberger, aber sie würden die Eltern auch unter Druck setzen: „Viele Eltern wissen gar nicht, dass bei der Empfehlung von 50 Wörtern mit zwei Jahren auch Gebärden dazuzählen. Oder Geräusche, also etwa ‚wau-wau‘ für Hund oder ‚brumm-brumm‘ für Auto.“ Laura ist ausgebildete Logopädin und studierte Sozialpädagogin und in den sozialen Netzwerken, vor allem auf Instagram, sehr aktiv. Hier gibt sie viele Tipps für die Sprachförderung zu Hause und sie bietet online sowie offline Beratungen für Eltern an.

Die ersten drei Lebensjahre sind besonders wichtig

Die Nachfrage ist im U3-Bereich besonders hoch, denn die Kleinen würden oft durchs Raster fallen, erzählt Laura: „Das ist so schade, weil in den ersten drei Lebensjahren die Grundsteine für alles Weitere gelegt werden.“ Und auch wenn sie Eltern den Druck nehmen möchte, ist es ihr wichtig, genau hinzuschauen. „Kinderärzte sagen den Eltern gerne, sie sollten abwarten, das komme alles noch. Spätestens im Kindergarten würde es mit dem Sprechen losgehen – aber das ist ganz häufig nicht der Fall, tatsächlich bei zwei Drittel aller ‚Late Talker‘. Die Mehrheit aller Kinder, die spät anfangen zu sprechen, brauchen eine gezielte Förderung.“

Kinder eignen sich die Sprache an, die sie in ihrer nächsten Umgebung, in ihrem Alltag, hören. Sie sammeln quasi die Wörter und beginnen diese dann miteinander zu kombinieren. Sie merken dabei an den anderen Kindern oder den Erwachsenen aus ihrer Umgebung, dass sie mit Sprache etwas bewirken können. So entstehen oft witzige Situationen, wenn die Kleinen nachplappern, was die größeren Geschwister sagen. Im Normalfall haben Kinder um den vierten Geburtstag herum die Grammatikregeln ihrer Muttersprache gelernt und können sie größtenteils anwenden. Der Lauterwerb ist dann mit viereinhalb Jahren weitestgehend abgeschlossen.

Sprachentwicklung ist ein Prozess

Jedes Kind entwickelt sich individuell und auch die sprachliche Entwicklung verläuft nicht immer gleich. „Die Sprachentwicklung ist ein Prozess“, erklärt Laura. „Ich rate Eltern immer, sich nicht gleich verunsichern zu lassen, wenn das Kind augenscheinliche Rückschritte macht. Sprachentwicklung verläuft nicht linear, und das zu wissen, kann den Druck nehmen. Und das wiederum spüren dann auch die Kinder.“

Kleine Checkliste

Sprache mit zwei Jahre

  • mindestens 50 Wörter im aktiven Wortschatz
  • verwendet einfache Zweiwortsätze
  • kann zwei Aufgaben erledigen: „Hol den Teddybären und lege ihn ins Bett.“
  • kann auf ja/nein – Fragen antworten nennt sich selbst beim Namen

Sprache mit drei Jahre

  • spricht mindestens 250 Wörter
  • bildet Dreiwortsätze
  • die Aussprache ist auch für Fremde gut verständlich

Wenn Eltern allerdings das Gefühl haben, ihr Kind spricht zu wenig oder nicht gut genug, sind die Kita-Erzieherinnen oder der Kinderarzt gute erste Ansprechpartner. Der Kinderarzt kann gegebenenfalls einen Logopäden empfehlen – wobei die Wartelisten leider sehr lang sind. Ein halbes Jahr Wartezeit ist in der kindlichen Entwicklung ein langer Zeitraum – umso besser, dass Eltern zu Hause ganz viel für die Sprachförderung tun können.

„Das Erste, was ich den Eltern rate, ist das Hören der Kinder abklären zu lassen. Beim Hals-Nasen-Ohrenarzt einen Termin zu machen, besser noch in der Pädaudiologie, die auf kindliche Hörstörungen spezialisiert sind. Wenn körperlich alles abgeklärt ist, mache ich eine Anamnese, das geht auch online, indem die Eltern mir zum Beispiel Videoaufnahmen der Kinder schicken. Logopädie vor Ort ist wichtig, aber der Baustein der Elternarbeit ist ebenso essenziell, weil die Eltern ja einen viel größeren Einfluss haben und ihr Kind tagtäglich sehen.“

Auf der anderen Seite ist es Laura aber auch wichtig, dass sich Eltern nicht die Schuld am späten Sprechen oder an den Sprachproblemen ihrer Kinder geben. „Natürlich ist es so, dass ein gutes sprachliches Angebot zu Hause die Sprachentwicklung massiv positiv beeinflussen kann – aber andersherum ist es nicht die Schuld der Eltern, wenn ein Problem vorliegt“, erläutert Laura weiter. „Ich finde es wichtig, dass Eltern wissen, dass es auch für den Lese- und Schreiberwerb essenziell ist, wenn das Kind in die Schule kommt, dass Ordnung im Lautsystem ist. Wenn das Kind ‚Sule‘ statt ‚Schule’ sagt, wird es das Wort auch falsch schreiben.“

Kleine Hilfsmittel für Zuhause

Der Sprechdachs

Die Spielesammlung des „Sprechdachs“ bietet abwechslungsreiche Ideen zum spielerischen Einsatz von Sprache und Worten. Der Umgang mit Lauten, Artikeln, Wörtern wird trainiert und fördert auf unterhaltsame Weise die Wahrnehmung, Konzentration und das Gedächtnis der Mitspieler.
Es können ein bis sechs Personen im Alter ab 5 Jahren mitspielen. Die Spiele dauern um die zehn Minuten.

Sprechdachs | Hutter Trade GmbH | Kostet etwa 30 Euro

Erster Obstgarten

Bei diesem Spiel zeigt der Würfel an, welches Obst geerntet werden darf. Das Würfeln und Zuordnen fördern das Benennen von Farben und Symbolen. Haba | 2 bis 4 Spieler ab 2 Jahren | etwa 25 Euro

Der Wortschatz

von Rebecca Gugger Simon Röthlisberger

Oscar buddelt gerne und findet an einem milden Herbstmorgen eine prächtige Holztruhe. Drin sind leider weder Gold, Kronen, Skateboards oder Bagger. Es sind Wörte in der Kiste verborgen. Und was für Worte! Quietschgelb etwa oder haarig oder pompös und monströs. Was für wunderbare Worte. Und dass sie eine Bedeutung haben und einiges bewirken, lernt Oscar schnell. Schon im Buchdeckel begegnen einem Worte, die man leider schon lange nicht mehr gehört oder gar genutzt hat: muffig, gefühlszart, zappenduster, himmelhochjauchzend oder tagtraumverloren. Wunderbare Worte, die Lust auf Sprechen und Vorlesen machen. Jüngst ist das Buch mit dem Buch Cover Award 2024 in der Kategorie „Kinder- und Jugendbuch“ ausgezeichnet worden.

Der Wortschatz | 48 Seiten | ab 4 Jahren | 17 Euro | NordSüd Verlag

Eltern als Vorbilder

Von Anfang an können Eltern auf ihre Kinder eingehen und sie zum Sprechen und zum Erlernen der Sprache ermutigen. Gerade im Alltag können alle Tätigkeiten sprachlich begleitet werden – vom Geschehen vor dem Fenster bis zum gemeinsamen Spiel mit Kuscheltieren oder dem Kochen des Abendessens. Viele Experten raten zudem, die Kleinen nicht immerzu zu korrigieren, sondern das Gesprochene korrekt zu wiederholen.

Miteinander sprechen ja, aber nicht übertreiben, findet Sprachexpertin Laura: „Es kann auch zu viel sein, wenn ich das Kind regelrecht in Sprache bade. Dann hört es nicht mehr hin. Ich empfehle eher gezielt sprachlich zu begleiten und genau hinzuschauen, wo die Interessen des Kindes liegen und hier anzuknüpfen.“ Das könnten Bücher zu Themen wie Feuerwehr oder Tiere sein, andere Kinder singen vielleicht lieber oder spielen Rollenspiele, die sich sprachlich begleiten lassen. Ein Vorbild bei der Sprachentwicklung zu sein bedeutet auch, Freude am Sprechen zu haben und das Kind spüren zu lassen, dass die Gespräche mit ihm und seine Themen wichtig sind.

Eltern sind Vorbilder für ihre Kinder, sie orientieren sich in allen Lebensbereichen an ihnen. Und auch wenn das Smartphone praktisch ist – besser zur Seite legen und stattdessen ein Gespräch führen. Ganz verteufeln möchte aber auch Laura den Umgang mit Medien nicht, sie rät vielmehr dazu, mit gesundem Menschenverstand an das Thema heranzugehen: „Bei der Forderung ‚medienfrei unter drei‘ werden ganz viele Lebensrealitäten nicht gesehen und ich finde, Kinder können durch Medienzeit auch lernen, da ist die Sendung mit der Maus das beste Beispiel.“

Mehr über Laura Ellenberger und ihre Angebote gibt es hier:

https://elopage.com/s/wortschaetze
Lauras Instagram-Kanal:
@wort__schaetze

Hier findet ihr auch in den Highlights ganz viel Wissenswertes rund um Themen wie „Late Talker“, „Wortschatz“ oder „Aussprache“.

Lauras erstes Kinderbuch:
„Emma und die Zaubernuss:
Eine herzerwärmende Geschichte
über den Mut, sich selbst zu lieben“
Ein Kinderbuch über Selbstliebe,
Selbstvertrauen und das Besondere
in jedem von uns. 14,99 Euro

Hier bestellbar.

Ihr ist es wichtig, den Umgang mit Medien zu begleiten, mit den Kindern über das Gesehene zu sprechen und eine Auswahl zu treffen. „Dass ich mein U3-Kind nicht fünf Stunden vor dem Fernseher parke, sollte allen klar sein. Aber wir Eltern müssen auch auf unsere Ressourcen achten, um unsere Kinder gut begleiten zu können. Und wenn das bedeutet, dass ich etwa mein Kind mal eine Stunde am Tag fernsehen lasse, dann ist es völlig fein. Dann wird das nicht die Sprachentwicklung beeinträchtigen.“

Buchtipps von Laura Ellenberger

„Moritz‘ erste Worte“
von Maria Galewska-Kustra

Fördert den Wortschatz
bei Late Talker Kindern.

„Huckepack“
von Steffen Walentowitz

Ist in Reinform geschrieben und fördert so die phonologische Bewusstheit, zudem fördert es den Wortschatz.

„Da stimmt doch was nicht“
von Ralf Butschkow

Weckt durch seine lustigen Wimmelbilder
voll mit Fehlern die Sprechfreude.